SchulreformDebatte um Vorschulpflicht für Dreijährige – NRW-Ministerin lehnt ab
Berlin – Überraschung, Entsetzen oder Wut – so fielen wohl die Reaktionen vieler Eltern in Deutschland aus, wenn Kinder ab drei Jahre verpflichtend in die Kita oder Vorschule gehen müssten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will so eine Pflicht im September 2019 einführen, um den Kindern die gleichen Startchancen zu ermöglichen.
Aber in Frankreich gehen auch schon jetzt fast alle Kinder ab drei Jahren in die „École maternelle“, eine Vorschule, in der es insbesondere um die sprachliche Entwicklung der Kinder geht. Der Schritt für eine Schulpflicht ab drei ist also gar kein so großer.
Und in Deutschland? Hier wäre eine Kita- oder Vorschulpflicht nicht umsetzbar. „Die Eltern würden auf die Barrikaden gehen. Hier legt man sehr viel Wert auf die Entscheidungsfreiheit bei der Betreuung. Das hat aber auch damit zu tun, dass der emotionale Wert von Kindern in den letzten Jahrzehnten sehr gestiegen ist“, sagt Heinz Reinders, Bildungsforscher an der Uni Würzburg. Nicht immer habe das allerdings einen positiven Effekt.
Kindergärten verändern sich
Reinders erkennt in ganz Westeuropa und damit auch hierzulande eine Entwicklung: Und zwar weg von der klassischen vorschulischen Betreuung, hin zur vorschulischen Bildung. Längst sind Kindertageseinrichtungen mehr als nur ein Platz, wo Kinder mit Bauklötzen spielen und Mittag essen können. Allein der bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kitakinder umfasst knapp 500 Seiten.
„Früher war der Kindergarten dafür da, das Kind in Obhut zu geben, zum Beispiel, weil die Eltern beide arbeiten gingen. Frühkindliche Bildung gab es schon früher als Idee, spielte sich aber eher in Nischen ab“, erklärt Reinders.
Eine Schulpflicht für Kinder ab drei Jahren in Deutschland ist aber deshalb schon ausgeschlossen, weil hierzulande das Kooperationsverbot gilt: Der Bund hat keinen Einfluss auf die Bildungspolitik der Länder.
Qualitätsunterschied in den Kitas
Auch in Deutschland gehen zwischen 70 und 100 Prozent der Kinder je nach Region ab drei Jahren in die Kita oder andere Betreuungseinrichtungen. Es mache aber einen Unterschied, ob das freiwillig oder verpflichtend passiere, erklärt Reinders. Auch wenn es den Kindern in den deutschen Kitas sehr gut ergehe, sei „so ein Besuch nicht für jedes Kind sinnvoll“. Aber gerade sozial benachteiligte Kinder profitierten von einem frühen Kita-Besuch, weil sie dadurch bessere Startchancen bekämen. „Chancengleichheit schafft man jedoch nicht durch Verpflichtung, sondern dadurch, dass es keine regionalen Unterschiede bei der Qualität der Kitas mehr gibt – auch monetär“, sagt Reinders.
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Denn wer es sich leisten kann, schickt sein Kind in eine exklusive Kita. Es gibt inzwischen vegane Kitas, Wald-Kitas oder Luxus-Kitas, die bis zu 1700 Euro im Monat verlangen – dort werden Kinder besser und individueller gefördert als in den „normalen“ Einrichtungen. „Von Bundesland zu Bundesland ist die Qualität unterschiedlich, das sieht man allein schon am Betreuungsschlüssel“, sagt Reinders. Die Herausforderung bestehe daher darin, dass die Kitas gleich qualifiziertes Personal haben.
Die neue Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) scheint das Problem erkannt zu haben. „In der Kita und in der Kindertagespflege wird die Basis für die Entwicklung eines Kindes gelegt“, sagte Giffey kürzlich. „Wir müssen deshalb so früh wie möglich ansetzen, um ungleiche Startchancen der Kinder auszugleichen – damit es jedes Kind packt!“ Auch in der Kindertagespflege brauche man mehr Plätze – auch mit guter Qualität.
Gute-Kita-Gesetz soll helfen
„Deshalb wird das geplante Gute-Kita-Gesetz auch die Rahmenbedingungen für die pädagogische Arbeit und für die Kindertagespflegepersonen weiter verbessern“, erklärte Giffey. Das Gesetz will die Familienministerin mit den Ländern vor dem Sommer vorlegen. Der Bund stellt in den nächsten Jahren zusätzliche Mittel in Höhe von 3,5 Milliarden Euro für die Kindertagesbetreuung zur Verfügung.
Auch Katja Dörner, Sprecherin für Kinder- und Familienpolitik bei den Grünen, erklärte, dass eine Diskussion um eine Kita-Pflicht „die falsche Debatte zur falschen Zeit“ sei. „Was wir jetzt brauchen ist ein finanzieller Kraftakt für mehr Plätze und für eine Qualitätsoffensive“, sagte Dörner. Viel Hoffnung hat sie allerdings nicht: „Es fehlen Plätze, trotzdem drückt sich der Bund davor, seinen Anteil am Platzausbau zu finanzieren und lässt die Kommunen im Regen stehen.“
Für NRW sei das französische Vorhaben kein Modell, sagte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Wir müssen den Kindern genügend Zeit lassen, um sich zu entwickeln und auch einmal chillen zu dürfen.“ Von einer Schulpflicht für Kinder ab drei Jahren halte sie nichts.
Das Gymnasium werde durch die Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren teilweise entschleunigt. „Daher kann es nicht sein, dass man den Druck in den unteren Jahrgängen wieder erhöht“, sagte Gebauer. Allerdings müsste alles getan werden, Eltern zu unterstützen, die ihren Erziehungspflichten nicht genügend nachkommen. In NRW habe man jedoch ein sehr gutes Angebot und eine Betreuungsquote von über 90 Prozent. „Wir erreichen die meisten Kinder im Kindergartenalter.“