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TV-Debatte„U-Boote“ und „rote Linien“ – Faktencheck zum Duell Wagenknecht gegen Weidel

Lesezeit 5 Minuten
Alice Weidel (l.) und Sahra Wagenknecht stehen am 9. Oktober an ihren Rednerpulten zu Beginn des TV-Duells bei dem Nachrichtensender Welt-TV.

Alice Weidel (l.) und Sahra Wagenknecht stehen am 9. Oktober an ihren Rednerpulten zu Beginn des TV-Duells bei dem Nachrichtensender Welt-TV.

AfD-Chefin Alice Weidel und BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht lieferten sich im Fernsehen ein kontroverses Duell voller gegenseitiger Vorwürfe.

AfD-Chefin Alice Weidel und BSW-Chefin Sahra Wagenknecht sind am Abend bei einem TV-Duell beim Sender Welt TV aufeinandergetroffen. Vier zentrale Aussagen im RND-Faktencheck.

1. Hat Weidel behauptet, das BSW sei ein „U-Boot der Regierung“?

Zu Beginn des Duells spricht Sahra Wagenknecht Alice Weidel auf einige ihrer Aussagen zum BSW an. Die neue Partei sei ein „Steigbügelhalter“ für die etablierten Parteien. Weidel habe sogar „geraunt“, das BSW sei ein von der Regierung installiertes „U-Boot“. Das finde sie „ehrenrührig und ehrabschneidend“.

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Das stimmt

Die Äußerungen, die Wagenknecht ihrer Kontrahentin vorwirft, sind so gefallen. Gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) hatte Alice Weidel vergangene Woche gesagt, Wagenknechts Bündnis sei zum „Steigbügel­halter der etablierten Parteien“ geworden, es spalte „das regierungskritische Lager“. Bei einem Auftritt im Brandenburger Landtags­wahlkampf hatte Weidel geraunt, es habe „in der Geschichte viele Beispiele gegeben, wo „die Regierung eine Scheinopposition aufbaut, um die wahre Opposition zu spalten“. Das BSW sei gegründet worden, um die AfD „in Ostdeutschland von der Macht wegzuhalten“. Wagenknecht allein hätte den Aufbau einer neuen Partei nie bewerkstelligen können. „Da stimmt doch was nicht“, sagte Weidel.

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Das stimmt nicht

Weidels Spekulationen über die Entstehung des BSW entbehren jeder Grundlage. Im TV-Duell redet sie sich mit der Floskel heraus, der „Wahlkampf lebe von Zuspitzung“.

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So haben wir recherchiert

Statement von Alice Weidel gegenüber dem RND, eigene Beobachtungen auf Wahlkampfveranstaltung in Forst (Lausitz) am 11. September 2024.

2. Hat Sahra Wagenknecht die politischen Systeme auf Kuba und in Venezuela gelobt?

Sahra Wagenknecht reagiert schnippisch bis pikiert, wenn sie als frühere „Kommunistin“ bezeichnet wird. „Jetzt kommen Sie mir nicht auf die Tour“, fährt sie Moderator Jan Philipp Burgard an, „ich bin keine Kommunistin.“ Später räumt sie ein „in den 90ern aus Trotz Positionen vertreten zu haben, die ich heute für abenteuerlich halte“. Auf Weidels Vorwurf, sie habe die Systeme auf Kuba und in Venezuela gelobt, antwortet Wagenknecht, das habe sich nur auf die Alphabetisierungs­politik in Venezuela bezogen.

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Das stimmt

Wagenknecht hat wie große Teile ihrer damaligen politischen Heimat, der Linkspartei, dem venezolanischen autokratischen Herrscher Hugo Chavez große Sympathie entgegengebracht. In einem Venezuela-Reisebericht von 2005 schreibt sie, Chavez habe sich fünf Stunden Zeit für ihre Delegation genommen. Er sei „ausführlich auf alle Fragen der Anwesenden eingegangen“ und habe „wohl sämtliche Mitglieder der Delegation mit seiner offenen und charismatischen Art“ beeindruckt. 2008 begrüßte sie die Verstaatlichung von Ölanlagen des US-Konzerns Exxon durch Chavez. Die Wirtschaftspolitik Kubas lobte sie 2006 als „Hoffnungsschimmer“ für „die Verlierer einer markt- und profitorientierten globalisierten Welt“.

