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Kommentar zum Ukraine-KriegDie Generation Frieden ist noch lange nicht am Ende

Lesezeit 4 Minuten
luftbild demo

Luftaufnahme des Chlodwigplatzes: 150.000 Menschen protestieren bei der Friedensdemo in Köln.

  1. Eine ganze Friedensgeneration muss seit Beginn des Ukraine-Krieges einer realen militärischen Aggression in Europa ins Auge blicken.
  2. Warum wir aus dem Pazifismus dennoch Hoffnung schöpfen sollten.
  3. Ein Kommentar

Köln – Die Generation Frieden, so hieß es vergangenen Donnerstag, sei aus ihrem Traum aufgewacht. Es ist nicht so, dass es in den vergangenen 80 Jahren keine Kriege gegeben hat, dass keine Menschen durch die Gewalt anderer gestorben sind. Folter, Kriegsgräuel, egomanische Machthaber, blutberauschte Soldaten und vor allem unzählige Opfer hat es immer gegeben. Und dennoch ist unsere europäische Welt am 24. Februar eine andere geworden.

Dass es einen weiteren Weltkrieg geben könnte, erschien unserer Generation lange Zeit als unwirkliche Katastrophenfantasie. Wir sind aufgewachsen mit den ständigen Mahnungen unserer Großeltern oder Eltern, dass Krieg keine Alternative sein kann. Niemals wieder.

Nie wieder ein Gewehr in die Hand nehmen

Wir haben Väter und Großväter erlebt, die uns Kindern auf dem Rummel keine Kuscheltiere geschossen haben mit der Erklärung, sie hätten sich geschworen, nie wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen. Wir alle kennen Menschen, die im Zweiten Weltkrieg geliebte Männer, Frauen, Kinder, Eltern verloren haben. Oft wurde gar nicht allzu viel darüber gesprochen. Zu tief hatte man versucht den Schmerz, aber auch eigene Schuld zu vergraben. Und trotzdem sind die Nachwirkungen dieses sinnlosen Blutvergießens im Zweiten Weltkrieg quasi in die DNA all derer übergegangen, die das Glück hatten, erst nach 1945 geboren zu sein.

Jeder hat diese persönlichen Geschichten. Als meine Großmutter Anna vor zwölf Jahren starb, hinterließ sie uns ein Gebetbuch, in dem das Geburts- und Todesdatum ihres ältesten Kindes festgehalten war. Das kleine Mädchen hieß Agnes und wurde nur wenige Monate alt. Es verhungerte im Lager, in das meine Großmutter deportiert wurde. Mein Großvater Leo breitete an ausgewählten Weihnachtsabenden Karten aus dem Kaukasus aus und erklärte, wo, wie und unter welchen Umständen er und seine Kameraden kämpfen mussten.

Hängengeblieben ist: Menschlichkeit muss Grundlage allen Handelns sein

Um den Samenkörnern dieser grauenhaften Erinnerungen aus der eigenen Familie einen Nährboden zu bereiten, rollten Schule und Jugendarbeit einen europäischen Friedensteppich aus, der unser gesamtes Aufwachsen bestimmte. Ich kann mich an einen Deutschlehrer erinnern, der bei jeder Gelegenheit betonte, unsere Generation könne die „Grenzen in den Köpfen einreißen“. Seine Pathetik war mir peinlich. Und doch sind am Ende wertvolle Selbstverständlichkeiten hängengeblieben: Toleranz, Weltoffenheit, dass Freiheit immer auch die Freiheit des Andersdenkenden ist, dass Humor und Selbstironie meistens hilft, sogar gegen zwischenzeitlich aufkommenden Größenwahn, und Menschlichkeit die Grundlage allen Handelns sein muss.

Schüleraustausch nach England, Frankreich, später Dresden, Krakau. Interrail, Auslandssemester. Und immer schwang bei allem Spaß im Grunde ein fast schon religiöser Ernst mit. Nie mehr Kämpfen. Immer Dialog. Zusammen Musik machen, Theater spielen, sportlich wettstreiten, arbeiten, am Ende auch mal ein paar Bier trinken, ganz egal. Hauptsache: Nie mehr Krieg.

Peace and Love, Jahrzehnte lang

Gefühlt verbrachte ich mein ganzes junges Erwachsenendasein in eine Peace-Fahne gehüllt. Wir demonstrierten gegen den Irak-Krieg, gegen Landminen, gegen Konflikte in Afrika, für Frieden in Jugoslawien und immer wieder für Frieden im Israel-Palästinenser-Konflikt.

Die Bundeswehr galt uns lange als komplett suspekt. Seltsam anachronistisch für eine Generation, die doch ohnehin vorhatte, immer in Frieden zu leben. Ich habe eigentlich keine Freunde, die Wehrdienst geleistet haben. Verweigern gehörte zum guten Ton. In meinem Schwimmverein gab es eine Gruppe von Jungs, die unter Johlen versuchte, ihre Schulterbänder derart auszuleiern, um das Gelenk bei der Musterung auszurenken und als untauglich weggeschickt zu werden. Die meisten meldeten sich einfach zum Zivildienst. Sie fütterten Senioren und wechselten deren Windeln – und waren damit unsere wahren Helden.

Zeiten, in denen Stärke noch in der Größe der Wumme berechnet wurde

All diese Gedanken rasen durch meinen Kopf, während ein gefährlicher Mann in Russland einen souveränen Staat in Europa angegriffen hat, demokratische Werte mit Füßen tritt, verängstigte Familien in Tiefgaragen Schutz suchen, Freundinnen im Park Molotowcocktails bauen und junge Männer in einen Krieg gezwungen werden, der sie das Leben kosten kann. Millionen Menschen fliehen. Deutschland liefert Waffen in ein Kriegsgebiet. Ein Rückfall droht in Zeiten, in denen Stärke eine Einheit war, die sich in männlichem Bizepsumfang und der Größe der Wumme berechnen ließ.

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Und doch finde ich, dass noch lange nicht alles verloren ist. Die freiheitliche Welt, die uns im festen Glauben an den Frieden aufgezogen hat, die es geschafft hat, Geschlechtergerechtigkeit als anzustrebenden Wert zu definieren, die Minderheiten schützen, das Klima bewahren und Vielfalt zulassen will, ist in den vergangenen Tagen zu Hunderttausenden auf die Straße gegangen, um für Freiheit, Demokratie, Menschlichkeit und ein soziales Miteinander einzustehen.

Die Generation Frieden mag ihre Naivität verloren haben, ihre Grundwerte aber kann und wird sie niemals Preis geben.