In der Talkreihe „frank&frei“ diskutiert die Kölner Kulturhistorikerin Anke Ortlepp am 7. November über den Ausgang US-Wahlen. Wir sprachen mit ihr über Trump.
Kölner Expertin„Wir unterschätzen in Europa notorisch die Begeisterung für Trump“
Frau Professorin Ortlepp, der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl am 5. November verspricht wieder sehr, sehr knapp zu werden. Was ist Ihre Prognose?
Ich glaube, dass Kamala Harris eine ernstzunehmende Chance hat. Sie hat es geschafft, die Teile der demokratischen Wählerschaft zu mobilisieren, die mit einem Kandidaten Biden nicht zur Wahl gegangen wären. Wenn jetzt noch viele junge US-Bürgerinnen und -Bürger wählen gehen, könnte es reichen. Aber wie Sie sagen: Es wird arg knapp.
Welche Rolle spielt bei dieser Erwartung der „Es kann nicht sein, was nicht sein darf“-Faktor. Sie erinnern sich: 2016 sind viele Menschen in Deutschland und Europa mit der Erwartung schlafen gegangen, Hillary Clinton wird es schon machen. Und aufgewacht sind sie mit Donald Trump.
Wir unterschätzen in Europa notorisch die Begeisterung für Trump. Er hat eine treue Anhängerschaft, die ihn wählt, völlig unabhängig davon, was er macht, was er sagt, wie er aussieht oder sich aufführt, so wie neulich mit seinem Tänzchen auf einer Wahlkampfveranstaltung. Das ist alles ziemlich egal.
Aber warum?
Ich glaube, eben weil er so verrückt ist. Die Leute denken: „Trump sagt, was mir auch auf der Zunge liegt. Der flucht, der ist unverschämt, der zeigt es dem Establishment mal so richtig. Und den wähle ich, weil ich so frustriert bin mit dem, wie es hier läuft. Und das bringt zumindest den Betrieb mal durcheinander.“
Besteht – objektiv betrachtet – Anlass zu dieser Frustration?
Ja, schon. Für viele Amerikaner ist die Welt so, wie Trump sie beschreibt. In den deindustrialisierten Regionen der USA, da geht es schon ziemlich dystopisch zu. Dort leben die Menschen an Orten, die früher einmal wohlhabend waren, mit Langzeitarbeitslosigkeit und Drogenepidemie. Andererseits macht Trump aus Propagandagründen in Schwarzmalerei. Das soll den Menschen zusätzlich Angst machen, so dass sie sagen: „Wir brauchen einen starken Mann – und Trump ist so einer: ein Unternehmenslenker, der kann auch unser Land leiten, mit ihm wird es besser.“ In Wahrheit ist die Lage in weiten Landesteilen gut, auch die Stimmung ist unter Joe Biden besser geworden. Und die Leute sind froh, dass Harris Freude und Zuversicht verbreitet - und dass sie nicht zwischen zwei alten Männern entscheiden müssen.
Das bestätigt den verbreiteten Eindruck einer gespaltenen Gesellschaft. Wo rührt das her?
Es nahm seinen Anfang mit dem Wiedererstarken des Konservatismus unter der Regierung Reagan, mit den „Neocons“, die für ganz konservative Werte einstanden und die Kulturkämpfe angeheizt haben, die immer weiter bis auf die Spitze getrieben wurden: über Abtreibung, über Familienwerte, über das Gendern… Das hat in eine starke Polarisierung geführt.
Diese Symboldebatten wirken so inkonsistent, so irrational. Es wettern dieselben Leute über die Tötung ungeborenen Lebens, die beim Schutz des geborenen Lebens reichlich schmerzfrei sind – Stichwort Waffenrecht.
Das hat damit zu tun, dass es Stellvertreter-Diskussionen sind, hinter denen fundamentale Wertgegensätze liegen. Beim Waffenbesitz geht es um das unantastbare Recht des Einzelnen zur Selbstverteidigung. Auch wenn es eigentlich wenig gibt, womit man sich mit einer Schusswaffe zur Wehr setzen müsste, wollen sich die Leute das nicht nehmen lassen. Unsere Nation, sagen sie, ist überhaupt nur entstanden, weil wir gegen die Briten zur Waffe greifen konnten. Umgekehrt die Abtreibung – das ist in so einer säkularisierten Gesellschaft wie unserer kaum zu verstehen. Aber in den USA wird dieses Thema durch eine gut hörbare und sichtbare evangelikale Bewegung in den Vordergrund gepusht. Und weil die republikanische Partei im Kongress immer weiter nach rechts gerückt ist, sind diese radikalen Stimmen auch im parlamentarischen Betrieb so laut. Für die gemäßigten Republikaner steht die Abtreibungsfrage nicht immer an erster Stelle. Politikerinnen und Politiker wie Liz Cheney oder selbst der sehr religiöse Senator Mitt Romney sehen sehr wohl auch das Recht der Frauen, über ihren eigenen Körper zu entscheiden.
Bei den Frauenrechten setzen Harris und die Demokraten im Wahlkampf an. Wie ist es denn insgesamt um die Gleichberechtigung bestellt in der US-Gesellschaft?
