Bei den letzten Landtagswahlen schnitt die Ökopartei schlecht ab. Über die Flüchtlings- und die Friedenspolitik gibt es interne Debatten.
Partei kämpft gegen AbwärtsstrudelWarum die Grünen auf Friedrich Merz hoffen
Ricarda Lang will jetzt etwas tun. Die Parteivorsitzende möchte stärker gegen Fake News vorgehen. „Es ist ja schon so ein bisschen Volkssport geworden, Grüne zu hassen“, sagte sie in dem Videopodcast „MUT – der Deutschland-Talk mit Tijen Onaran“. Vielleicht habe man sich gegen Attacken manchmal nicht genug gewehrt.
Tatsächlich geraten die Grünen nach den jüngsten Landtagswahlen weiter in Bedrängnis. In Thüringen verpassten sie den Wiedereinzug ins Parlament, in Sachsen gelang er mit 5,1 Prozent nur knapp. Wohin sich die Wählerwippe am Sonntag in Brandenburg neigt, ist ungewiss. Rosig sieht’s nicht aus. Die Konkurrenz lässt ebenfalls nicht locker. Der CSU-Vorsitzende Markus Söder lehnte eine schwarz-grüne Koalition nach der Bundestagswahl gerade erneut ab. Der designierte Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz will sie nur, wenn die Grünen sich verändern. Er hält das Stöckchen, über das sie springen sollen.
Geschäftsführer Kellner: „Friedrich Merz lässt eine Lücke für uns“
Zwar sehen erfahrene Grüne in eben diesem Kandidaten Merz auch eine Chance. „Friedrich Merz lässt eine Lücke für uns“, sagt der einstige Politische Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. „Er bekommt viele ehemalige Merkel-Wähler nicht. Davon bin ich überzeugt. Das ist erst mal eine gute Entwicklung.“ Dennoch befinden sich die Grünen mehr denn je in der Defensive. Ein Teil der Mitglieder will deshalb nicht noch weitere Zugeständnisse machen, wie es nach 2018 unter dem Vorsitz von Robert Habeck und Annalena Baerbock zunächst freiwillig und seit der Existenz der Ampelkoalition zwangsläufig geschah. Sie wollen zumindest an den Resten des Bewährten festhalten.
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Ein Feld der Debatte ist die Flüchtlingspolitik. Eine Basisinitiative fordert in einem offenen Brief, der einem Antrag entspricht, „einen sofortigen Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien“. Weiter heißt es darin: „Darüber hinaus fordern wir eine Rückkehr zu einer Asylpolitik, die auf Schutz und Integration setzt, anstatt auf Abschottung und Kriminalisierung.“ 1913 Mitglieder haben bisher unterschrieben. Bei 2000 muss sich der Wiesbadener Parteitag Mitte November damit befassen.
Zwar hatte es erst im Sommer letzten Jahres eine kontroverse Debatte über die Einführung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) gegeben. Es zielt darauf ab, Asylverfahren an die Außengrenzen der EU zu verlagern. Später sprachen sich ein paar linke Grüne gegen Kontrollen an den deutschen Außengrenzen aus. „Es gibt auch Leute, die Linien halten müssen“, sagt eine Spitzengrüne.
Die Grünen zahlen einen Preis ohne Gegenleistung
Nur: Die Grünen haben dem GEAS am Ende zugestimmt. Kontrollen gibt es seit Montag nicht mehr nur an manchen deutschen Landgrenzen, sondern an allen. Geplant ist schließlich die teilweise Inhaftierung und beschleunigte Rückführung von Asylbewerbern, die bereits in einem anderen EU‑Staat einen Asylantrag gestellt haben. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, im Streit aus der Partei ausgeschieden, stellt daher fest: „Vor allem die Grünen haben ja alles, was sie früher abgelehnt haben, plötzlich mitgemacht. Aber es kommt halt so spät, dass es ihnen jetzt nichts bringt.“ So ist es. Obwohl sich die Grünen Zugeständnis um Zugeständnis abringen, stehen sie unverändert als Bremser da. Sie zahlen einen Preis ohne Gegenleistung.
Unterdessen hat Baden-Württembergs grüner Verkehrsminister Winfried Hermann eine zweite Initiative gestartet, diesmal überparteilich. Der 72‑Jährige, als Bundestagsabgeordneter vor über 20 Jahren schon strikter Gegner des Afghanistan-Einsatzes, warnt angesichts des Ukraine-Krieges vor einer „Remilitarisierung Deutschlands“ – und will dem etwas entgegensetzen. Denn während AfD, BSW, SPD und Teile der Ost-CDU die Friedensfanfare blasen, werden die Grünen vielfach als Militaristen wahrgenommen. Das ist gerade in Ostdeutschland misslich.
Habeck: Im Wahlkampf müssen alle „ihre Laufwege kennen“
Der designierte Kanzlerkandidat Robert Habeck hat am Wochenende mit einem seiner inzwischen berühmten Videos versucht, die Klimaschutzdebatte aufs Neue anzufachen. Dies geschah nach der Hochwasserkatastrophe in Österreich, Polen, Tschechien und Bayern. Für die Initiative des Klimaschutzministers Habeck gibt es aber derzeit keinerlei politischen Resonanzboden. Stattdessen sieht sich der Wirtschaftsminister Habeck mit immer neuen Hiobsbotschaften konfrontiert: Traditionsunternehmen wie VW und Thyssenkrupp kriseln schwer. Der US‑amerikanische Chiphersteller Intel verschiebt eine Großinvestition in Sachsen-Anhalt.
Habeck, der unlängst kundtat, im Wahlkampf müssten alle „ihre Laufwege kennen“, weiß um die Herausforderung, mit einer Partei in den Wahlkampf zu ziehen, die verunsichert ist und teilweise zurückwill zu den Wurzeln. Und zumindest organisatorisch trifft er Vorsorge. So soll Franziska Brantner, Staatssekretärin in Habecks Ministerium und als durchsetzungsstark bekannt, seinen Wahlkampf managen. Die Politische Bundesgeschäftsführerin Emily Büning wirkt teilweise überfordert und verfügt auch im eigenen Haus über recht wenig Autorität.
Der Druck im Kessel steigt jedenfalls. Die Grünen ahnen: Statt wieder aufwärts könnte es auch weiter abwärts gehen.