Großbritannien bietet Deutschland einen Tausch von Marschflugkörpern an, um die Ukraine zu unterstützen. Die Opposition macht Druck.
„Für Deutschland ist es peinlich“Neues Gezerre um Taurus-Lieferung – Ringtausch mit Großbritannien?
Der CDU-Außenexperte und Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen wurde am Donnerstag gewohnt deutlich. Zu Überlegungen, dass Deutschland die von der Ukraine erbetenen Marschflugkörper vom Typ Taurus an Großbritannien liefern könnte, damit London dem von Russland angegriffenen Land weitere Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow überlässt, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Für Deutschland ist es peinlich, wenn Großbritannien sich Gedanken macht, wie man dem Bundeskanzler aus der Patsche helfen kann.“ Offensichtlich seien die Briten „zu dem Schluss gekommen, dass die Koalition in Berlin aus eigenen Kräften nicht zu einer Entscheidung kommen wird. Das sagt leider alles über das internationale Ansehen der Bundesregierung.“
Das „Handelsblatt“ hatte am Mittwoch unter Berufung auf Diplomaten und Regierungsvertreter berichtet, Großbritannien habe den Ringtausch bereits vor Wochen angeboten. Dieses Angebot werde noch geprüft. Das Kanzleramt wollte den Bericht, der sich offenbar mit Informationen der Deutschen Presse-Agentur deckt, zunächst nicht kommentieren. Das nationale und internationale Gezerre ist damit aber in jedem Fall um eine Facette reicher.
Taurus: Durchschlagskräftige Waffen
Die Ukraine hatte die Bundesregierung bereits im Mai vergangenen Jahres offiziell um Taurus-Marschflugkörper gebeten. Die Waffen gelten als sehr durchschlagskräftig und können Ziele in bis zu 500 Kilometern Entfernung mit großer Präzision treffen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich Anfang Oktober vorerst gegen eine Lieferung entschieden. Dahinter steckt dem Vernehmen nach die Befürchtung, dass der Beschuss russischen Territoriums mit den deutschen Raketen zu einer weiteren Eskalation des Konflikts führen könnte und Deutschland mit hineingezogen würde.
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Moskau liegt etwas weniger als 500 Kilometer Luftlinie von der ukrainischen Grenze entfernt, also in Taurus-Reichweite. Zur anderen Seite hin könnten diese die von Russland besetzte Krim treffen. Aus der Rüstungsindustrie verlautet, solche Lieferungen würden „sehr sensibel und zurückhaltend gehandhabt“ – und das zu Recht.
Scholz-Kritiker wenden hingegen ein, dass man die Marschflugkörper technisch so konfigurieren könne, dass Missbrauch ausgeschlossen wäre. Überdies, so heißt es weiter, könne sich die Ukraine einen solchen Missbrauch gar nicht leisten, ohne die deutsche Hilfe insgesamt zu gefährden. Und die ist längst beachtlich.
Pistorius agiert entschlossener als Scholz
Der Kanzler zögerte nach Beginn des russischen Angriffs am 24. Februar 2022 ein ums andere Mal, dem Land überhaupt Waffen zur Verfügung zu stellen. Meist musste er in jedem Einzelfall dazu gedrängt werden. So war es beispielsweise bei den Schützenpanzern vom Typ Marder und Kampfpanzern vom Typ Leopard. Auch sind Nato-interne Ringtausche zugunsten der Ukraine längst Praxis.
Gleichwohl wies Regierungssprecher Steffen Hebestreit erst am Mittwoch darauf hin, dass sich die deutschen Waffenlieferungen bis zum Jahresende auf 7,4 Milliarden Euro summiert haben werden. Das sei mehr als die Hälfte der Waffenlieferungen aus der EU insgesamt. Die Partner müssten also mehr tun, so die Botschaft, nicht Deutschland. Davon unabhängig steht fest, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sehr viel entschlossener agiert als Scholz.
Die aktuelle Debatte rührt neben der Wirksamkeit der Taurus nun vor allem daher, dass die Ukraine militärisch immer mehr in die Defensive gerät, so dass sich der Krieg noch in diesem Jahr zugunsten Russlands entscheiden könnte – mit allen militärischen und politischen Konsequenzen für den Westen. Eklatant ist der ukrainische Mangel an Munition.
Deutschland kann nicht liefern
In der vorigen Woche haben die Ampelfraktionen im Bundestag einen Antrag der Unionsfraktion mit dem Ziel der Taurus-Lieferung noch abgelehnt. Das entspricht dem gängigen Tabu in jeder Koalition: niemals mit der Opposition stimmen. Trotzdem erklärte der grüne Europaausschuss-Vorsitzende Anton Hofreiter jetzt, die Ringtausch-Überlegungen zeigten „exemplarisch die Schwäche“ von Scholz bei der Unterstützung der Ukraine. Die Botschaft sei: „Großbritannien kann liefern, aber Deutschland nicht.“ Die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sara Nanni, sagte dem RND hingegen: „Besser so eine Lösung als weiter diskutieren. Die Ukraine braucht rasch konkrete Lieferungen, um sich weiter verteidigen zu können. Was hilft, das sollte auch gemacht werden!“
Zuvor hatte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), einen Ringtausch mit folgender Begründung abgelehnt: „Die Ukraine braucht Taurus, und zwar sofort. Storm Shadow ist kein gleichwertiger Ersatz. Insofern ist der Vorschlag untauglich.“
Röttgen äußerte sich jetzt ähnlich. „In der Sache ist der britische Vorschlag nur die zweitbeste Lösung“, sagte er. „Die mit Abstand beste Lösung ist es, die deutschen Marschflugkörper Taurus in größtmöglichem Umfang an die Ukraine zu liefern und für Deutschland sofort nachzubestellen.“ Die Produktionsfirma jedenfalls sei lieferfähig und -willig.