Kolumnist Klaus Larres, Historiker an der University of North Carolina/Chapel Hill, analysiert, warum die USA China als Feind Nummer eins betrachten.
Analyse zu den USADie Bedrohung durch China bestimmt die Politik der Vereinigten Staaten
In Deutschland ist Chinapolitik vor allem Wirtschaftspolitik. Das wurde auch gerade wieder einmal beim zweiten Chinabesuch von Bundeskanzler Olaf Scholz deutlich. Die deutsche und europäische Sicherheitspolitik hat dagegen mit den Kriegen in der Ukraine und Gaza alle Hände voll zu tun. Für Chinas offensive Weltpolitik bleibt da wenig Zeit. Die im Juli 2023 veröffentlichte China-Strategie der Bundesregierung betont mit Nachdruck, dass ungeachtet aller Rivalität „die Zusammenarbeit mit China … ein grundlegendes Element“ der deutschen Chinastrategie ist.
Das alles sieht in den USA ganz anders aus. Außer in der Klimapolitik sprich hier kaum noch einer davon, dass eine Partnerschaft und Kooperation mit China möglich oder gar wünschenswert sei. China wird offen als Feind beschrieben und ein militärischer Konflikt oftmals als unvermeidbar dargestellt.
Der blutrünstige Putin in Russland, der unberechenbare Diktator Kim Jong-Un in Nordkorea, die Ajatollahs in Iran und Terrororganisationen wie Hamas oder IS stellten große weltpolitische Gefahren dar. Doch mit denen könne man fertig werden, so heißt es. Die wirkliche Bedrohung gehe von China aus.
Die beiden großen Parteien in den USA, Demokraten und Republikaner, sind über fast alle innen- und außenpolitischen Probleme tief zerstritten. Nur in der Chinafrage ist man sich einig: Dem Regime in Peking muss dringend Einhalt geboten werden. China dominiert daher die außenpolitische Diskussion in Washington wie kein anderes Thema.
Dafür gibt es viele Gründe. Drei davon sind besonders wichtig.
Der Kampf um die globale Vorherrschaft
Bei der Konkurrenz mit China geht es ans Eingemachte, so glauben die meisten Menschen in den USA. Es stehe nichts weniger auf dem Spiel als die Stellung der USA als Weltmacht Nummer eins. China, so ist man überzeugt, will die USA als Wirtschafts- und Technologiemacht, aber auch als globale militärische Führungsmacht so schnell wie möglich überflügeln, um dann das Ordnungsgefüge der Welt in autoritärem und antidemokratischem Sinne neu zu gestalten.
Schon unter Präsident Barack Obama begannen die USA, behutsam Gegenwehr zu leisten. Donald Trump griff zu weitaus schärferen Mitteln, die sein Nachfolger Joe Biden fast alle übernahm. Die USA führten umfangreiche Exportkontrollen für die modernsten Technologieprodukte ein, gerade auch im Bereich der Halbleiter und der Künstlichen Intelligenz (KI).
Besonders betroffen davon sind sogenannte Dual-Use-Produkte, die China sowohl bei der ökonomischen Modernisierung also auch bei dem aggressiven Ausbau seiner Militärmacht helfen könnten. Schon jetzt besitzt China mit 370 Kriegsschiffen die größte Marine der Welt (die USA haben 280 Kriegsschiffe). Peking ist auch dabei, das chinesische Nukleararsenal von wohl 438 Atomsprengköpfen zu modernisieren und deren Anzahl zu verdreifachen.
Die USA erheben auch auf zahlreiche chinesische Importe, vor allem auf Stahl- und Aluminiumprodukte, eine zusätzliche Einfuhrsteuer von 7,5 Prozent. Biden hat diesen Steuersatz kürzlich verdreifacht, und Trump hat angekündigt, ihn auf 60 Prozent zu erhöhen, wenn er wieder Präsident werden sollte. So soll vermieden werden, dass sich die vom chinesischen Staat hoch subventionierten Waren auf dem US-Markt durchsetzen können. Denn vor allem aus nationalen Sicherheitsgründen will Washington verhindern, dass beispielsweise einheimische Stahlwerke durch die chinesische Konkurrenz in den Bankrott getrieben werden.
Durch das mit 53 Milliarden Dollar subventionierte „Chips and Science“-Gesetz von 2022 beabsichtigt die Biden-Regierung, die Entwicklung und Produktion hochmodernster Halbleiter in den USA zu forcieren. Mit Blick auf einem möglichen Konflikt mit China sind die USA bestrebt, die Produktion der wichtigsten Industriewaren wieder ins eigene Land zu holen. Spätestens seit dem 2015 veröffentlichen Strategieplan „China 2025“ verfolgt Peking übrigens das gleiche Ziel. Das Land versucht, sich von westlichen High-Tech-Produkten unabhängig zu machen.
