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Kommentar

Kommentar zu Attacken auf Moskau
Das war ein Drohnenangriff auf die russischen Köpfe

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Lesezeit 3 Minuten
Die Drohnenangriffe sollen Verwirrung stiften: Kremlchef Wladimir Putin.

Die Drohnenangriffe sollen Verwirrung stiften: Kremlchef Wladimir Putin.

Die Attacken auf Ziele in Moskau sind militärisch unbedeutend. Doch als Mittel der psychologischen Kriegsführung erreichen sie ihr Ziel.

Zu den rätselhaftesten Tweets der vergangenen Tage zählt einer des russischen Regimegegners llja Ponomarjow. Der 47-Jährige saß vor seiner Flucht ins Ausland als Abgeordneter in der Moskauer Staatsduma. Heute ruft er seine Landsleute, vom ukrainischen Exil aus, zur gewaltsamen Entmachtung Wladimir Putins auf. Zu diesem Zweck, schreibt Ponomarjow, biete seine Organisation Lektionen im Umgang mit Drohnen an.

Zum Kursprogramm „im Fernunterricht“ gehört laut Ponomarjow neben der „Kontrolle des Flugs in schwierigen Stadtumgebungen“ auch die Herstellung von Sprengsätzen für Drohnen im eigenen Haus. Die Botschaft endet mit den Worten: „Für Russland! Für die Freiheit!“

Prahlt da einer nur? Oder hat Ponomarjow tatsächlich etwas zu tun mit den aktuellen Drohnenattacken auf Ziele in Moskau? Diese Fragen entfalten Wirkungen, auch wenn sie nicht beantwortet werden können. Diverse Tweets russischer Regimegegnerinnen und -gegner wie Ponomarjow steigern derzeit die neue Verunsicherung in Moskau.

Wachsende Unruhe innerhalb Russlands

Die russische Regierung deutete nach den Drohnenattacken der letzten Tage auf Kiew und sprach von ukrainischem Terror. Was aber, wenn russische Regimegegnerinnen und -gegner dahinterstecken oder jedenfalls mitwirken?

Plötzlich könnte sich die Wahrnehmung drehen: Nicht mehr der böse äußere Feind wäre verantwortlich für die Attacken. Vielmehr könnten Drohnen, die sich drohend über die Residenzen der Reichen und Mächtigen in Moskau erheben, wie zuletzt über dem Nobelviertel Rubljowka, als Signal wachsender Unruhe innerhalb Russlands gedeutet werden. Das erhöht den Stress für eine Führung, die sich dann an zwei Fronten gleichzeitig herausgefordert sähe.

Wie es wirklich ist, spielt nur eine nebensächliche Rolle. Der Erfolg psychologischer Kriegsführung bemisst sich nach emotionalen Wirkungen, nicht nach Tatsachen.

Schon bei der rätselhaften Drohnenattacke auf die Kremldächer Anfang April sprach vieles dafür, dass die Drohnen zwar aus der Ukraine stammten, aber nicht dort gestartet wurden. Wer aber sind die Unbekannten, die nächtens, vielleicht aus einem Wäldchen bei Moskau, vielleicht auf einem unbewachten Hinterhof, ihre unbemannten Flugobjekte starten lassen?

Atomraketen helfen jetzt wenig

Als Putin 2014 die Krim besetzte, gefiel es ihm, „grüne Männchen“ einzusetzen: Soldaten, die nicht als solche erkennbar waren. Wichtige Helfer Putins waren auch ukrainische Zivilisten, die sich von Moskau bezahlen ließen. Unübersichtlichkeiten dieser Art sind Elemente hybrider Kriegsführung. Auf diesem Feld sah sich Putin, der gelernte KGB-Agent, in seinem Element.

Nun wird er seinerseits mit Methoden dieser Art konfrontiert. Seine Atomraketen helfen ihm an dieser Stelle wenig. Putin steht da wie der stolze Besitzer eines schweren Vorschlaghammers – dem plötzlich immer wieder Wespenschwärme vor seiner Nase herumtanzen.

Kadyrow fordert Verhängung des Kriegsrechts in ganz Russland

Putins Vertrauter Ramsan Kadyrow, der grausame Machthaber der russischen Teilrepublik Tschetschenien, fordert bereits die Verhängung des Kriegsrechts in ganz Russland, „um härter gegen die Ukraine vorzugehen“. Der Vorschlag lässt tief blicken.

Dramatische Änderungen brächte eine Verhängung des Kriegsrechts in Wahrheit nicht für die Ukraine, sondern für Russland selbst. Wollen die an Modernität gewöhnten Metropolen Moskau und St. Petersburg den Weg gehen, den jetzt der Massenmörder und Folterer Kadyrow aus dem Nordkaukasus empfiehlt? Fest steht bislang nur eins: Das Riesenreich Russland ist verwirrt.