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Kommentar

Putins Krieg
Der Westen muss geschlossen an der Seite Kiews stehen

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Lesezeit 3 Minuten
Wolodymyr Selenskyj (r), Präsident der Ukraine, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kommen zu einer gemeinsamen Pressekonferenz. Bundeskanzler Scholz, Frankreichs Präsident Macron, der italienische Ministerpräsident Draghi und der rumänische Staatschef Iohannis sind am Donnerstagmorgen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew eingetroffen. Dort wollen sie mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj über weitere Unterstützung für das von Russland angegriffene Land sprechen.

Wolodymyr Selenskyj (r), Präsident der Ukraine, und Olaf Scholz (SPD) beim Besuch des Kanzlers in Kiew im Juni 2022.

Der Westen muss Putin auch politisch zeigen, dass er seinen Angriffskrieg nicht gewinnen kann.

„Im Westen nichts Neues“ ist ein Klassiker der Weltliteratur, ein Roman von Erich Maria Remarque aus dem Jahr 1928, der die Schrecken und die Sinnlosigkeit des Ersten Weltkriegs schildert. Eine deutsche Verfilmung des Romans läuft derzeit auf Netflix. Sie ist in diesem Frühjahr für neun Oscars nominiert.

Dass die Schrecken des Abnutzungskrieges an der Westfront zwischen 1914 und 1918, bei dem auf den Feldern in Frankreich und Belgien Millionen Soldaten ihr Leben ließen, erneut künstlerisch verarbeitet wurden, ist kein Zufall. Der Film fällt in eine Zeit, in der seit fast einem Jahr erneut ein Krieg in Europa tobt.

Ein Szenario, das Erinnerungen an die Zeit des Ersten Weltkriegs hervorruft

Der Erste Weltkrieg und Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine liegen mehr als Hundert Jahre auseinander, sie sind weder in ihrer Entstehung noch bei den militärischen Mitteln vergleichbar. Und dennoch droht an der 1500 Kilometer langen Frontlinie zwischen den ukrainischen Verteidigern und den russischen Aggressoren ein Szenario, das Erinnerungen an die Zeit des Ersten Weltkriegs hervorruft: Militärexperten gehen hier ebenfalls von der Möglichkeit eines langen Abnutzungskriegs aus, für den die Ukraine dringend die Unterstützung des Westens mit Kampfpanzern, Artillerie und Luftabwehrsystemen braucht.

Carsten  Fiedler

Carsten Fiedler

Carsten Fiedler, Jahrgang 1969, ist Chefredakteur des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Geschäftsführender Chefredakteur des Newsrooms der Kölner Stadt-Anzeiger Medien. Begonnen hat Fiedlers Karriere in der...

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Was aber in den vielen militärischen Fachdebatten nur selten zu hören ist: Abnutzungskrieg bedeutet nicht nur, dass Material verschlissen wird. Er bedeutet auch, dass beinahe täglich eine große Zahl an Menschen stirbt. „Jeder Tag, der in diesem Krieg vergeht, kostet Leben. Das ist eine Realität“, sagt der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Eine Realität, die wir im Alltag allzu gerne verdrängen. Und die – hier schließt sich der Kreis – durch den Film „Im Westen nichts Neues“ in ihrer ganzen Brutalität und Sinnlosigkeit gezeigt wird.

Wladimir Putin ist der Aggressor

Jedoch bedeutet dies nicht, dass die Ukraine und Russland es gleichberechtigt in der Hand hätten, den Krieg zu beenden. Wladimir Putin ist der Aggressor. Er hat es in der Hand, durch den Rückzug seiner Truppen und eine Einwilligung in Reparationen das Gemetzel zu beenden. Die Ukraine hat diese Möglichkeit nicht. Sie kämpft ums nackte Überleben.

Umso wichtiger ist es, dass der Westen der Führung in Moskau das klare Signal sendet, weiter geschlossen an der Seite der Ukraine zu stehen. Bei der Lieferung von Waffensystemen hat das funktioniert, wenn auch nach langer Debatte. Dass Deutschland sich bereitgefunden hat, Leopard-Panzer zu liefern, ist richtig.

Der Weg Kiews nach Europa scheint noch sehr lang

Richtig war es aber auch, dass Bundeskanzler Olaf Scholz diesen Schritt nur in Abstimmung mit den westlichen Bündnispartnern und insbesondere den USA gehen wollte. Der EU-Gipfel in Kiew, bei dem es um weitere Hilfen und den Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union ging, hat dagegen zumindest beim zweiten Punkt kein klares Signal gesendet.

Präsident Wolodymyr Selenskyj musste trotz aller wohlklingenden Solidaritätsadressen erkennen, dass sein Wunsch nach einem EU-Beitritt nicht so leicht erfüllt werden wird. Der Weg Kiews nach Europa scheint nach diesem Gipfel noch sehr lang. Dabei ist neben allen notwendigen militärischen Hilfen auch die schnelle und uneingeschränkte politische Unterstützung für die Ukraine enorm wichtig.

Beschleunigtes EU-Beitrittsverfahren sollte noch in diesem Jahr ermöglicht werden

In der Frage des Beitritts dürfen sich die EU-Staaten nicht spalten lassen. Ein beschleunigtes Beitrittsverfahren sollte noch in diesem Jahr ermöglicht werden – vorausgesetzt, die Ukraine erledigt ihre Hausaufgaben, von Rechtsstaatsreformen bis zur konsequenten Bekämpfung der Korruption.

Wenn der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht – wie der Erste Weltkrieg – ausschließlich auf den Schlachtfeldern sein Ende nehmen soll, müssen die USA und Europa auch politisch so eng wie nur möglich an der Seite Kiews stehen. Putin muss auch auf der diplomatisch-politischen Ebene wissen: Diesen Krieg kann er nicht gewinnen.