Eigentlich gut. Frauen haben Zugang zu allen Berufen. Sie arbeiten nicht nur in Teilzeitjobs, sondern auch im Management. Wenn ich meinen eigenen Berufsstand nehme: Es gibt in den USA sehr viel mehr Professorinnen als in Deutschland. Auch die Gehälter haben sich über die Jahre angeglichen. Aber wenn man dann die Wertedebatten verfolgt, sind die ähnlich schwierig wie bei uns. Da gibt es schon Milieus, die auf den Fortbestand des Patriarchats setzen.
Trotz dieser massiven Spaltungen – das fast religiös verklärte Nationalbewusstsein scheint als das vielleicht einzig Verbindende fortzuleben. Oder trügt auch dieser Eindruck?
Nein, das ist schon so. Zur „Größe und Einmaligkeit Amerikas“ würden sich alle bekennen. Aber das Absurde ist, dass es schon im nächsten Satz wieder auseinanderbricht. Die Demokraten sagen, das „amerikanische Projekt“ hat die ein oder andere Krise erlebt, aber es war nie kaputt. Wir wollen es jetzt weiterentwickeln und noch besser, schöner, größer machen. Die Republikaner dagegen sagen: Die Demokraten haben das Land heruntergewirtschaftet, das amerikanische Projekt vor die Wand gefahren. Es muss jetzt völlig neu erstehen – und wir werden es wieder groß machen.
Sie haben viele Jahre in den USA gelebt und gelehrt. Machen Sie sich Sorgen um die Demokratie in den USA?
Ja, weil eben diejenigen, die jetzt gerne wieder zurück an die Macht möchten, genau verstehen, wie man die Demokratie aushöhlen kann, wie man das Gleichgewicht im System der Gewaltenteilung durcheinanderbringen kann. Wir haben alle den Sturm des Kapitols am 6. Januar 2021 erlebt. Da habe ich wirklich Gänsehaut bekommen. Gruselig!
Man sollte meinen, ein solches Ereignis müsste traumatische Folgen haben in einem Land, das stolz ist auf seine demokratische Tradition und sich als Führungsnation der freien Welt versteht. Wie nehmen Sie als Kulturhistorikerin die Nachwirkungen des 6. Januar 2021 wahr?
Es gibt dieses Trauma - bei den politischen Eliten und dann auch bei politisch interessierten Menschen, keine Frage. Aber wieder kommt es sehr darauf an, wen Sie fragen. Bei den Demokraten würden viele sagen: Einen Volkssturm auf unser Parlament, das hat es noch nie gegeben. Das war und ist einer der schlimmsten Momente unserer Geschichte. Aber wenn Sie in andere Echokammern hineinhören, bei den extremen, auch gewaltbereiten Republikanern, dann bekommen Sie gesagt: „So, beim ersten Mal hat es nicht geklappt. Aber wartet ab, wir kommen zurück!“ Sie feiern den 6. Januar als den Moment, in dem sie Kongressabgeordneten wie der verhassten Nancy Pelosi, Fraktionsführerin der Demokraten, das Büro zerlegt und es ihr und „denen allen“ gezeigt haben. Die Übergänge vom rechten Lager zu paramilitärischen Milizen wie den „Proud Boys“ sind fließend – und das ist wirklich unheimlich. Die sagen: Dieser Staat ist so verrottet, dass wir die Dinge selbst in die Hand müssen.
Was folgern Sie daraus?
Dass man in der Bevölkerung der USA mit einem tiefen Misstrauen in die Funktionsfähigkeit des Staates rechnen und es auch ernst nehmen muss. Inzwischen, so scheint es mir, sind die Demokraten eher gewillt zuzuhören und auf Wählergruppen zuzugehen, die ihnen zunehmend abhanden gekommen sind, zum Beispiel die weißen Männer aus der Arbeiterklasse. Aufseiten der Republikaner sehe ich das allerdings nicht: Denen sind die jungen Leute ziemlich gleichgültig, die für Gleichberechtigung, für Queerness einstehen und die Rechte der LGBTQ-Community gerne gestärkt sehen wollen.
Jenseits von Forschung und Lehre - welches emotionale Verhältnis haben Sie zu den USA?
Die USA sind für mich mein zweites Zuhause. Und ich fühle mich sehr vielen Menschen auch privat eng verbunden. Mir geht gerade sehr unter die Haut, was in den USA passiert. Wenn es gut läuft, freue ich mich mit. Was schlecht läuft, macht mich manchmal schier wahnsinnig. Jetzt für die Wahl wünsche ich mir so sehr, dass alles friedlich bleibt und dass die Menschen danach doch irgendwie zurück in den Dialog finden.
Wird die Wahlnacht am 5. November für Sie zur schlaflosen Nacht?
Ich gehe abends zur „US Election Night“ des Amerika Hauses NRW im Alten Pfandhaus am Kartäuserwall. Dort wirke ich mit einigen Kolleginnen und Kollegen von der Uni – und wenn dann die Wahlergebnisse eintrudeln, wird das sicher bis in die Puppen gehen.
frank&frei: Amerika hat gewählt
Über den Ausgang der Präsidentschaftswahl und die Folgen diskutiert Professorin Anke Ortlepp mit der Direktorin des Amerika-Hauses NRW, Viktoria Harbecke, und Karl Doemens, USA-Korrespondent des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Moderation: Joachim Frank. Donnerstag, 7. November, 19 Uhr, in der Karl-Rahner-Akademie, Jabachstraße 4-8, 50676 Köln. Eintritt: 12 Euro, ermäßigt und mit KStA-ABOCARD 6 Euro.Zur Anmeldung können Sie mailen oder anrufen unter Tel. 0221/801078-0.