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Duell-Novizin und Dauer-RüpelBeim ersten TV-Duell steht für Kamala Harris viel auf dem Spiel

Lesezeit 4 Minuten
Kamala Harris und Donald Trump

Die demokratische Vizepräsidentin Kamala Harris und der Republikaner Donald Trump treffen am Dienstagabend erstmals in einem TV-Duell aufeinander.

Das TV-Duell am Dienstagabend ist eine der letzten Chancen, den Wiedereinzug des Republikaners ins Weiße Haus zu stoppen.

In den vergangenen Tagen hat Kamala Harris das Omni William Penn Hotel in Philadelphia nur selten verlassen: Ein kurzer Ausflug zu einem Gewürzladen, ein Spaziergang mit ihrem Ehemann Doug Emhoff - ansonsten verbringt die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten seit Donnerstag ihre Zeit in den Räumen des historischen Backsteinbaus. Dort ist ein TV-Studio mit Bühne und Beleuchtung nachgebaut. Selbst ein Mitarbeiter, der Donald Trump spielt, hält sich für Scheindebatten bereit.

Vor TV-Duell: Für Kamala Harris steht viel auf dem Spiel

Fernsehduelle spielen seit jeher wegen der hohen Einschaltquoten eine besondere Rolle in US-Wahlkämpfen. Doch der für diesen Dienstagabend um 21 Uhr US-Zeit (3 Uhr morgens MESZ) angesetzte Showdown zwischen Kamala Harris und Donald Trump hat das Zeug, die weitere Entwicklung des Präsidentschaftsrennens vorzuentscheiden. Vor allem für die 59-jährige Demokratin steht enorm viel auf dem Spiel: Nach dem Rückzug von Joe Biden hat sie zunächst einen kometenhaften Aufstieg erlebt. Nun bröckeln ihre Umfragewerte. Viele Amerikaner wissen noch nicht, was sie von Harris halten sollen.

In der Debatte beim Sender ABC trifft die Duell-Novizin auf einen Mann, der bereits sieben derartige Begegnungen bewältigt hat. Das letzte Wortgefecht mit dem damaligen demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden im Juni endete für diesen mit einem politischen K.O.-Schlag. Entsprechend intensiv bereitet sich Harris auf das Ereignis vor. Trump hingegen kokettiert damit, dass er kein Training brauche. Er hat zuletzt mit seinen Beratern einige Strategiegespräche geführt. Ansonsten verbringt er viel Zeit auf seinem Golfplatz.

Umfrage der New York Times: Viele US-Bürger wissen wenig über Harris

Nach längerem Hin und Her stehen die Regeln für das erste Zusammentreffen von Harris und Trump fest: Die Sendung wird (einschließlich zweier Werbepausen) neunzig Minuten dauern. Für die Beantwortung der Fragen haben die Duellanten jeweils zwei Minuten plus weitere zwei Minuten für Erwiderungen und eine Minute für eventuelle Klarstellungen Zeit. Ansonsten wird ihr Mikrofon stummgeschaltet.

Inhaltlich dürfte die Debatte von dem Versuch beider Seiten bestimmt sein, Kamala Harris zu definieren. Von Trump haben die meisten Amerikaner ein festes Bild. Über die derzeitige Vizepräsidentin wissen sie vergleichweise wenig. Harris hat in ihrer Kampagne bislang sehr stark auf Emotionalisierung gesetzt. Sie spricht viel über „Zukunft“ und „Freude“. Erst am Wochenende hat sie Eckpunkte ihres Programms online gestellt. Dabei handelt es sich im wesentlichen aber um die bereits bekannten Vorstöße zur Wohnungspolitik, Familienförderung und Anhebung der Kapitalertragsteuer. Bei einer am Montag veröffentlichen Umfrage der New York Times erklärten 28 Prozent der Befragten, dass sie zu wenig über Harris wüssten.

Donald Trump: Mit Selbstvertrauen in die TV-Debatte

Diese Unbestimmtheit birgt für die Kandidatin Chancen und Risiken. Trump wird versuchen, lautstark sein Bild von Harris zu verbreiten. „Gescheitert, schwach und gefährlich links“ sei die politische Kontrahentin, erklärt er seit Wochen in TV-Spots. Er macht sie als Vizepräsidentin für die unbeliebte Wirtschaftspolitik Bidens und die Probleme mit der illegalen Einwanderung an der Südgrenze verantwortlich und behauptet gleichzeitig, Harris sei noch viel radikaler als der Amtsinhaber. Der Republikaner dürfte mit gestärktem Selbstbewusstsein in die Debatte gehen: Seinen Anwälten ist es gelungen, die Verkündung des Strafmaßes für seinen Schweigegeldzahlungsbetrug auf die Zeit nach der Wahl zu verschieben. Und die „New-York-Times“-Umfrage sieht ihn landesweit einen Punkt vor Harris.

Die demokratische Kandidatin hingegen, deuten ihre Berater an, wolle sich als Vertreterin einer zukunftsgerichteten Politik präsentieren, die Chaos und Feindseligkeiten hinter sich lässt. Das zielt auf Trump - aber offenbart zugleich ein Dilemma: Fast zwei Drittel der amerikanischen Wähler wünschen sich einen Wechsel weg von der unpopulären Biden-Politik. Harris aber ist seit dreieinhalb Jahren als Vizepräsidentin Teil der Regierung.

Beobachter verfolgen daher mit Interesse, ob und wie weit sich die 59-Jährige vom Präsidenten absetzt. Verbal macht sie das schon in ihren Programm-Eckpunkten, die eine „Wirtschaft der Chancen“ und „niedrigere Kosten für Familien“ versprechen. Inhaltlich versucht Harris zugleich, ihr Image als Westküsten-„Linke“ zu korrigieren: Von ihrer einstigen Forderungen nach einem Fracking-Verbot und einer Bürger-Krankenversicherung ist sie abgerückt. Die Kapitalertragsteuer will sie von derzeit 21 auf nur noch 28 Prozent erhöhen - elf Punkte weniger als es Biden vorhatte.

TV-Duell: Harris-Lager hofft auf Trump-Aussetzer

Die größte Hoffnung des Harris-Lagers aber ist, dass Trump während der Debatte die Beherrschung verliert und sich selbst entlarvt. Bei seinen öffentlichen Auftritten wirkt der 78-Jährige immer ungezügelter und extremer. Er bezeichnet alle Einwanderer als Kriminelle, ergeht sich in wildesten Beschimpfungen seiner Gegner und wehrt Vergewaltigungsvorwürfe mit der Bemerkung ab, das Opfer sei „nicht mein Typ“ gewesen.

Kaum etwas würde Kamala Harris bei den unentschlossenen Wechselwählern der politischen Mitte mehr helfen, als derartige wilde, vulgäre oder frauenfeindliche Attacken ihre Kontrahenten. Das wissen auch Trumps Berater, die nach amerikanischen Medienberichten ihren Chef dringend zur Disziplin ermahnen. Doch ob sich der notorische Polit-Rüpel bremsen kann, ist ungewiss. „Ich muss sie kritisieren“, sagte er kürzlich in einem Podcast über Harris: „In meinen Augen ist sie bösartig“.