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Election NightWo Kölner Amerikaner in der Wahlnacht Gemeinschaft suchten – und Trost fanden

Lesezeit 6 Minuten
05.11.2024, Köln: Wahlparty des Vereins Amerikahaus zur Wahl eines neuen Präsidenten in den USA im  Alten Pfandhaus.
Im Bild u.a. Dallas Blackwell (weißes Haarband).

copyright Michael Bause

Dallas Blackwell (Mitte) hat Harris gewählt. „Sie ist eine Inspiration für junge afroamerikanische Frauen und zeigt uns, wie weit man es politisch und karrieremäßig schaffen kann."

In Köln hatte das Amerikahaus zur Wahlparty eingeladen. Die Gäste eint ein Wunsch: In dieser Nacht nicht allein sein zu müssen.

Die Deckenleuchten pinseln dicke blaue und rote Lichtstreifen auf die Sitzreihen. Es ist halb zwei Uhr nachts, die ersten Wahllokale haben ihre Türen geschlossen. Aus einigen US-Bundesstaaten an der Ostküste drängeln sich die ersten Auszählungsergebnisse auf die Leinwand. Die dicksten Balken sind rot. Kentucky, Indiana, West Virginia.

Geoffry Wharton hat schon seine Jacke angezogen und die Violine geschultert, eben hat er die Stunden bis zu den ersten Ergebnissen noch mit etwas amerikanischer Musik für Geige und Klavier gefüllt. Länger warten will er nun nicht, ohnehin wittert er wenig Hoffnung, dass seine präferierte Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris den Wahlsieg davontragen könnte. Wenn Trump am Ende vorne liege, schmerze ihn das für sein Geburtsland Nebraska, in der ein großer Teil seiner Familie und viele Freunde lebten. Noch mehr leide der Mann, der 32 Jahre lang Konzertmeister im Kölner Gürzenich-Orchester gewesen ist, aber in dieser Nacht mit seiner Wahlheimat. Es verhalte sich schließlich so: Donald Trump werde einen Handelskrieg mit verheerenden Folgen anzetteln. „Sollte Donald Trump die Wahl gewinnen, ist das deshalb viel schlimmer für Europa als für Amerika.“

Das Amerikahaus NRW hat zur Election Night ins Alte Pfandhaus in Köln eingeladen. Weil eine deutsche Party, die um halb acht Uhr beginnt, so gar nicht harmoniert mit den Schließungszeiten der amerikanischen Wahllokale, gilt es einige Längen zu überbrücken. So gibt es auf dem Weg bis zu den ersten Hochrechnungen Eintopf, Thunfisch-Wraps, Brownies, Vorträge und Diskussionsrunden.

Es kommt aber auch zu menschlichen Begegnungen, Verbindungen. Ja, wer heute hier bis weit nach Mitternacht ausharrt, der tut das häufig, ganz banal, um nicht allein zu sein in dieser bedeutungsschweren Nacht. Der Kölner Lutz zum Beispiel erzählt davon, dass er sich noch mit Grauen an die Wahl 2016 erinnere. „Ich saß um ein Uhr nachts allein vor dem Fernseher und kam mir sehr alleingelassen mit diesem Ergebnis vor.“ Für heute hat er sich also mit Freund Gunnar verabredet.

Eine Wahlnacht als therapeutische Gruppensitzung

560 Menschen hatten dieses Bedürfnis nach einer Wahlnacht als therapeutische Gruppensitzung. 160 davon schafften es nur auf die Warteliste, wie Jule Dormels vom Amerikahaus erzählt.

05.11.2024, Köln: Wahlparty des Vereins Amerikahaus zur Wahl eines neuen Präsidenten in den USA im  Alten Pfandhaus.

copyright Michael Bause

Die Stimmung im Alten Pfandhaus in Köln ist angespannt. An einem Wahlsieg ihrer präferierten Kandidatin zweifeln viele.

Auch Nico Wilkins hat das Gefühl der Einsamkeit in dieser Nacht ins Alte Pfandhaus gebracht. Seit zwei Jahren studiert er in Köln Ethnologie, aufgewachsen ist er in Tennessee. Und dort habe er sich politisch manchmal sehr alleine gefühlt. „Eigentlich ist es ja sogar scheißegal, dass ich gewählt habe. Meine Stimme für Harris hat in Tennessee ohnehin keinen Wert.“

Dort, wo er geboren wurde, wähle man die Republikaner. Fertig ist der Satz. „Einfach aus Religiosität. Oder Loyalität. Weil der Vater die schon wählte und der Vater des Vaters auch.“ Der 26 Jahre alte Wilkins fremdelte. Die Kirche, sie habe ihm nichts geben können. Erst recht nicht, als er sich als homosexuell outete. Ohnehin plant Wilkins, der die amerikanische und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, in Deutschland zu bleiben. „Die Politik ist besser, die Lebensqualität ist besser, die Sicherheit ist höher.“ Und auch was Olaf Scholz angeht, ist Wilkins bereit, gnädig zu urteilen. Der Kanzler gefalle ihm zwar weniger gut als Harris, aber „sicher besser als Trump“.

