Einst galt Rudy Giuliani als Held der Anschläge des 11. September 2001. Dann wurde er zum Verschwörungsideologen und häufte Schulden an. Nun verdingt er sich als Geburtstagsredner.
Von der „Person des Jahres“ zum PariaDer beispiellose Absturz des Rudy Giuliani
Der wuchtige Ledersessel und das braune Bücherregal mit der eigenen Biografie sollen den Eindruck der gediegenen Seriosität erwecken. Doch das gelbe Hemd des Redners wirkt eindeutig zu schrill. „Hallo, ich bin Rudy Giuliani“, sagt der Mann: „Geben Sie mir die Chance, etwas Nettes, Lustiges zu machen. Ich kann Glückwünsche zu Geburtstagen oder Jahrestagen sprechen (...) oder auch aufmunternde Worte sagen. Manche Leute brauchen das.“
Der prominente 79-Jährige braucht gerade vor allem Geld. Für 325 Dollar (plus 32,50 Dollar Bearbeitungsgebühr und 21,45 Dollar Steuern) kann man den Ex-Anwalt des früheren Präsidenten Donald Trump für eine Videobotschaft auf der Prominentenplattform Cameo buchen, wo sonst abgehalfterte Schauspieler, Popstars oder Sportler ihr Einkommen aufbessern. Wer 975 Dollar überweist, bekommt sogar einen persönlichen Videoanruf des Politikers.
Mehr als 1,3 Millionen Dollar Schulden beim eigenen Anwalt
Einst war Rudy Giuliani der bekannteste Bürgermeister der USA. Das Magazin „Time“ wählte ihn 2001 zur „Person des Jahres“. Nun haben gerade noch 16 Prozent der Amerikaner eine gute Meinung von ihm, und der exaltierte Selbstdarsteller steht vor der Pleite. Gerade hat ihn die Kanzlei Davidoff Hutcher & Citron LLP, die ihn seit 2019 in zahlreichen Prozessen vertrat, wegen unbezahlter Anwaltshonorare in Höhe von 1,36 Millionen Dollar verklagt. Der Sender CNN berichtet unter Berufung auf Insider, dass sich bei Giuliani inzwischen offene Rechnungen für Anwälte, Geldstrafen und Sanktionen über rund 5 Millionen Dollar türmen sollen. Weitere hohe Schadensersatzurteile stehen bevor.
Giuliani hat schon signierte T-Shirts (für 911 Dollar das Stück) zu verkaufen versucht, die an seine Rolle nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erinnern, als er zupackend die Rettungs- und Aufräumarbeiten in New York leitete. Er hat sich von Trump mit einem Spendendinner helfen lassen, dessen Teilnehmer jeweils 100.000 Dollar hinblättern mussten. Und vor zwei Monaten hat er seine Wohnung auf der Upper East Side mit drei Bädern, offenem Kamin und eichenholzvertäfeltem Esszimmer für 6,5 Millionen Dollar zum Verkauf angeboten. Die Immobilie biete „ein Übermaß an Sonnenlicht, hohe Decken und wunderbare Parkettböden“, schwärmen die Makler von Sotheby’s. Ein Käufer oder eine Käuferin hat sich bislang offenbar nicht gefunden.
„Er ist ein anderer Mann geworden“, sagt seine dritte Ex-Frau
Vom gefeierten New Yorker Bürgermeister, der von Queen Elizabeth II. ehrenhalber geadelt wurde, zum gesellschaftlichen Paria und Pleitier – es ist ein beispielloser Absturz, den Rudy Giuliani hingelegt hat. Sein Niedergang begann, als er sich nach dem Wahlsieg von Donald Trump ganz an den Rechtspopulisten band. Giuliani war zunächst Rechtsberater, dann persönlicher Anwalt des Präsidenten und ein Verbreiter wildester Verschwörungslegenden. „Er ist ein anderer Mann geworden“, erklärte seine dritte Frau Judith Nathan 2019 bei der Scheidung. Giuliani war die treibende Kraft hinter Trumps Versuch, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu erpressen. Später erfand er immer krudere Lügen über angebliche Manipulationen bei der Präsidentschaftswahl.
Spätestens im Herbst 2020 nahm das öffentliche Image des einstigen Bürgermeisteridols schweren Schaden, als er in einem Borat-Film als notgeiler alter Mann im Gespräch mit einer angeblich minderjährigen Reporterin vorgeführt wurde. Kurz darauf triefte ihm bei einem öffentlichen Auftritt Färbemittel aus dem Haar. Die bizarre Pressekonferenz vor dem Four Seasons von Philadelphia – tatsächlich ein Gartenbaubetrieb im Industriegebiet – machte ihn endgültig zur Witzfigur.
Seine Zulassung als Anwalt in New York und Washington hat Giuliani wegen seiner Wahllügen, die den Umsturzversuch vom 6. Januar befeuerten, inzwischen verloren. Zwei Wahlmaschinenhersteller haben ihn auf Schadensersatz in Milliardenhöhe verklagt. Nun ist er wegen seines Versuchs, das Stimmergebnis zu verdrehen, in Georgia angeklagt. Unabhängig davon haben ihn zwei Wahlhelferinnen aus dem Bundesstaat wegen Verleumdung vor den Kadi gebracht. In dem Verfahren sollen für ihn alleine Anwaltskosten von 90.000 Dollar aufgelaufen sein. Die Verhandlung ist für den 11. Dezember angesetzt.
Hinzu kommen immer neue Vorwürfe der sexuellen Nötigung gegen den 79-Jährigen, der der Potenzpille Viagra fast so häufig wie dem schottischen Whisky zusprechen soll. Im Mai hat eine ehemalige Mitarbeiterin den Ex-Anwalt verklagt, weil er sie zu sexuellen Handlungen gezwungen haben soll. Als Belege reichte sie beim Gericht Tonaufnahmen und SMS-Nachrichten ein. Anfang dieser Woche wurde bekannt, dass auch Cassidy Hutchinson, die durch ihre Aussage vor dem Kapitolsturm-Untersuchungsausschuss bekanntgewordene Mitarbeiterin von Trumps Ex-Stabschef Mark Meadows, in einem Buch Vorwürfe gegen Giuliani erhebt: Angeblich hat er ihr während der Trump-Rede am 6. Januar 2021, bei der der Präsident den rechten Mob zum Marsch in Richtung Kapitol aufrief, hinter der Bühne an die Oberschenkel gegriffen. Giuliani bestreitet beide Anschuldigungen.
Wiederholt haben Freunde von Giuliani nach Medienberichten versucht, Trump zur Übernahme der gewaltigen Gerichtskosten seines einstigen Anwalts zu drängen. Doch der Ex-Präsident soll sich bislang weigern. Mit Verlierern umgibt er sich nicht gern, und eine Zahlung könnte in seinen Augen als Schuldanerkenntnis gewertet werden.
Umso verzweifelter betont Giuliani seine Nähe zu dem weiterhin populären Ex-Präsidenten. Anfang September sendete er seine „Rudy Giuliani Show“, in der er beim Radiosender 77 WABC täglich rechte Verschwörungsmythen und Anekdoten aus seinem Leben zum Besten gibt, aus Trumps Golfclub in Bedminster. Doch ein Interview mit Trump konnte er nicht bieten: „Heute hat er das Haus früh verlassen, um nach North oder South Dakota zu fliegen“, schwafelte Giuliani offenkundig unwissend: „Also eines der beiden Dakotas jedenfalls.“