Offiziell wird zwar in Washington immer wieder betont, dass in den USA wie in Europa eine Politik des „Re-risking“ betrieben wird. Dabei handelt es sich im Wesentlichen darum, stärkere wirtschaftliche Beziehungen mit anderen Ländern einzugehen und so die übergroße Konzentration auf chinesische Produkte abzubauen. Doch gibt es in Washington viele Befürworter einer fast völligen Entkoppelung von China, besonders von den als gefährlich angesehenen Technologieprodukten Chinas, wozu auch die App Tiktok, die Erzeugnisse der Telekommunikationsfirmen Huawei und ZTE und viele andere zählen.
Der Clash in der indopazifischen Region
Aber die USA fühlen sich nicht nur durch die Handelspolitik Chinas, sondern auch durch die chinesische Geopolitik bedroht, nicht zuletzt im Indopazifik. Schon Obama verkündete eine „Hinwendung zum Pazifik“, die aber weitgehend folgenlos blieb. Das änderte sich unter Trump und Biden. Beide Präsidenten begannen damit, das Netz von US-Verbündeten im Fernen Osten auszubauen und enge bi- und multilaterale Partnerschaften mit Indien, Japan, Südkorea, den Philippinen, Malaysia, Indonesien, und manch anderen Ländern aufzubauen.
2019 wurde die schon 2004 begründete „Quad“-Allianz wiederbelebt. Dabei handelt es sich um ein deutlich gegen China gerichtetes sicherheitspolitisches Bündnis zwischen Australien, Japan, Indien und den USA. Präsident Biden zufolge soll es helfen, die gesamte indopazifische Region an demokratischen Werten zu orientieren und sie „frei, offen und gewaltfrei“ zu halten.
Der im September 2021 begründete „Aukus“-Pakt zwischen Australien, Großbritannien und den USA ist noch direkter gegen China gerichtet. Australien erhält so das hochgeheime technische Knowhow, um mit Atomkraft betriebene Unterseeboote zu bauen, mittels derer das Land den USA bei Patrouillen im riesigen Pazifik helfen kann. Dadurch soll die sicherheitspolitische Lage im Indopazifik und dem südchinesischen Meer stabilisiert und China davon abgehalten werden, seine international sehr umstrittenen Besitzansprüche in der Südchinasee gewaltsam durchzusetzen.
Ungeachtet des 2016 erfolgten Urteilsspruchs eines UN-Gerichts beansprucht China etwa 90 Prozent der Südchinasee als eigenen Besitz. Schon seit Jahren weist Peking die Ansprüche vehement zurück, die auch die Philippinen, Vietnam, Brunei und Malaysia auf manche der unbewohnten Inseln und Felsbrocken im Südchinameer erheben.
Diese aus den endlosen Weiten des Indopazifiks oftmals nur bei niedrigem Wasserstand hervorragenden Felsen sind von wichtiger strategischer Bedeutung, falls es zu einem militärischen Konflikt kommen sollte. China hat manche dieser Felsformationen um die Spratly-Inseln militärisch ausgebaut und sogar künstliche Flugzeuglandebahnen installiert. Tief im Meeresboden unter diesen kleinen umstrittenen Inseln, mehr als 3000 Kilometer entfernt vom chinesischen Festland, sollen auch reichhaltige Öl und Erdgasvorkommen liegen.
In letzter Zeit hat es am sogenannten Second Thomas Shoal gefährliche Kollisionen zwischen Schiffen der chinesischen Marine und philippinischen Fischerbooten gegeben. Das könnte durchaus zu einem großen Krieg im Indopazifik führen. Denn die USA und die Philippinen verbindet ein 1951 geschlossener Verteidigungspakt. Bei einer ernsthaften chinesischen Aggression gegen philippinische Boote und Seeleute würden die USA Manila wohl beistehen und militärisch eingreifen.
Auch die immer forschere Politik Chinas gegenüber Taiwan wird in Washington mit großer Sorge gesehen. Zwar ist Taiwan Teil Chinas, was von allen westlichen Ländern anerkannt ist, doch besitzt die nur 160 Kilometer vor dem chinesischen Festland gelegene Insel eine von Peking autonome Innen- und Außenpolitik.