„Das bedeutet mir viel“

Auch Dallas Blackwell ist in dieser Nacht auf der Suche nach Gemeinschaft. Die 23 Jahre alte Studentin der Gesundheitswissenschaft ist mit einem einjährigen Austauschprogramm vor kurzem nach Köln gekommen. Sie will die „historische Nacht“ der Wahl zusammen mit anderen Amerikanern und Menschen, die an amerikanischer Politik interessiert sind, verbringen. „Das bedeutet mir viel.“

Blackwall kommt aus Birmingham in Alabama und ist in einer demokratischen Familie aufgewachsen. „Als schwarze Frau habe ich Kamala Harris gewählt, weil sie meine Werte vertritt“, sagt Blackwell. „Sie ist eine Inspiration für junge afroamerikanische Frauen und zeigt uns, wie weit man es politisch und karrieremäßig schaffen kann.“

Im Saal nebenan, wo an diesem Abend Diskussionsrunden stattfinden und US-Pianistinnen auftreten, sitzt Karen Schneider, 66, aus Michigan. „Diese Wahl ist so wichtig“, flüstert sie eindringlich über die Klaviermusik im Hintergrund. „Leider ist sie viel zu eng. Ich hoffe, genug von uns haben gewählt, sodass das Ergebnis nicht in Frage gestellt werden kann.“ Wen Schneider mit „uns“ meint, steht auf ihrem blauen T-Shirt: „Harris and Walz – When we vote, we win“.

Schneider, die einen deutschen Mann hat, war lange sehr aktiv bei Democrats Abroad, der Auslandsorganisation der demokratischen Partei in den USA. Sie animierte Amerikanerinnen und Amerikaner in Deutschland zum Wählen, klopfte an ihre Türen, argumentierte. „Ich war erschrocken, dass so viele US-Bürger hier nichts von ihrem Wahlrecht wussten.“

Auch in den USA hat Schneider 2020 eine republikanische Cousine überzeugen können, für Biden zu stimmen. „Sie dachte immer, sie müsse wählen, wen ihr Mann wählt“, erzählt sie. „Das geht vielen Frauen so, denn für manche Trump-Anhänger ist es wie fremdgehen, wenn die Partnerin demokratisch wählt.“

Diesmal mussten die Demokraten ohne sie mobilisieren. Schneider ist sehr krank, sitzt im Rollstuhl. Ihre Überzeugung ist die selbe geblieben. Schneider faltet die Hände wie zum Gebet, legt den Kopf in den Nacken und ruft: „Bitte, bitte, bitte, lass Kamala Harris gewinnen!“

Ein Paar hat sich mit der US-Flagge in Pose geworfen.

Posieren mit Flagge: Vielen auf der Wahlparty im Alten Pfandhaus ging es darum, an diesem Abend nicht allein zu sein.

In gewisser Weise auf der Flucht befindet sich eine Frau, die ihren Namen aus Sorge vor Repressionen eines künftigen Präsidenten nicht in der Zeitung lesen will und hier zwischen blauen, roten und weißen Luftballons die Berichterstattung von CNN verfolgt. Aufgewachsen im Mittleren Westen seien sie und ihr Mann schon vor zwanzig Jahren Regierungen wie der von Bush und Reagan derart müde gewesen, dass sie ihr Glück beruflich in Deutschland suchten. „Aber mittlerweile haben wir das Gefühl, dass uns die antidemokratischen Tendenzen auch hier einholen. Wir können ihnen nicht entkommen.“ Auch sie ist heute Abend gekommen, um in dieser Nacht nicht allein zu sein. „Und das, obwohl ich große Gruppen – erst recht große Gruppen von Amerikanern – wirklich nicht leiden kann.“ Gestimmt habe sie für Harris, nicht ganz „happily“, schließlich habe sie sich eine noch progressivere Kandidatin gewünscht, eine, die nicht so nah am Silicon Valley, nicht so nah am Geld stehe. Aber natürlich habe sie nicht gezögert. Niemals könne sie ihre Stimme einem „Sexisten, Rassisten, Kriminellen und Arroganten“ wie Donald Trump geben.

Je später die Nacht, umso lauter wird die Frage: Warum?

Die Frage nach dem Warum wird mit jedem roten Flecken auf der Karte der Vereinigten Staaten von Amerika lauter. Trump-Sympathisanten findet man hier im Alten Pfandhaus so gut wie keine. Eine Frau aus South Carolina führt gerade ein Videotelefonat mit ihrem Mann zu Hause. Sie würden beide Trump bevorzugen, eigentlich sei der Wahlausgang für sie aber nicht wirklich entscheidend. Ob sie mit ihrem Ehemann über die bevorstehenden Prognosen gesprochen habe? „Nein, nein. Hauptsächlich wollte er mir erzählen, dass er die Teppiche gewaschen hat.“

Es ist halb drei, ein paar Studenten sitzen noch im Vorraum und fiebern vor dem kleinen Fernseher, der große Saal hat sich geleert, hier vorne an der Bar sei es sowieso gemütlicher. Irgendjemand hat von Fox-News wieder auf CNN umgeschaltet. Vor vier Jahren, erinnert sich einer der jungen Männer, habe er mit seiner Schwester deren Dachboden gedämmt. „Da erzählten sie im Radio, dass Joe Biden gewonnen hat. Was haben wir gejubelt.“

Vom Jubel sind hier heute die meisten sehr weit entfernt. Aber es gibt in Zeiten von Polarisierung, sich vertiefender Gräben und fehlender Kommunikation zumindest einen Trost. Das schon. Geoffry Wharton hat ihn zum Abschied dagelassen: „Dass wir heute Abend hier real als Menschen zusammensitzen, uns in die Augen sehen und miteinander reden können, das ist doch schon für sich genommen eine sehr heilsame Sache.“