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ARD-Korrespondent Vassili Golod„Die Dinge, die meine Großeltern über die Ukraine gesagt haben, waren faschistisch“

Lesezeit 6 Minuten
ARD-Korrespondent Vassili Golod steht während einer bei Recherchereise neben Viktoria. Die Frau lebte 15 Kilometer entfernt von der Grenze zu Russland, den Kontakt zu ihren Verwandten dort hat sie abgebrochen.

ARD-Korrespondent Vassili Golod steht während einer bei Recherchereise neben Viktoria. Die Frau lebte 15 Kilometer entfernt von der Grenze zu Russland, den Kontakt zu ihren Verwandten dort hat sie abgebrochen.

Golod ist wie sein Vater in Charkiw geboren, die Familie mütterlicherseits stammt aus dem Ural. Er berichtet aus dem Kriegsgebiet und Russland.

Seine schwerste Reise, sagt Vassili Golod, Ukraine-Korrespondent der ARD, führte ihn nicht ins Kriegsgebiet, sondern nach Russland. Golod ist im ukrainischen Charkiw geboren, wie sein Vater. Seine Mutter aber stammt aus dem russischen Nischni Tagil, 140 Kilometer nördlich von Jekaterinburg. „Dort“, präzisiert der Berichterstatter, „wo auch die russischen Panzer hergestellt werden.“

Aufgewachsen ist Golod im niedersächsischen Bad Pyrmont, „meine liebste Kurstadt“, wohin die Familie 1995 emigriert ist. Doch Jahr für Jahr besuchte der Enkel seine Großeltern im Ural. Inzwischen sind sie beide gestorben. Golod glaubte, das Land gut zu kennen. Doch noch nie habe er sich in Russland so unwohl gefühlt, wie in der Woche nach der Invasion.

„Als Russland den Großangriff auf die Ukraine begann, lebte mein Opa noch“, erzählt Golod. „Ich merkte bei ihm, wie das Kartenhaus zusammengefallen ist. Was machen russische Panzer in der Ukraine, fragte er, die haben da doch nichts verloren? Aber als ich eine Woche später wieder mit ihm sprach, habe ich gemerkt, wie die Propaganda ihn wieder auf Linie gebracht hatte.“

Mit Fakten gegen die staatliche Desinformation

Immer habe er versucht, seinen Großeltern und anderen Verwandten mit Fakten zu begegnen, die staatliche Desinformation auszugleichen.

Einfach sei das nie gewesen. „Dieser Krieg hat nicht erst am 24. Februar 2022 begonnen, sondern schon vor etwa zehn Jahren mit der Propaganda im russischen Staatsfernsehen. Die hat die Menschen aggressiv gemacht. Putin hat die Zivilgesellschaft völlig zerstört. Die Dinge, die meine Großeltern über die Ukraine gesagt haben, waren nicht nur böse. Sie waren faschistisch.“

Dass der von der Propaganda gesäte Hass in der russischen Bevölkerung solche Wurzeln schlagen konnte, auch in Teilen der eigenen Familie, sei eine schmerzvolle Erfahrung gewesen. „Das ist für mich aber zugleich der größte Antrieb, für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu arbeiten“, sagt Golod, „weil ich ihn als unglaublich wichtige Säule unserer demokratischen Gesellschaft begreife.“

Golod ist ein vorsichtiger Mensch – Angst hat er aber nicht

Wir treffen uns im Funkhaus-Café am Wallrafplatz, zwei Tage, bevor Vassili Golod zurück in die Ukraine reist. Nein, Angst habe er keine mehr, sagt der junge Mann – im März feiert er seinen 30. Geburtstag – obwohl er sich selbst als eher vorsichtigen Menschen einschätze. „Die Menschen in der Ukraine müssen jeden Tag mit dieser Bedrohung leben. Ich dagegen habe das Privileg, immer wieder rausfahren zu können, ohne Sirenen, ohne Alarm und ohne Einschläge zu schlafen.“

Während wir reden, klingelt Golods Telefon, es geht um einen ukrainischen Kollegen, der eingezogen werden soll. Das Privileg, von dem der Korrespondent spricht, ist also keine Höflichkeitsfloskel. Er reise gerne zurück, fährt er anschließend fort, weil die Arbeit wichtig sei und das Team sehr motiviert: „Uns allen ist daran gelegen, über die Fakten in diesem Angriffskrieg zu informieren.“

Vassili Golod ist ein Frühberufener. Er rede viel, sei neugierig und manchmal auch etwas nervig, bescheinigte ihm ein Lehrer, und empfahl die Radio AG. Mit 16 jobbte der Schüler bereits fürs Lokalradio und für die örtliche Zeitung. „Mir war klar: Ich möchte Journalist sein und am liebsten Korrespondent werden.“

Nach seinem Volontariat arbeitete Golod anderthalb Jahre lang im ARD-Studio in London, bevor er als Chef vom Dienst für aktuelle Sendungen zum WDR ging. Gleichzeitig gehörte er als Reporter dem Team der „Tagesschau“ an, unterstützte von Köln aus gelegentlich auch das Moskauer Studio, das damals noch für das gesamte Berichtsgebiet zuständig war.

Für eine Reise in die Ukraine fehlte das Sicherheitstraining

Das änderte sich mit dem 24. Februar schlagartig. Vassili Golod berichtete aus Köln und aus Warschau über den Krieg, diskutierte in „hart aber fair“ über die politische Lage – nur in die Ukraine selbst konnte er zunächst nicht reisen, weil ihm das nötige Sicherheitstraining fehlte. Das absolvierte er im April, kurzfristig organisiert von ARD und ZDF und durchgeführt auf dem Mainzer Lerchenberg. Direkt neben den Kulissen des „ZDF-Fernsehgarten“ übte der Reporter das Verhalten an Checkpoints oder unter Beschuss.

Als Golod dann Anfang Juni zum ersten Mal in die Ukraine einreist, dauerte es nicht lange, bis er die ersten Raketeneinschläge erlebt. Er lernt abzuwägen, wann er berichten, wann sich und sein Team besser in Sicherheit bringen sollte. Was er den Zuschauern in Deutschland vermitteln will, ist ihm schnell klar: „Der Krieg ist im Leben aller Menschen, er ist an jeder Stelle spürbar.“

Für seine ARD-Dokumentation „Ukraine – Krieg im Leben“ ist er einem Elektriker begegnet, der in der Sorge lebt, dass eine Rakete jederzeit im Kindergarten seiner Töchter einschlagen könnte. Oder einem Lehrerpaar, dessen Sohn erschossen wurde und dass nun die gesamte Kraft darin investiert, die Kellerräume ihrer zerstörten Schule zu Klassenräumen auszubauen, damit die Schüler auch bei Luftalarm weiterlernen können.

Selenskyj kommt ohne Small Talk direkt zur Sache
Vassili Golod, Reporter

Auch Wolodymyr Selenskyj hat Golod getroffen und konnte die Erschöpfung und die Müdigkeit in den Augen des ukrainischen Präsidenten sehen. „Gleichzeitig wirkt er unermüdlich, kommt ohne Small Talk sofort zur Sache. Du kannst ihm im Interview beim Denken zusehen, er gibt sich Mühe, so zu reden, dass er auch verstanden wird. Er antwortet nicht wie ein klassischer Politiker und sagt auch, dass er gerade keine Zeit dafür hat, ein klassischer Politiker zu sein.“

Golod denkt nach, bevor er antwortet, interessiert sich für sein Gegenüber, spricht druckreif. Ein Bilderbuchjournalist. Aber die Entrüstung über diesen Krieg, die spürt man bei ihm in jedem Satz. Ob er da noch objektiv berichten könne? „Journalismus ist ein Handwerk. Ein guter Journalist macht sich vor Ort ein eigenes Bild, recherchiert und ordnet komplexe Sachverhalte korrekt und verständlich ein. Wer sich mit den Fakten beschäftigt, sieht, dass dieser Krieg von Russland ausgeht. Die Ukraine hat moralisch und juristisch jedes Recht sich selbst zu verteidigen. Es ist kein Zufall, dass sie in dieser Selbstverteidigung von allen Demokraten auf der Welt unterstützt wird.“

Dann erzählt er von der älteren Dame, die zu Fuß in den 16. Stock steigen muss, um sich in ihrer Kiewer Wohnung über einem aus einer alten Konservendose lodernden Feuer Tee zu kochen. „Solche Dinge passieren in einer europäischen Hauptstadt. Weil sich ein Aggressor einfach das nimmt, was er will, ohne Rücksicht auf Verluste“, sagt Vassili Golod. Und fügt hinzu: „Ich schäme mich dafür, dass in Deutschland Menschen, die sich als Demokraten sehen, ernsthaft einseitig die Ukraine zu Friedensverhandlungen auffordern. Nur Russland kann diesen Angriffskrieg beenden. Und zwar jederzeit.“

„Ukraine – Krieg im Leben“, Vassili Golods 45-minütige Reise durch ein Land im Kriegszustand, führt ihn unter anderem zurück in seine Geburtsstadt Charkiw. Sie finden sie in der ARD-Mediathek.