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Ukraine-KriegMilitärexperte Masala bringt Entsendung von Bodentruppen in Ukraine ins Gespräch

Lesezeit 4 Minuten
28.05.2022, Baden-Württemberg, Stuttgart: Carlo Masala, Politikwissenschaftler, nimmt an der Podiumsdiskussion «Die Ukraine - Europas klaffende Wunde» im Rahmen des Katholikentags teil. Foto: Marijan Murat/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Politikwissenschaftler Carlo Masala befürwortet die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine unter bestimmen Bedingungen (Archivbild).

Europa gerät militärisch immer stärker in Not. Verteidigungsminister Pistorius bat Kollegen zum Gespräch. Carlo Masala befürwortet Bodentruppen.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), die Verteidigungsminister Frankreichs, Großbritanniens und Polens sowie die Verteidigungsstaatsekretärin Italiens wollen angesichts des bevorstehenden Amtsantritts von Donald Trump zum US-Präsidenten sowie der zunehmenden militärischen Überlegenheit Russlands in der Ukraine enger zusammenarbeiten und zugleich die Ukraine stärken. Das machten sie am Montagabend nach einem Treffen in Berlin deutlich, zu dem Pistorius eingeladen hatte.

„Je früher wir uns darauf einstellen, desto besser“, sagte der SPD-Politiker mit Blick auf das Wirken Trumps, von dem befürchtet wird, dass er die Militärhilfe für die Ukraine verringert oder einstellt und Europa militärisch sich selbst überlässt. Gemünzt auf den Einsatz von 10.000 nordkoreanischen Soldaten aufseiten Russlands fügte Pistorius hinzu: „Das ist kein regionaler Konflikt mehr, er hat eine internationale Dimension bekommen.“ Der russische Präsident Wladimir Putin eskaliere weiter.

Russische Zinseinkünfte für Ukraine

Deshalb werde man die ukrainische Rüstungsindustrie stärken und die Zusammenarbeit weiter ausbauen – und zwar in einem ersten Schritt mit den Zinseinkünften aus eingefrorenem russischem Vermögen. Geplant sei unter anderem, die Entwicklung und Beschaffung von Drohnen zu fördern, die von Künstlicher Intelligenz gesteuert werden. Auch bei der Munitionsproduktion soll die Kooperation intensiviert werden. Pistorius sagte: „Die Ukraine muss aus einer Position der Stärke agieren können.“ Zu dem Treffen wurde der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umerow für eine halbe Stunde zugeschaltet.

Bravo Boris, dass Sie unsere fünf Länder zusammengebracht haben
John Healey

Ungeachtet der geplanten Steigerung der Verteidigungsausgaben sagte der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu: „Es geht nicht nur um Geld. Es geht auch um Mut.“ Sein britischer Amtskollege John Healey dankte Pistorius für die Initiative zu dem Treffen. „Bravo Boris, dass Sie unsere fünf Länder zusammengebracht haben“, sagte er. Man sei „bereit und geeint, Europa zu verteidigen“. Der Krieg in der Ukraine trete in eine kritische Phase ein. Darauf müsse man entschlossen reagieren.

Polens Verteidigungsminister Władysław Kosiniak-Kamysz sagte, man wolle „keine Angst machen“, müsse aber „auf jede Situation vorbereitet sein“. Die italienische Staatssekretärin Isabella Rauti mahnte: „Die Macht des Stärkeren darf nicht zum Zuge kommen.“

Tatsächlich herrscht zwischen den fünf Staaten im Herzen Europas nicht so viel Einigkeit, wie es scheint – vor allem nicht, was das Verhältnis zu Russland und die Unterstützung der Ukraine angeht. So kommentierte der polnische Ministerpräsident Donald Tusk das jüngste Telefonat von Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit Putin mit den Worten: „Niemand wird Putin mit Telefonanrufen aufhalten.“ Die jüngsten Angriffe auf die Ukraine hätten gezeigt, „dass Telefon-Diplomatie echte Unterstützung des gesamten Westens für die Ukraine nicht ersetzen kann“, schrieb er bei X.

Bodentruppen nicht ausgeschlossen

Briten und Franzosen erwägen einem Bericht der französischen Tageszeitung „Le Monde“ zufolge die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine. Lecornu wollte dies am Montagabend weder bestätigen noch dementieren und verwies auf einschlägige Äußerungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Februar.

Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Das war ein sehr wichtiges Treffen. Denn jetzt schlägt die Stunde Europas. Angesichts eines weiterhin aggressiven Wladimir Putin und eines unberechenbaren Donald Trump muss Europa mehr Verantwortung übernehmen und sich um seine eigene Sicherheit kümmern. Das geht nur gemeinsam, nicht einzeln. Dabei sollte die neue EU-Kommission mit einbezogen werden.“ In ihr soll es erstmals einen Kommissar für Verteidigungspolitik geben.

Carlo Masala: „Wir brauchen eine Rückfalloption“

Der Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München sagte dem RND: „Wir brauchen eine Rückfalloption für den Fall, dass die USA ihre Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen. Dabei geht es um eine Koalition der Willigen, die im Zweifel auch bereit ist, Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden. Da ist gerade viel in Bewegung, in Frankreich, Großbritannien und Polen.“ Er sagte weiter: „Deutschland ist bei den meisten Entwicklungen außen vor. Boris Pistorius verfolgt offenbar das Ziel, Deutschland wieder ins Spiel zu bringen.“ So hatte etwa Tusk zuletzt eine diplomatische Offensive Richtung Großbritannien, Frankreich, Baltikum und Skandinavien angekündigt, Deutschland aber nicht genannt.

Scholz hatte im einsetzenden Bundestagswahlkampf mehrfach beteuert, dass Deutschland unverändert solidarisch an der Seite der Ukraine stehe – zugleich aber hervorgehoben, dass er eine Eskalation des Ukraine-Krieges vermeiden und Hilfe lediglich dann gewähren wolle, wenn dies nicht zulasten der deutschen Bevölkerung gehe. Pistorius sagte nun, abgesehen von der AfD und dem BSW sehe er in Deutschland eine wachsende Verteidigungsbereitschaft. „Wir müssen mehr tun, und wir müssen das schnell tun.“ Dazu gebe es keine Alternative.