Nur wenige hundert Meter neben dem griechischen Ministerpräsidenten schlagen russische Geschosse ein. Griechenland ist Nato-Mitglied.
Mitsotakis und Selenskyj fast getroffenPutins Armee schießt in Odessa nur knapp an einer Eskalation vorbei
Die russische Armee hat am Mittwoch die ukrainische Schwarzmeerstadt Odessa angegriffen, als Präsident Wolodymyr Selenskyj und der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis die Stadt besuchten – beide Politiker blieben unverletzt. Nach Angaben der ukrainischen Marine wurden bei dem Angriff fünf Menschen getötet und mehrere weitere verletzt. Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates in Washington erklärte, der Vorfall zeige, dass die Ukraine „dringenden Bedarf“ insbesondere an weiteren „Luftabwehrsystemen“ habe.
Der Angriff habe zu dem Zeitpunkt auf den Hafen der Stadt gezielt, als Selenskyj und die griechische Delegation diesen besuchten, sagte der Marine-Sprecher Dmytro Pletentschuk. Zuvor hatte die griechische Zeitung „Protothema“ berichtet, der russische Angriff habe Selenskyjs Wagenkolonne gegolten, die sich lediglich 150 Meter von der griechischen Delegation mit Ministerpräsident Mitsotakis entfernt befunden habe. In anderen Berichten ist von einer Entfernung von 300 Metern die Rede. Offizielle Angaben dazu gibt es bisher nicht.
„Als wir in unsere Fahrzeuge stiegen, hörten wir eine gewaltige Explosion“
Mitsotakis sagte, am Ende ihres Besuchs seien ein „Luftalarm und Explosionen ganz in unserer Nähe“ zu hören gewesen. „Wir hatten keine Zeit, uns in Sicherheit zu bringen“, sagte der Regierungschef. „Als wir in unsere Fahrzeuge stiegen, hörten wir eine gewaltige Explosion“, so Mitsotakis weiter. „Es war eine sehr intensive Erfahrung.“
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Eine Bestätigung für die angebliche Attacke auf Selenskyjs Autokolonne aus offizieller Quelle gibt es bisher nicht. Selenskyj äußerte sich zwar zu dem Angriff in Odessa, kommentierte jedoch keine Einzelheiten. Die russischen Streitkräfte „scheren sich nicht darum, wo sie zuschlagen“, sagte Selenskyj. Diesen Leuten sei es „egal“, ob die Ziele „Militärs oder Zivilisten“ seien oder „ob es sich um internationale Gäste handelt“.
Selenskyj über Putins Angriff: „Entweder verrückt geworden oder keine Kontrolle über Terrorarmee“
Er sei über die Todesopfer informiert worden, erklärte der ukrainische Präsident zudem. „Mein Beileid gilt der Familie und den Freunden“, fügte Selenskyj an. In Moskau sei man „entweder verrückt geworden“ oder habe „überhaupt keine Kontrolle darüber, was ihre Terrorarmee tut“.
Vom Hafen Odessa aus wird ein Großteil der ukrainischen Getreideexporte verschifft. Präsident Selenskyj habe ihm die Bemühungen seines Landes erläutert, „die ukrainische Seeroute wiederherzustellen und zu stärken“, sagte Mitsotakis. „Wir verstehen, dass dieser Krieg jeden betrifft (…) Er verschont niemanden.“
Angriff nahe griechischer Delegation: „Beweist Putins Bereitschaft zur Eskalation“
Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates in Washington sagte, es sei verfrüht darüber zu spekulieren, ob der Angriff Selenskyj gegolten haben könnte. Der Vorfall zeige aber die „dringende Notwendigkeit“ zur Beendigung der Blockade weiterer Ukraine-Hilfen durch die oppositionellen Republikaner im US-Kongress.
„Der rücksichtslose Luftangriff auf Odessa, als Präsident Selenskyj und Premierminister Mitsotakis zu Besuch waren, um der Opfer eines Drohnenangriffs auf ein Wohnhaus am 2. März zu gedenken, beweist einmal mehr Putins Missachtung für jegliche Normen und seine Bereitschaft zur Eskalation“, schrieb unterdessen der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Mittwochabend im sozialen Netzwerk X (vormals Twitter). Auch die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni verurteilte den Angriff nahe dem Treffpunkt von Selenskyj und Mitsotakis.
Moskau spricht von Angriff auf Seedrohnen-Anlage
Nach russischen Angaben wurde bei dem Angriff eine Seedrohnen-Anlage getroffen. Das russische Verteidigungsministerium erklärte, es sei ein Hangar getroffen worden, „in dem unbemannte Drohnen für den Kampfeinsatz durch die ukrainischen Streitkräfte vorbereitet“ worden seien. Weitere Angaben waren aus Moskau nicht zu hören.
Es ist unterdessen nicht das erste Mal in den letzten Wochen, dass Politiker bei Besuchen in der Ukraine in bedrohliche Situationen geraten. Auch beim Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in Odessa Ende Februar hatte es Luftalarm gegeben, die Ministerin musste Zuflucht in einem Luftschutzbunker suchen. Ihren Besuch in der Stadt Mykolajiw am nächsten Tag musste Baerbock wegen Luftalarms vorzeitig abbrechen.
Auch Annalena Baerbock bei Ukraine-Besuch in Gefahr
So wie Baerbock gehört auch Mitsotakis einem Nato-Land an. Ein Angriff auf einen politischen Führer eines Nato-Landes könnte Artikel 5 des nordatlantischen Verteidigungsbündnis auslösen, schrieb US-Politiker Adam Kinzinger am Mittwoch bei X. Demnach könne ein bewaffneter Angriff auf eines der Mitgliedsländer als Angriff auf alle Mitgliedsstaaten gewertet werden.
Im Vertragswerk der Nato ist allerdings explizit nur von Angriffen auf dem Territorium der Mitgliedsstaaten die Rede, durch die der Bündnisfall ausgelöst werden könnte. Dennoch dürfte ein Angriff auf einen Nato-Staatsführer unabhängig des Vertragswerks als Eskalation betrachtet werden.
Die Ukraine steht seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs vor zwei Jahren unter ständigem russischen Beschuss. Kiew fordert von seinen westlichen Verbündeten mehr Unterstützung bei der Verstärkung ihrer Luftverteidigung.
In der Nacht zum Mittwoch wurden mehrere Regionen der Ukraine von russischen Drohnenangriffen getroffen. Sieben Menschen seien bei Angriffen in der Region Sumy im Osten des Landes verletzt worden, erklärte die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft. (mit afp)