Köln – Kölns Farben waren am Rosenmontag nicht rot und weiß, sondern gelb und blau. Blau wie der ukrainische Himmel, gelb wie seine Weizenfelder - so setzt sich die Nationalflagge zusammen. Der Kölner Karneval hat ein gewaltiges Zeichen gegen den Krieg in der Ukraine und für den Frieden gesetzt. Rund 250 000 Demonstrierende, oft bunt kostümiert, zogen stundenlang vom Chlodwigplatz aus durch die Stadt. Eineinhalb Mal so viele wie bei der legendären „Arsch huh“-Demo auf dem Chlodwigplatz 1992. Es dürfte neben dem Christopher-Street-Day der größte Protestzug Kölns der Nachkriegszeit gewesen sein.
Karneval zeigt sich politisch
„Das ist der wichtigste Rosenmontag seit ich auf der Welt bin. Hier sind nicht die üblichen Verdächtigen versammelt, sondern ein bunter Querschnitt durch unsere Stadt“, sagte Peter Brings, der mit seiner Band und zwei Liedern („Mer singe Alaaf“, „Liebe gewinnt“) die Kundgebung zum Start des Demonstrationszugs eröffnete. „Heute kann man sehen, dass der Karneval klar politisch ist und Flagge zeigt.“ So auch mit einem noch kurzfristig gebauten Persiflagewagen: Eine weiße Taube wird von einer russischen Fahne durchbohrt.
„Es ist wichtig, Solidarität mit den ermordeten, verletzten und vertriebenen Menschen in der Ukraine zu zeigen“, sagte Abraham Lehrer, Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln. „Ich finde es bemerkenswert und toll, dass Köln in einer großen Geste aus dem Rosenmontagszug eine Friedensdemo macht.“
Der eigentlich höchste Feiertag Kölns wird zu einem deutlichen politischen Statement. „Karneval ist mehr als Party und Feiern“, betonte Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn. „Herr Putin, stoppen Sie den Wahnsinn, stoppen Sie den Krieg.“
Reker will ukrainische Flüchtlinge aufnehmen
Das sah Oberbürgermeisterin Henriette Reker ähnlich. Sie hatte schon vor ein paar Tagen einen Brief an Kiews Oberbürgermeister Vitali Klitschko – seit 2015 auch Träger des hiesigen Konrad-Adenauer-Preises – geschrieben und Hilfe angeboten. „In Köln sind zu jeder Zeit alle willkommen, die vor Krieg, Gewalt und Verfolgung fliehen müssen.“ Die Verwaltung arbeite bereits an einem Konzept, Geflüchtete aus der Ukraine aufzunehmen. Minutenlangen Beifall gab es, als Reker ausrief: „Ich empfinde grenzenlose Bewunderung für all die mutigen Russinnen und Russen, die bereits seit Freitag auf die Straßen ihres Landes gehen“, um gegen die Intervention des russischen Militärs zu protestieren.
Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sprach von einem „starken Signal, das der Kölner Karneval und die Zivilgesellschaft hier sendet.“ Eine offizielle Ansprache sollte er indes nicht halten, da bereits der Wahlkampf zur Landtagswahl kommenden Mai läuft.
Start staute sich über Stunden in der Südstadt
Bis die offizielle Spitze des Demonstrationszugs aber in die Gänge kam , dauerte es rund zwei Stunden. Tausende Demonstrierende hatten sich seitlich eingereiht und bereits den Neumarkt erreicht, als die Blauen Funken noch auf der Severinstraße standen. Karnevalsgesellschaften wie die Blauen und Roten Funken, Bürgergarde Blau-Gold oder Nippeser Bürgerwehr planten daraufhin um und versuchten, über Abkürzungen den vorderen Teil der Demonstration zu finden.
Andere Karnevalsoffizielle wie die KG Grosse Kölner gaben schon vor 13 Uhr ganz auf. „Wir warten jetzt auf den Bus und fahren in unser Domizil“, sagte deren Präsident Joachim Wüst. Zu dem Zeitpunkt drängelten sich noch einige tausend Jecke auf dem Chlodwigplatz.
Auch auf dem Neumarkt hatten sich schon morgens hunderte Menschen versammelt, um sich in die Demo einzureihen. Bis die ersten Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Platz erreichten, machten viele von ihnen Handy-Bilder mit dem „Putin-Wagen“ der dort neben weiteren Persiflage-Wagen stand: Russlands Staatschef, der sich aus den Bauklötzchen Ukraine und Belarus eine neue Sowjetunion bastelt. Erst gegen 12 Uhr kamen die ersten Demonstranten, die wegen der überfüllten Südstadt der eigentlichen Zugspitze vorweg liefen.
Viele Vereine und Prominente vor Ort
Weit mehr als eine Stunde liefen zehntausende Menschen mit tausenden Protestschildern den Neumarkt entlang, bis die Blauen Funken den Platz erreichten. Den Garden folgten unter anderem die Ensembles der Stunk-, Immi- und Deine Sitzung, letztere mit Komikerin Carolin Kebekus. Auch Kölner Schwulen- und Lesbentag, AG Arsch huh, Köln gegen Rechts, die Geisterzug-Organisatoren und eine Abordnung des 1. FC Köln liefen neben vielen weiteren Vereinen und Initiativen mit – und natürlich unzählige weitere Kölnerinnen und Kölner, aber auch Gäste aus der Region.
Auf Transparenten und Plakaten war etwa „Stop War“, „Make Fastelovend not war“, „MИР“ (russisch: Frieden) oder ein kölsches „Putin, loss dä Driss“ zu lesen. Auch der Spruch „Nit scheeße! Seht Ihr nit, dat he Minsche stonn?“ – ein Spruch, denn angeblich Kölner Stadtsoldaten französischen Truppen zugerufen haben sollen, feierte nach gut 200 Jahren ein Comeback.
Eine Demo, die zu Köln passt
Von der Befürchtung, dass die Friedensdemonstration zu einem verkappten Rosenmontagszug werden könnte, war nichts mehr zu spüren. Trotz der hunderttausenden Teilnehmenden war der Friedenszug erstaunlich ruhig, auch, als er den letzten Teil der Strecke über die Ringe in Richtung Mohrenstraße passierte. Vereinzelt lief Karnevalsmusik, einige Friedensgesänge wurden angestimmt, auf Parolen verzichteten die Demonstrierenden. Die 250 000 Menschen brachten die nötige Ernsthaftigkeit zur Friedensdemonstration mit, ohne eine erdrückende Schwere. So, wie es zu Köln passt.