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Unterlagen der Berliner PolizeiAnleitung zum schmerzhaft sein

Lesezeit 4 Minuten
Juli 2023: Berliner Polizisten stehen vor dem Eingang des Sommerbads in Neukölln.

Juli 2023: Berliner Polizisten stehen vor dem Eingang des Sommerbads in Neukölln.

Interne Schulungsdokumente aus Berlin zeigen, wie Polizeikräfte schmerzhafte Grifftechniken beigebracht bekommen.

Die Polizei Berlin schult laut internen Unterlagen ihre Polizistinnen und Polizisten in der Anwendung von umstrittenen Schmerzgriffen. Dies geht aus internen Dokumenten hervor, die das Internetportal „Frag den Staat“ veröffentlicht hat. Demnach wird den Polizeikräften beigebracht, gezielt sensible Körperregionen wie den Genitalbereich zu attackieren. Schmerzgriffe werden beispielsweise bei Demonstrationen und Sitzblockaden angewendet, wie sie in der Hauptstadt häufig vorkommen.

Die Berliner Polizei bestätigte gegenüber dem Portal die Echtheit der Auszüge aus dem „Handbuch Einsatztraining“. Die darin angeführten Schmerzpunkte sollen von 2005 bis 2020 gelehrt worden sein. Mit den Fingern oder der Handkante sollen Einsatzkräfte von unten gegen die Nasenscheidewand oder auf die Lymphknoten drücken, mit der Faust, Handballen oder Knie „auf den Genitalbereich schlagen“.

Hinweise für die Einsatzkräfte, wann die Schmerzgriffe angewandt werden dürfen und welche Folgen dies für die Betroffenen hat, gibt es in den Dokumenten nicht.

Kritik der Grünen: „Es darf keine Normalisierung von Polizeigewalt geben“

Inzwischen gibt es ein leicht überarbeitetes Handbuch, in dem die Schmerzgriffe in ähnlicher Form unterrichtet werden, berichtet „Frag den Staat“. Zur Frage, ob die neue Version entsprechende Hinweise für Polizeikräfte beinhaltet, äußerte sich die Berliner Polizei auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) zunächst nicht.

Die Berliner Grünen übten nach der Veröffentlichung des Handbuchs scharfe Kritik. „Es ist entsetzlich, dass solche Praktiken bis mindestens 2020 gelehrt wurden und damit bis heute im Berliner Polizeidienst Anwendung finden“, sagte Grünen-Innenpolitiker Ario Mirzaie dem RND. „Beim Umgang mit Klimaprotesten wurde kürzlich noch vehement der rechtswidrige Einsatz von Schmerzgriffen bestritten. Die Lehrmaterialien zeichnen da aber ein anderes Bild.“

Mirzaie ruft Polizei und Senat auf, den Sachverhalt lückenlos aufzuklären und die Öffentlichkeit über den Einsatz von Schmerzgriffen zu informieren. „Es darf keine Normalisierung von Polizeigewalt geben.“

Fachleute warnen tatsächlich vor einer Verselbständigung und Normalisierung polizeilicher Gewalt. Schmerzgriffe sollen eine psychische Wirkung entfalten, indem sie den Willen der Betroffenen brechen und diese dazu bringen, den Anweisungen der Polizei zu folgen, schreiben Tobias Singelnstein, Professor für Kriminologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, und seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Hannah Espín Grau in einem Fachbeitrag. Besonders problematisch sehen sie Nervendrucktechniken, da die betroffene Person sich im konkreten Moment kaum bewegen können. Als betroffene Person wolle man nur, dass der Schmerz aufhöre; dies gelänge aber nur, wenn der polizeiliche Griff gelockert werde.

Gewerkschaft: „Schmerzgriffe stellen verhältnismäßige Maßnahmen in Einsatzsituationen dar“

Der Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, weist die Vorwürfe zurück. „Schmerzgriffe stellen verhältnismäßige Maßnahmen in Einsatzsituationen dar“, sagt er dem RND und betont, dass nicht alle Grifftechniken erlaubt seien. „Alle Einsatzkräfte sind jedoch geschult, zulässige Techniken professionell anzuwenden.“

Kopelke verweist darauf, dass Polizistinnen und Polizisten das Gewaltmonopol des Staates ausüben. „Hierfür ist der unmittelbare Zwang rechtlich geregelt und erlaubt.“ Das Anwenden unmittelbaren Zwangs werden zudem standardmäßig dokumentiert und sei verwaltungsgerichtlich überprüfbar. Der Bericht von „Frag den Staat“ wirke auf ihn wie der Versuch, „das gute Image unserer professionellen Polizeiarbeit zu diskreditieren“.

Singelnstein und Grau sagen, dass im Unterschied zu anderen Gewaltanwendungen wie Schlägen oder Tritten bei Schmerzgriffen kaum sichtbare Wunden zurückblieben. Die Griffe könnten aber längerfristige psychische Folgen haben. In welchem Umfang diese Techniken eingesetzt werden, lasse sich nicht bestimmen, so die beiden Fachleute, da die polizeiliche Praxis in dieser Hinsicht statistisch nicht erfasst werde. Ob es überhaupt eine Rechtsgrundlage für die Anwendung von Nervendrucktechniken durch die Polizei gibt, ist unter Fachleuten umstritten.

Das Verwaltungsgericht Göttingen hatte 2016 in einem Fall geurteilt, dass Polizeikräfte einen Schmerzgriff ankündigen müssen. Die Berliner Polizei hat das im Fall von Klimademonstranten auch getan, wie ein Video zeigt. Wann Schmerzgriffe aber auch verhältnismäßig sind, müssen im Einzelfall Gerichte klären.

Die Internetplattform „Frag den Staat“ hatte bereits im Herbst bei der Polizei Berlin nach Vorgaben und Empfehlungen zum Einsatz von Schmerzgriffen gefragt. Derzeit ist eine Klage zur Herausgabe der relevanten Teile des Handbuchs Einsatztrainings und der zugrundeliegenden Geschäftsanweisung über das Training am Verwaltungsgericht Berlin anhängig. Die Behörde teilte bereits mit, dass es keine offiziellen Vorgaben gebe, ob, wann und wie Einsatzkräfte Schmerzgriffe einsetzen dürfen.

Ob die Berliner Polizei nun beabsichtige, entsprechende Vorgaben einzuführen, teilte sie auf RND-Nachfrage nicht mit. (RND)