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Sittenpolizei-Ankündigung nur Ablenkung?Iran will Urteile gegen Demonstranten „bald vollstrecken“ – auch Todesstrafe

Lesezeit 3 Minuten
Ein Screenshot zeigt geschlossene Läden in der Stadt Sanandaj im Westen des Irans.

Geschlossene Läden prägten am Montag das Stadtbild in der kurdischen Stadt Sanandaj im Westen des Irans.

Einige Demonstranten wurden wegen des Vorwurfs des „Kriegs gegen Gott“ verurteilt – ihnen droht nun die Todesstrafe. Mehr als 18.000 Menschen sollen während der Proteste im Iran inhaftiert worden sein.

Inmitten der anhaltenden Proteste im Iran haben die Behörden die baldige Umsetzung von bereits verhängten Urteilen gegen Demonstranten angekündigt. Justizchef Gholam-Hussein Mohseni-Edschehi sagte nach einem Bericht des Nachrichtenportals Etemad am Montag, mehrere Urteile seien vom Obersten Gerichtshof bereits bestätigt und würden auch „bald vollstreckt“. Dazu gehörten neben Haftstrafen auch Entscheidungen, bei denen Demonstranten wegen „Moharebeh“ verurteilt worden seien. Im Iran steht auf „Moharabeh“ – Krieg gegen Gott – die Todesstrafe.

Bei den Massenprotesten in dem islamischen Land wurden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen seit Mitte September mindestens 18.000 Menschen festgenommen. Unklar ist, gegen wie viele bereits Anklage erhoben wurde. Meist wird ihnen von den Behörden Teilnahme an illegalen Demonstrationen, Unruhestiftung oder Gefährdung der nationalen Sicherheit vorgeworfen. Im November wurden Demonstranten erstmals auch zum Tode verurteilt. Der Iran gehört zu den Ländern, die die Todesstrafe auch vollstrecken.

Angebliche Abschaffung der iranischen Sittenpolizei: „Die Mullahs taktieren“

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) sieht in der vom iranischen Generalstaatsanwalt angekündigten Auflösung der sogenannten Sittenpolizei unterdessen eine reine Machttaktik. „Das islamistische Mullah-Regime nutzt Ablenkungsmanöver, um weiter mit Gewalt gegen die landesweiten Proteste vorzugehen“, erklärte die IGFM am Montag in Frankfurt.

Gerade jetzt müsse die Protestbewegung gestärkt werden. „Die Mullahs taktieren, um ihre Macht zu erhalten“, sagte Vorstandssprecher Martin Lessenthin. Weitere Iran-Experten haben zu Wochenbeginn den Verdacht geäußert, die Nachricht über die angebliche Abschaffung der Sittenpolizei könne lediglich ein Ablenkungsmanöver des Regimes sein.

Iran: Neue Protest- und Streikwelle zu Wochenbeginn

Die gegenwärtigen Proteste könnten nur erfolgreich sein, wenn die iranische Zivilgesellschaft massiv von der freien Welt unterstützt werde. Nur eine unbedingte Bereitschaft von innen und außen könne „zu einer Beseitigung dieses grauenhaften Regimes und zu einer Erneuerung führen“, hieß es bei IGFM.

Im Iran haben die Proteste derweil am Montag einen neuen Höhepunkt erreicht. In mehreren Städten sind am Montag nach Angaben von Aktivisten viele Läden geschlossen geblieben. In sozialen Medien wurden Videos geteilt, die geschlossene Geschäfte in Großstädten wie Isfahan, Schiras, Sanandadsch, Ilam und Urmia zeigen sollen. Die Bilder konnten nicht unabhängig geprüft werden.

Iran: Behörden verriegeln Geschäfte von Fußball-Star Ali Daei nach Unterstützung für Proteste

Vergangene Woche hatten Aktivisten im Iran, wo seit zweieinhalb Monaten gegen die politische Führung demonstriert wird, zu neuen landesweiten Protesten und Streiks aufgerufen. Die sogenannten 14-15-16-Proteste – die Zahlen sind das Datum im persischen Kalendermonat Azar – sollen bis Mittwoch dauern. Auch in der Hauptstadt Teheran blieben Läden geschlossen.

Die iranische Justiz blieb ihren Repressionen zu Wochenbeginn nicht nur durch die Forderung nach der Vollstreckung der Urteile gegen Demonstranten treu. Auch das Juweliergeschäft und das Restaurant von Fußball-Star Ali Daei in Teheran wurden verriegelt, weil dieser sich einem Streikaufruf der Protestbewegung angeschlossen hatte.

Proteste im Iran: Mindestens 470 getötete Demonstranten, 18.000 Menschen in Haft

„Aufgrund seiner Zusammenarbeit mit konterrevolutionären Gruppen, die im Internet agieren, um den Frieden und den Handel zu stören, wurden Ali Daeis Restaurant und sein Juweliergeschäft versiegelt“, berichtete die Nachrichtenagentur Isna am Montag unter Berufung auf die Justizbehörde. Isna zufolge rief Daei im Onlinedienst Instagram dazu auf, sich dem Streik anzuschließen, und schloss seine eigenen Geschäfte.

Der frühere Fußball-Profi hatte im November erklärt, er habe Drohungen erhalten, weil er die Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini unterstützt habe.

Die 22-jährige Kurdin war Mitte September von der Sittenpolizei festgenommen worden, weil sie ihr Kopftuch nicht ordnungsgemäß getragen haben soll, und drei Tage später gestorben. Ihr Tod löste die größte anhaltende Protestwelle im Iran seit Jahrzehnten aus. Nach Einschätzungen von Menschenrechtlern wurden seither mindestens 470 Demonstranten getötet und rund 18.000 Menschen verhaftet. (das/dpa/afp/kna)