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„Erbärmlicher Kotau“Strack-Zimmermann schimpft, Merz tadelt, Wagenknecht lobt – Wirbel um Gastbeitrag

Lesezeit 4 Minuten
ARCHIV - 09.09.2024, Berlin: Sahra Wagenknecht, Prarteivorsitzende vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gibt ein Pressestatement. (zu dpa: «BSW gründet Landesverband in Rheinland-Pfalz») Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Nach den Landtagswahlen im Osten stellt das BSW Bedingungen. CDU- und SPD-Politiker aus Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben nun einen Gastbeitrag zur Ukraine-Politik veröffentlicht – zur Freude von BSW-Chefin Wagenknecht. (Archivbild)

Michael Kretschmer, Dietmar Woidke und Mario Voigt äußern sich zur Ukraine-Politik. Kritik wird laut – beim BSW freut man sich.

Ein Gastbeitrag ostdeutscher Landespolitiker sorgt für reichlich Kritik – und Zuspruch von Sahra Wagenknecht. Die BSW-Chefin hat den gemeinsamen Appell der Ministerpräsidenten von Sachsen und Brandenburg, Michael Kretschmer (CDU) und Dietmar Woidke (SPD) sowie des Thüringer CDU-Vorsitzenden Mario Voigt zur Ukraine-Politik am Freitag als „klugen und differenzierten Beitrag“ gelobt. Scharfe Kritik kommt derweil von der FDP und den Grünen. Auch CDU-Chef Friedrich Merz distanzierte sich von den Forderungen.

Die drei Politiker hatten zuvor in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ für einen Waffenstillstand in der Ukraine geworben und die Bundesregierung aufgefordert, Russland an den Verhandlungstisch zu bringen.

Russlands Krieg: Appell von Kretschmer, Woidke und Voigt

„Deutschland und die EU haben diesen Weg noch zu unentschlossen verfolgt“, schrieben Kretschmer, Woidke und Voigt mit Blick auf diplomatische Anstrengungen zur Kriegsbeendigung. Die von Wagenknecht bekämpften Waffenlieferungen an die Ukraine, die die Existenz des Landes sichern, erwähnten sie in ihrem Text nicht.

Wagenknecht bewertete den Beitrag am Freitag als einen, „der sich wohltuend abhebt von einer Debatte, die sich mit großer moralischer Attitüde immer nur um die Frage dreht, welche Waffen als nächste geliefert werden sollten, ohne irgendeine Perspektive für ein Ende des Krieges aufzuzeigen“. Damit war die BSW-Chefin die lauteste lobende Stimme.

Lob von Sahra Wagenknecht – Scharfe Kritik von FDP und Grünen

Von einem „rückgratlosem Kotau“ sprach in der „Rheinischen Post“ hingegen die FDP-Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann. „Man hat das Gefühl, die freiheitlichen Werte unseres Landes werden gerade für ein bisschen Machterhalt und Wahlkampf auf dem Ramschtisch verscherbelt“, fügte Strack-Zimmermann an.

Kritik kommt auch von den Grünen: Die Botschaft des Gastbeitrags laute, „wie mache ich mich koalitionsfähig für das BSW mit Sahra Wagenknecht“, schrieb Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann im Onlinedienst X. Auch die scheidende Parteichefin Ricarda Lang schaltete sich ein. „War dieser Gastbeitrag Teil der Koalitionsbedingungen, die Sahra Wagenknecht den Ministerpräsidenten diktiert?“, fragte Lang zunächst am Donnerstag bei X.

Am Freitag legte die Grünen-Politikerin schließlich nach. „Was sagen eigentlich Friedrich Merz und der Bundeskanzler dazu, dass ihre Ministerpräsidenten bereit sind, die klare Linie zur Ukraine und damit die außenpolitische Glaubwürdigkeit ihrer Parteien aufzugeben, um sich für ein Bündnis mit Sahra Wagenknecht geschmeidig zu machen?“, hieß es nun von Lang.

Die Reaktion von Merz folgte noch am Freitag: „Die Ukraine kämpft um ihr schieres Überleben“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ). „Dabei müssen wir ihr auch in unserem eigenen Interesse weiter helfen. Friedensgespräche wird es nur geben, wenn beide Seiten dazu bereit sind.“ Dies sei nach dem offenbar von Wladimir Putin abgelehnten Telefongespräch mit Bundeskanzler Scholz „erkennbar nicht der Fall“. Merz fügte hinzu: „Russland wird erst zu Gesprächen bereit sein, wenn das Regime von Putin erkennen muss, dass ein weiteres militärisches Vorgehen gegen die Ukraine aussichtslos erscheint.“

Kritik an Gastbeitrag: „Das ist ein erbärmlicher Kotau. Schämt euch“

Die Landespolitiker Kretschmer, Woidke und Voigt versuchen nach den Landtagswahlen im September, jeweils durch eine Zusammenarbeit mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) eine Regierung in ihren Ländern zu bilden. Das BSW hat als Bedingung ein Bekenntnis gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und gegen die Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen gefordert. Wagenknecht hatte kürzlich vorgeschlagen, dies in den Präambeln der Koalitionsverträge zu verankern.

Kritik an dem Gastbeitrag gibt es vor diesem Hintergrund nicht nur von der politischen Konkurrenz – auch einige Russland-Experten und Politikwissenschaftler kritisierten das Vorgehen von Woidke, Kretschmer und Voigt mit deutlichen Worten. So sprachen der Osteuropa-Experte Thomas Dudek und der Politikwissenschaftler Carlo Masala angesichts des Gastbeitrages von einem Kniefall vor Wagenknecht. „Das ist ein erbärmlicher Kotau. Schämt euch“, schrieb Masala bei X.

Der Historiker Matthäus Wehowski erklärte derweil, der Gastbeitrag sei „voller Widersprüche“ und ignoriere „Russlands bisherige Position vollständig“. Ein „Einfrieren“ oder ein Waffenstillstand seien von Seiten Russlands kategorisch ausgeschlossen worden, führte Wehowski aus. Tatsächlich betont Moskau zuletzt immer wieder, dass man nicht verhandlungsbereit sei, solange die eigenen Maximalziele nicht erreicht seien. Diese kommen jedoch einer ukrainischen Kapitulation gleich.

Häme nach Lob von Sahra Wagenknecht: „Wirklich fein gemacht“

Das Lob von Wagenknecht für den Vorstoß der drei ostdeutschen Landespolitiker sorgte ebenfalls für mitunter hämische Reaktionen. „Das haben die drei wirklich fein gemacht“, erklärte Strack-Zimmermann bei X, offensichtlich mit einiger Häme versehen. Auch innerhalb der CDU wurde schließlich Kritik, insbesondere an Kretschmer und Voigt laut.

„Überraschung: Sahra Wagenknecht gefällt der Gastbeitrag“, schrieb der Europapolitiker Dennis Radtke bei X – und fand schließlich klare Worte für die Parteikollegen. Wer Koalitionen mit „dieser Putin-Freundin“ eingehen wolle, solle nach ihrem Auftritt bei der „Friedensdemonstration“ in Berlin am Donnerstag nicht sagen, er habe nicht gewusst, worauf er sich einlässt. Koalitionen mit dem BSW seien „unverantwortlich“, so Radtke weiter.

Wagenknecht hatte sich bei der Demonstration in Berlin erneut gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen, Außenministerin Annalena Baerbock als „Sicherheitsrisiko“ kritisiert und mehrere politische Konkurrenten in ein Bataillon an der Front im Krieg gewünscht. (mit dpa)