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Das stimmt nicht

Wagenknecht hat die politischen und wirtschaftlichen Systeme auf Kuba und in Venezuela deutlich länger und umfassender verteidigt, als sie im Duell glauben machen will. In Wagenknechts Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ von 2013, auf das Weidel sich in der Debatte bezieht, lobte die Autorin aber eher die Wirtschafts­politik Ludwig Erhards und beruft sich auf Vordenker des Ordoliberalismus. Wie Weidel von „20 Jahren Stalinismus­verherrlichung“ zu sprechen, ist gegenüber Wagenknecht eindeutig überzogen.

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So haben wir recherchiert

Blogeinträge auf www.sahra-wagenknecht.de, Sachbuch „Freiheit statt Kapitalismus“ (2013)

3. Hat Russland die Nato-Osterweiterung als „rote Linie“ bezeichnet?

Sowohl Sahra Wagenknecht als auch Alice Weidel sehen fast wortgleich eine Mitschuld der Nato-Staaten, speziell der USA, am Ukraine-Konflikt. Die Nato habe „mündliche Zusagen gebrochen“, sich nicht weiter nach Osten auszudehnen. Die „Anrainer­staaten seien in die Lage versetzt worden, Russland angreifen zu können“, führt Weidel aus, daher habe Russland ein „Selbstverteidigungs­recht“. Bereits damit, und erst recht durch die Perspektive eines Nato-Beitritts der Ukraine, sei eine „rote Linie“ verletzt worden.

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Das stimmt

Bereits im Zwei-plus-vier-Vertrag über die deutsche Einheit und auch in den Folgejahren haben die Sowjetunion und in der Folge Russland versucht, eine Nato-Osterweiterung zu verhindern. Im Zwei-plus-vier-Vertrag wurde festgelegt, dass Nato-Truppen nicht in der ehemaligen DDR stationiert werden dürfen. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags kommt 2016 zu dem Schluss, es gebe keine „Hinweise auf eine allseitige mündliche Vereinbarung des Inhalts, dass die Zustimmung der damaligen Sowjetunion zur deutschen Wiedervereinigung unter dem Vorbehalt stehe, dass die Nato nicht nach Osten erweitert werden dürfe“. Im Jahre 2005 sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow dem „Handelsblatt“, dass die Ukraine und Georgien selbst entscheiden könnten, ob sie der EU und der Nato beitreten wollten. „Das ist deren Wahl“, sagte Lawrow. „Wir achten das Recht jedes Staates – unsere Nachbarn eingeschlossen –, sich seine Partner selbst zu wählen, selbst zu entscheiden, welcher Organisation sie beitreten wollen.“

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Das stimmt nicht

Von einer „roten Linie“, die die Nato überschritten habe, kann spätestens nach den Lawrow-Aussagen von 2005 keine Rede mehr sein.

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So haben wir recherchiert

Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags, Interview mit Sergej Lawrow im „Handelsblatt“

4. Plant Bundesinnenministerin Nancy Faeser eine „Sippenhaft“ für unbescholtene Familienmitglieder von Clan-Kriminellen?

Beim Thema Migration ging es zwischen Wagenknecht und Weidel hoch her. Wagenknecht plädierte für eine Begrenzung der Zuwanderung, möchte hier integrierte Migranten, auch mit Asylstatus, aber auf keinen Fall abschieben. Weidel demonstriert Härte: Auch hier integrierte Syrer müssten zurückkehren. Als extrem sehe sie ihre Vorschläge keinesfalls. „Extremisten haben in unserer Partei keinen Platz“, sagt die AfD-Chefin und lässt sich von dem Einwand, dass der Verfassungsschutz das anders sehe, nicht beirren. Als „Extremisten“ bezeichnet Weidel die aktuelle Bundesregierung. Bundesinnen­ministerin Nancy Faeser habe sogar „Sippenhaft“ und die Ausweisung von nicht straffälligen Mitgliedern von kriminellen Clan-Familien gefordert.

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Das stimmt

Ein Diskussionspapier des Bundesinnenministeriums von 2023 sah vor, dass eine Ausweisung bereits möglich ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass ein Ausländer oder eine Ausländerin Teil einer kriminellen Vereinigung ist. Die bloße Familien­zugehörigkeit aber reiche dafür nicht aus, führte ein Ministeriums­sprecher aus, sondern ausschließlich eigene kriminelle Aktivitäten. Die Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic sagte dem RND, eine solche Regelung käme für die Grünen nicht infrage. Das Diskussions­papier wurde nicht in geltendes Recht umgesetzt.

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Das stimmt nicht

Von einer „Sippenhaft“, die Nancy Faeser geplant habe, kann keine Rede sein. Mit Extremismus haben die Vorschläge des Bundesinnenministeriums nichts zu tun.

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So haben wir recherchiert

Diskussionspapier des Bundesinnenministeriums, Presseberichte: RND, „Süddeutsche Zeitung“