Wie Hitler- und NS-Vergleiche bei den Menschen in den USA verfangen, erklärt Professor Klaus Larresm, Kolumnist des „Kölner Stadt-Anzeiger“.
US-WahlkampfDie Bezeichnung Trumps als Faschist ist wenig hilfreich
Im Jahr 1935, unter dem Eindruck des Nationalsozialismus in Deutschland und der faschistischen Herrschaft des „Duce“ Benito Mussolini in Italien, warnte der Autor Sinclair Lewis mit seinem Roman „Bei uns kann das nicht passieren“, dass die USA nicht gegen eine faschistische Diktatur gefeit seien. Auch in den USA stehe die Demokratie nur wenige Jahre nach der verheerenden Depression von 1929 auf wackligen Beinen. Faktisch gelang es jedoch Präsident Franklin Roosevelt mit einer geschickten Politik, die Demokratie in den USA zu festigen.
Im US-Wahlkampf von 2016 und danach in den Jahren von Trumps Präsidentschaft wurde dann heftig darüber gestritten, ob Lewis‘ düstere Prophetien sich doch noch bewahrheiten würden. Insbesondere schien es sich beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021, mit dem fanatisierte Trump-Anhänger die Ratifizierung von Joe Bidens Wahlsieg verhindern wollten, um einen von Trump angestachelten Coup gegen die amerikanische Demokratie zu handeln.
Die Darstellung Trumps als zweiter Hitler soll Unentschlossene auf Harris' Seite ziehen
Heute sind die meisten der mehr als 160 Millionen wahlberechtigten Amerikaner überzeugt, dass es sich bei der Präsidentschaftswahl am 5. November wieder um eine Schicksalswahl handelt. Damit dürften sie recht haben. In den vergangenen Wochen und Monaten wurde die Gefahr des Faschismus und der Abschaffung der Demokratie wieder zum heftig diskutierten Gesprächsgegenstand. Das hat sicherlich mit dem Schmelzen von Harris‘ Vorsprung in den Meinungsumfragen zu tun. Durch die Darstellung Trumps als zweiter Hitler sollen noch unentschlossene Wähler auf die Seite der US-Demokraten und ihrer Kandidatin gezogen werden.
Kaum jemand glaubt wirklich, dass Trump tatsächlich ein ähnliches Monster wie Hitler ist und einen HoloCaust oder einen Weltkrieg plant. Aber durch den Vergleich mit Hitler kann knapp und zielsicher ausgedrückt werden, dass Trump viel mehr einem nationalistisch-autokratischen Diktator ähnelt als einem in den amerikanisch-demokratischen Werten verankerter Politiker. Und davon sind viele Menschen in den USA überzeugt.
Man traut Trump inzwischen fast alles zu
Denn wie sollte eine solche Taktik verfangen, wenn es dafür keine Anknüpfungspunkte in der Wirklichkeit gäbe? Dazu gehören Trumps vulgäre Rhetorik und die ständigen persönlichen Angriffe auf seine Konkurrentin. Auch Trumps unaufhörliches Gerede vom inneren linken Feind, die wüsten Racheschwüre gegen alle Kritiker und seine vielen Andeutungen, dass bei der Präsidentschaftswahl mit großen Betrügereien zu rechnen sei sind Wasser auf die Mühlen derjenigen, die für den Fall seines Siegs den Untergang der Demokratie beschwören. Man traut Trump inzwischen fast alles zu, von der Inhaftierung politischer Gegner bis zur Suspendierung der Verfassung.
Dazu hat auch die Warnung zweier hochrangiger Generäle beigetragen, die Trump aus seiner Amtszeit bestens kennen. Sein ehemaliger Stabschef John Kelly nannte Trump einen „Autokraten“ mit faschistoiden Zügen. Der vormalige höchste US-Offizier, Generalstabschef Mark Milley, wurde noch deutlicher. Er sagte der Journalisten-Legende Bob Woodward, Trump sei durch und durch faschistisch; weitere vier Jahre im Amt würden den Präsident selbst zum „gefährlichsten Feind“ der USA machen.
„Faschismus“ ist ein Container-Begriff - Trump verkörpert alles, was darin enthalten ist
Was aber meinen die Amerikaner, wenn sie von Trump als einem Faschisten sprechen? Denken Sie an einen zweiten Hitler oder zumindest einen zweiten Mussolini? Oder meinen sie „nur“ einen extremen Nationalisten mit revolutionär-autokratischen Vorlieben? In der Wissenschaft ist die Definition von Faschismus umstritten. Die Ausfüllungen des Begriffs variieren beträchtlich und gehen meist über das hinaus, was mit Blick auf die 1930er Jahre lange Zeit darunter verstanden wurde. Nicht erst Donald Trump, sondern schon Ronald Reagan und George W. Bush wurden in den USA von ihren Gegnern des Öfteren als Faschisten beschimpft. Gleiches gilt umgekehrt für den einen oder anderen linken Politiker.
Letztlich ist die Bezeichnung ein Container-Begriff für offen autokratische, rassistische, fremdenfeindliche, homophobe und gewaltverherrlichende Ansichten, verbunden mit Persönlichkeitskult, der Bewunderung von Diktatoren und ihrer brutalen Gewaltherrschaft. Trump verkörpert all das. Er hat sich mehrmals positiv über die Politik und die militärischen Erfolge Hitlers geäußert. Er benutzt die menschenverachtende Sprache der Nazis, wenn er sich über südamerikanische Immigranten äußert. Er wird nicht müde, die US-Demokratie zu unterminieren, indem er den fairen Wahlprozess anzweifelt und sich bis heute weigert, zuzugeben, dass Biden vor vier Jahren die Wahlen gewonnen hat und mithin der rechtmäßige und legitime Präsident ist.
Im Unterschied zu den Nazis verfügt Trump aber keinesfalls über eine kohärente politische Ideologie. Sein Weltbild ist stattdessen konfus, widersprüchlich und schillernd. Wie bei einem Chamäleon nimmt es gern die Färbung des jeweils letzten Gesprächspartners an. Anders als Hitler hat Trump auch kein Interesse an einer expandierenden, imperialistischen Eroberungspolitik. Im Gegenteil. Er ist ein zumindest halb-isolationistischer Politiker, der sich ganz auf die USA fokussiert und sein Land möglichst aus den Kriegen im Nahen Osten und Europa herausziehen möchte. Trump will nicht so sehr die Nato, die Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen dominieren, sondern sich eher aus dem Nordatlantik-Bündnis und den UN verabschieden.
Die Bezeichnung Trumps als Faschist ist daher wenig hilfreich und erklärt nicht wirklich, was bei einer erneuten Präsidentschaft Trumps auf die USA und die Welt zukommen wird. Eines ist klar: Deutschland und Europa - und wohl auch die USA selbst - werden nicht viel zu lachen haben. Sollte Trump tatsächlich erneut US-Präsident werden, wovon ich aber nicht ausgehe, ist dennoch nicht gleich mit dem Untergang der Demokratie in den USA zu rechnen. Die schon lange bestehenden, soliden demokratischen Institutionen der USA und die tiefe demokratische Überzeugung der meisten US-Amerikaner sollten nicht unterschätzt werden.