Scholz will Diplomatie wagen, aus Moskau kommen angesichts weitreichender Raketen aber eisige Signale. Reden will der Kreml nicht.
„Atlantik sollte unsere Grenze sein“Putin warnt, Medwedew droht, Staats-TV poltert – Moskau auf Kriegskurs
Es wird zum russischen Ritual: Kremlchef Wladimir Putin hat wie bereits bei vergleichbaren vorherigen Entscheidungen des Westens vor einer Freigabe für ukrainische Angriffe mit weitreichenden westlichen Raketen gewarnt. „Dies würde die Natur des Konflikts in erheblichem Maß verändern. Es würde bedeuten, dass Nato-Staaten im Krieg mit Russland sind“, drohte der Kremlchef am Donnerstag.
Derartiges Moskauer Säbelrasseln hat es seit Kriegsbeginn immer wieder gegeben, insbesondere wenn im Westen die Lieferung weiterer Waffengattungen diskutiert worden war. Ob bei Luftabwehrsystemen, Panzern, Raketen oder Kampfjets – stets folgten wütende Warnungen, mal vor „Eskalation“ oder einer „globalen Katastrophe“, mal vor „radioaktiver Asche“. Die Drohungen blieben dann jedoch stets weitestgehend folgenlos.
Russisches Ritual: Moskau kontert westliche Entscheidungen mit Muskelspielen
Dass Russlands Unterstützer Nordkorea und Iran sich Putins Logik gemäß im „Krieg mit der Nato“ befinden müssten, da sie weitreichende Waffen an die russische Armee liefern, unterfütterte die jüngste Drohung des Kremlchefs ebenfalls nicht mit Substanz.
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Dass Moskau grünes Licht für Angriffe mit weitreichenden Raketen wie ATACMS und Storm Shadow mit den neuerlichen Drohungen zu verhindern versucht, scheint daher naheliegend. Noch offensichtlicher wird derzeit derweil, dass Moskau kein Interesse daran hat, den begonnenen Krieg gegen die Ukraine zu beenden.
Die eigenen Ziele sollen erreicht werden, das macht Moskau immer wieder klar. Zuletzt nährte man in Russland erneut Befürchtungen, die Pläne des Kremls könnten nicht bloß auf die Eroberung von Gebieten im Osten der Ukraine begrenzt sein.
„Die sogenannte Ukraine wird nicht ein Viertel dieser Zeit überstehen“
„Die sogenannte Ukraine wird nicht ein Viertel dieser Zeit überstehen“, kommentierte der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew die Zusicherung des britischen Außenministers David Lammy von Londons Unterstützung für die Ukraine in den nächsten 100 Jahren.
„Die Insel namens Großbritannien wird wahrscheinlichen in den nächsten Jahren untergehen“, erklärte der Chef der russischen Regierungspartei weiter. „Unsere Hyperschallraketen werden bei Bedarf helfen“, fügte Medwedew mal wieder eine Drohung an, mit der Atomschläge gemeint gewesen sein dürften – samt einem zwinkernden Emoji.
Moskau bleibt auf Kriegskurs: „Natürlich keine Verhandlungen“
Eine diplomatische Lösung, über die Bundeskanzler Olaf Scholz zu Wochenbeginn noch öffentlich sinniert hatte, scheint für Moskau nicht in Frage zu kommen. Man werde „natürlich keine Verhandlungen“ mit der Ukraine führen, solange Kiew russisches Territorium in Kursk besetzt halte, hatte Sicherheitsratschef Sergei Schoigu zuvor bereits klargestellt.
Auch die mögliche Freigabe für Schläge gegen Ziele tief in Russland scheint Moskau nun als Grund für eine Absage an jegliche diplomatische Lösungsversuche zu dienen. Wie andere Entscheidungen zuvor sei auch eine Freigabe für Raketenangriffe auf Ziele in Russland lediglich eine „weitere Bestätigung der Berechtigung und Alternativlosigkeit“ des russischen Krieges, stellte Kremlsprecher Dmitri Peskow in dieser Woche klar.
Kreml stellt klar: Russland will nicht verhandeln, sondern gewinnen
„Friedensgespräche“, die hierzulande vor allem von BSW und AfD immer wieder gefordert werden, und nach schwachen Landtagswahlergebnissen nun auch von Kanzler Scholz angedeutet worden waren, scheinen in weiter Ferne, die Signale aus Moskau derweil klar zu sein.
Russland will nicht verhandeln, sondern gewinnen – und zwar auf ganzer Linie. Was man in Moskau darunter versteht, hatte der Kremlchef bereits vor einiger Zeit umrissen. Putin forderte den vollständigen Rückzug der ukrainischen Truppen – nicht nur aus den von Russland besetzten Gebieten, sondern auch aus Regionen, die Moskaus Truppen nicht kontrollieren. Einige der Territorien hat der Kreml ohnehin bereits für zu Russland gehörig erklärt – und damit einen Rückzug ausgeschlossen.
Russischer Faschismus bricht sich seit Kriegsbeginn seine Bahn
Noch wichtiger als Geländegewinne scheint für Moskau die Zerstörung der ukrainischen Staatlichkeit und Identität zu sein – daraus macht man in Russlands Hauptstadt auch kein Geheimnis. