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Kriegsblogger entlarven Kreml-Lüge„Hölle auf Erden“ im Grenzgebiet – Ukraine dringt kilometerweit nach Russland vor

Lesezeit 4 Minuten
Dieser vom russischen Verteidigungsministerium veröffentlichte Screenshot soll einen Drohnenangriff auf gepanzerte Fahrzeuge der Ukraine in der Region Kursk in Russland zeigen.

Dieser vom russischen Verteidigungsministerium veröffentlichte Screenshot soll einen Drohnenangriff auf gepanzerte Fahrzeuge der Ukraine in der Region Kursk in Russland zeigen.

Die Gefechte im Grenzgebiet dauern an. Der Kreml leugnet zunächst – gesteht die Attacke nun aber ein. Tausende Russen sind auf der Flucht.

Nach schweren ukrainischen Angriffen auf die russische Grenzregion Kursk hat das Verteidigungsministerium in Moskau Berichte zu anhaltenden Kampfhandlungen dort bestätigt. „Die Operation zur Vernichtung der Gruppierungen der Streitkräfte der Ukraine wird fortgesetzt“, teilte das Ministerium in Moskau mit. Demnach gab es Gefechte in grenznahen Ortschaften auf russischem Gebiet gegen ukrainische Eindringlinge.

Noch am Vortag hatte das Verteidigungsministerium behauptet, dass ein Versuch, die Grenze zu durchbrechen, gescheitert sei. Nun hieß es, dass ein tiefes Eindringen auf russisches Staatsgebiet verhindert worden sei. Wie bereits oft in der Vergangenheit hatten sich die Angaben des Kremls ohnehin nicht mit den Berichten aus der Region gedeckt.

Ukrainische Truppen sollen kilometerweit nach Russland vorgedrungen sein

Zuvor hatten russische Militärblogger bereits am Dienstag gemeldet, dass ukrainische Kämpfer mindestens zehn Kilometer hinter die Grenze im Gebiet Kursk vorgedrungen seien. Die Angaben variierten dabei stark, mindestens einige Kilometer sind die ukrainischen Truppen demnach aber offenbar in das russische Grenzgebiet vorgerückt.

Am Dienstag zirkulierten entsprechende Videos aus der Region in den sozialen Netzwerken. Es waren brennende Fahrzeuge und tieffliegende Kampfjets über der Region zu sehen. Unabhängig überprüft werden können die Aufnahmen derzeit jedoch nicht.

Moskau leugnet erst - und räumt dann Angriff auf Kursk ein

Laut Verteidigungsministerium in Moskau kämpfen nun Soldaten gemeinsam mit Grenzschützern in dem Gebiet gegen die Eindringlinge. Sie hätten mit Unterstützung durch Flugzeuge, Raketenstreitkräfte und Artillerie feindliche Gruppierungen vernichtet. Der Gegner habe mindestens 260 Mann sowie 50 Einheiten Technik verloren, darunter sieben Panzer, behauptete der Kreml, ohne die Angaben mit Bildmaterial zu belegen.

Unabhängig überprüfbar sind die Zahlen aus Moskau daher nicht. Der Kreml hat seit Kriegsbeginn zudem immer wieder falsche Angaben gemacht, so auch am Vortag, als Moskau zunächst behauptet hatte, der ukrainische Angriff sei direkt an der Grenze gestoppt worden.

Gouverneur: Wladimir Putin über Lage in Kursk informiert

Aus den beschossenen Ortschaften in der Region flohen nach russischen Behördenangaben unterdessen in den letzten Stunden Tausende Menschen. Es soll mehrere Tote und mehr als 20 Verletzte gegeben haben. Der Gouverneur der Region Kursk, Alexei Smirnow, forderte seine Landsleute bei Telegram zur Blutspende auf.

Der Gouverneur von Kursk, Alexei Smirnov, veröffentlichte bei Telegram ein Foto, das Schäden in der Region zeigen soll.

Der Gouverneur von Kursk, Alexei Smirnov, veröffentlichte bei Telegram ein Foto, das Schäden in der Region zeigen soll.

Kremlchef Wladimir Putin sei von ihm über die Situation in der Nacht persönlich informiert worden, erklärte Smirnow zudem. Angeblich halte der „Herrscher der russischen Föderation die Lage unter persönlicher Kontrolle“, erklärte Smirnow. Putin habe versprochen, die Region „in alle Richtungen“ zu unterstützen.

Gefechte dauern an: „Hölle auf Erden“ im russischen Grenzgebiet

Russische Kriegsblogger schilderten unterdessen auch am Mittwoch weiterhin andauernde Gefechte in der Region. Mehrere Dörfer im Grenzgebiet sollen derzeit von ukrainischen Truppen besetzt sein. In den sozialen Netzwerken kursieren Aufnahmen, die Rauch über diversen Ortschaften in der Region zeigen sollen.

Mitunter wird die Lage in der Region als „Hölle auf Erden“ beschrieben. Ein Video soll zudem zeigen, wie eine Einheit russischer Soldaten, die sich zuvor ergeben haben sollen, von ukrainischen Truppen abgeführt wird.

Geraune unter russischen Kriegsbloggern: Autobahn? Atomkraftwerk?

Auch hätten die Angreifer versucht, die Kontrolle über eine Autobahn in der Region zu übernehmen, hieß es am Mittwoch in manchen russischen Telegram-Kanälen, wo von bis zu 15 Kilometer tiefen Vorstößen der Ukrainer die Rede ist. Einige russische Kriegsblogger verbreiten zudem die Theorie, dass die Ukraine das Atomkraftwerk in Kursk einnehmen wolle. Unabhängig überprüfbar sind auch diese Angaben nicht.

Aus der Ukraine gab es dazu zunächst keine offizielle Stellungnahme. Medien in der Ukraine berichteten derweil über den Abschuss eines russischen Kampfhubschraubers in der Region, auch mehrere gepanzerte Fahrzeuge sollen zerstört worden sein.

„Russisches Freiwilligenkorps“ von Kölner Neonazi soll nicht beteiligt sein

Die Ukraine hat in ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Angriffskrieg immer wieder auch Ziele im benachbarten Land angegriffen. Dass reguläre ukrainische Truppen jedoch tief nach Russland vorrücken, wäre ein Novum. Bisher waren derartige Operationen stets von Freiwilligeneinheiten wie dem „Russischen Freiwilligenkorps“ oder der „Legion Freiheit Russlands“ durchgeführt worden, die sich aus russischen Staatsbürgern zusammensetzen, die gegen Kremlchef Putin für die Ukraine kämpfen.

Dennis Kapustin, alias Dennis Nikitin (links) in Ljubetschanje

Der einst in Köln ansässige russische Neonazi Denis Kapustin (l.) leitet das „Russische Freiwilligenkorps“, das gegen Wladimir Putin kämpft. (Archivbild)

Offiziell sind die Einheiten kein Teil der ukrainischen Armee, werden vom Geheimdienst in Kiew aber mit Informationen versorgt. Das „Russische Freiwilligenkorps“ wird von dem einst in Köln ansässigen Neonazi Denis Kapustin geleitet. Am Dienstag hatte die ukrainische Zeitung „New Voice“ eine Quelle im ukrainischen Geheimdienst zitiert, wonach zumindest diese Einheit nicht an dem aktuellen Angriff beteiligt sein soll.

Schweigen in der Ukraine: Entlastung für die Truppen an der Front?

Über die Beweggründe für den Angriff wird derweil auch in ukrainischen Medien am Mittwoch noch gemutmaßt. Einige Militärexperten vermuten, dass es bei dem Vorstoß vor allem um die Entlastung der Truppen an der Front in der Region Charkiw und Donezk gehen könnte. Russland sei nun gezwungen, auf den Angriff auf Kursk zu reagieren.

Auch russische Angriffe auf Ziele in der Ukraine, die von der Region ausgehen, könnten so zunächst unterbunden worden, sagte Oleksandr Musienko, Leiter des ukrainischen Zentrums für Militär- und Rechtsforschung, dem Radiosender „NV“ bereits am Dienstag. „Es handelt sich also um Maßnahmen, die den Feind aus bestimmten Stellungen vertreiben sollen. Derartige Angriffe werden als Präventivmaßnahme durchgeführt“, sagte Musienko.