Um die Abnehmspritzen ist weltweit ein regelrechter Hype entbrannt. Die Kosten für die Medikamente müssen Betroffene in Deutschland derzeit selbst tragen – noch.
Umstrittene SchlankmacherKommen die Abnehmspritzen bald als Krankenkassen-Leistung?
Es ist eine Frage, die Gesundheitspolitiker, Lobbyisten und betroffene Menschen seit Monaten umtreibt: Sollten gesetzliche Krankenkassen die Kosten für Abnehmspritzen übernehmen, wenn Patientinnen und Patienten an starkem Übergewicht leiden? Dazu gibt es viele verschiedene Meinungen. Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge, sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Für besonders schwere Fälle sollte eine Erstattung durch die Krankenkasse diskutiert werden – zumal moderne Medikamente eine komplizierte und teure OP vermeiden können.“ Zuspruch gibt es unter anderem von der FDP.
Dafür kommt Gegenwind von den gesetzlichen Krankenkassen. Während sich die Techniker Krankenkasse, die Barmer und der Kassen-Spitzenverband bedeckt halten, positioniert sich der AOK-Bundesverband klar. Er warnt vor den enormen Kosten, die eine Erstattung der Abnehmspritze für Adipositas-Patienten zur Folge hätte. Laut Hochrechnungen der AOK könnten sich die Arzneimittel-Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen im Extremfall verdoppeln.
Allerdings handelt es sich um ein sehr schwarzmalerisches Szenario: Die Summe von 45 Milliarden Euro käme nur zustande, wenn alle GKV-Versicherten mit einem Body-Mass-Index (BMI) von über 30 die Abnehmspritze von den Krankenkassen erstattet bekäme. Zum Vergleich: Für alle Arzneimittel gaben die gesetzlichen Krankenkassen 2023 rund 50 Milliarden Euro aus.
AOK-Pressesprecher Kai Behrens mahnt angesichts dieser möglichen Zahlen: „Die GKV darf durch die Erstattung einzelner Arzneimittel nicht in finanzielle Schieflage gebracht werden.“ Eine Erstattung der Abnehmspritze hätte zur Folge, dass die Krankenkassen-Beiträge für alle Versicherten ansteigen würden.
Auch die SPD sieht eine Erstattung durch die Krankenkassen kritisch. Die gesundheitspolitische Sprecherin, Heike Baehrens, sagte dem RND: „Die Solidargemeinschaft der GKV-Versicherten muss sich darauf verlassen können, dass mit ihren Beiträgen wirtschaftlich umgegangen wird und medizinisch notwendige Leistungen bezahlt werden.“ Aus beiden Gründen dürfe die GKV nichts bezahlen, „das nicht zur Behandlung von Krankheiten, sondern lediglich zu mehr Lebensqualität beiträgt.“ Sollte der Wirkstoff aber die Zulassung zur Behandlung einer Erkrankung - in diesem Fall Adipositas - erhalten, würden die Kassen die Leistung übernehmen.
Aktuell ist eine Erstattung der Abnehmspritze nicht möglich. Denn Arzneimittel, die zum Abnehmen eingesetzt werden, sind laut Sozialgesetzbuch als Kassenleistung explizit ausgeschlossen. Durch diesen Ausschluss sind auch dem eigentlich für die Frage der Kostenübernahme zuständigen Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) von Ärzten und Kassen die Hände gebunden. Das hatte er im Fall der Abnehmspritze „Wegovy“ des Pharmakonzerns Novo Nordisk erst kürzlich bekräftigt. Nur eine Gesetzesänderung könnte den Weg für eine Erstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen freimachen.
Neben der Unionsfraktion setzt sich auch die FDP für eine Diskussion über die Erstattung der Abnehmspritze in besonderen Fällen ein. Der gesundheitspolitische Sprecher der Liberalen, Andrew Ullmann, betonte: „Es ist wichtig, ernsthafte und schwerwiegende Krankheiten und den Wunsch, einem Schönheitsideal zu entsprechen, zu unterscheiden.“ Im Falle von schwerer Adipositas benötige man effektive Behandlungen. Ärzte sollten deshalb laut Ullmann entscheiden, ob sie „neue Therapien nutzen können, wie die „Abnehmspritze“, die Teil des Behandlungsplans sein kann und nicht nur ein Lifestyle-Medikament ist.“ Sie helfe, Folgekrankheiten und Kosten für die Versichertengemeinschaft zu verhindern.
Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Janosch Dahmen, warnte aber auch vor möglichen Nebenwirkungen. „Das fängt bei Jojo-Effekten nach Absetzen der Behandlung an und geht selbst bei gefährlichen Erkrankungen wie einer Bauchspeicheldrüsenentzündung oder einem Darmverschluss weiter. Ich warne deshalb vor gefährlicher Glorifizierung vermeintlicher Wundermittel, wie wir sie hier mit einem regelrechten Online-Hype auf die Abnehm-Spritze sehen.“
Gleichzeitig betonte er, dass eine dauerhafte Finanzierung der Spritze für alle übergewichtigen Menschen „utopisch“ sei. Den Einsatz der Abnehmspritze gegen Adipositas und eine Kostenübernahme durch die Kassen schließt er aber nicht kategorisch aus. „Sollten neue Erkenntnisse beispielsweise auf Grund einer aktualisierten Studienlage vorliegen, wird der G-BA diese selbstverständlich bewerten und in seine Entscheidungen einbeziehen.“
Andere europäische Länder sind in der Debatte um die Kostenübernahme von Abnehmspritzen ein ganzes Stück weiter. In der Schweiz bekommen gesetzlich Versicherte mit starkem oder sehr starkem Übergewicht bereits die Kosten für die Abnehmspritze „Wegovy“ erstattet. In Großbritannien und Frankreich übernehmen die Krankenkassen diese Kosten für Patientinnen und Patienten dann, wenn sie an schwerster Fettleibigkeit leiden. In Deutschland erhalten ausschließlich Privatversicherte das Medikament, ohne selbst zur Kasse gebeten zu werden - und das auch nur, wenn eine medizinische Indikation vorliegt.