Schon seit den Zeiten Mao Zedongs hat Peking das Ziel, die Einheit ganz Chinas wiederherzustellen, am besten gewaltlos, aber wenn nötig auch durchaus mittels der Anwendung von Gewalt, wie chinesische Politiker immer wieder betonen. Zum großen Unmut von Präsident Xi Jinping wendet sich die Bevölkerung des demokratischen und wirtschaftlich florierenden Taiwan politisch, wirtschaftlich und auch kulturell zunehmend dem Westen zu.
USA können sich Passivität kaum leisten
Es ist nicht ausgeschlossen, dass Peking über eine Invasion oder die ökonomische Blockade der Insel nachdenkt, um die Wiedervereinigung gewaltsam herzustellen. Immer wieder wird von amerikanischen Offizieren gesagt, dass es wohl 2027 so weit sein könnte.
Durch den „Taiwan Relations Act“ von 1979 sind die USA verpflichtet, die Verteidigungsfähigkeit Taiwans durch Waffenlieferungen zu unterstützen. Taiwan ist aber kein militärischer Alliierter Washingtons, und die USA sind daher nicht verpflichtet, die Insel mit Waffengewalt zu verteidigen. Präsident Biden hat jedoch in den vergangenen drei Jahren bereits vier Mal betont, dass die USA militärisch eingreifen würden, sollte China Gewalt gegen Taiwan anwenden. Schon jetzt werden die chinesischen Militärmanöver in der Nähe Taiwans und die regelmäßigen aggressiven Sturzflugübungen der chinesischen Luftwaffe über der Insel mit großer Sorge beobachtet.
Es ist klar, dass die USA es sich kaum leisten könnten, passiv zu bleiben, falls China Gewalt gegen Taiwan anwenden würde. Denn dann stünde die Glaubwürdigkeit Washingtons und die Zuverlässigkeit der USA als Bündnispartner bei seinen Alliierten im Fernen Osten, aber auch bei den Nato-Partnern in Europa völlig in Frage. Es wäre der Anfang vom Ende der USA als globale Hegemonialmacht.
Westliche Wertvorstellungen
Neben der geopolitischen und wirtschaftlichen Rivalität gibt es aber auch manche andere Faktoren, die die USA und China auf Kollisionskurs gebracht haben. In den USA wird beispielsweise nie vergessen, dass es sich bei China um ein atheistisches und kommunistisches Regime handelt, das diktatorisch regiert wird und keinerlei Respekt für Menschenrechte zeigt. Die Inhaftierung vieler politischer Dissidenten und die unbarmherzige Verfolgung der Uiguren in Xinjiang stechen dabei besonders hervor. Auch werden in keinem anderen Land so viele Todesurteile gefällt und vollstreckt wie in China: 8000 pro Jahr – mit einer wohl deutlich höheren Dunkelziffer.
Sicherlich spielt auch eine Rolle, dass es sich bei China um ein einstiges Entwicklungsland handelt, dem die USA unter Präsident Richard Nixon im Kontext des Kalten Krieges einst die Hand reichten, um es wirtschaftlich auf die Beine zu bringen. Dass dieser Emporkömmling nun so dreist ist, die globale Vorherrschaft der USA in Frage zu stellen, empfinden viele Menschen in den USA – gerade auf dem rechten Spektrum – als inakzeptabel.
Auf den ersten Blick erinnert das ein wenig an die Konkurrenz zwischen der Weltmacht Großbritannien und dem aufstrebenden Kaiserreich Deutschland im ausgehenden 19. Jahrhundert und den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Auch wenn der Vergleich hinkt, ist es kaum zu bezweifeln, dass ein Krieg zwischen den USA und China zu ähnlich schrecklichen Folgen für die ganze Welt führen würde wie der Erste Weltkrieg.
Dennoch: Ein Krieg zwischen den beiden Supermächten ist derzeit eher unwahrscheinlich. Das Treffen von Präsident Biden und Präsident Xi Jinping in San Francisco Mitte November 2023 hat zu einem Tauwetter in den Beziehungen geführt. Ob es sich dabei um eine nur kurzfristige oder länger andauernde Entspannung handelt, ist jedoch völlig ungewiss. Auch über die voraussichtlich noch härtere Chinapolitik der USA unter einer zweiten Präsidentschaft Donald Trumps kann derzeit nur spekuliert werden.
Zur Person
Klaus Larres ist Professor für Geschichte und Internationale Beziehungen an der University of North Carolina, Chapel Hill. In seiner Kolumne schreibt der gebürtige Schleidener aus Sicht eines Deutschen über die USA als Wahlheimat und liebsten Forschungsgegenstand. (jf)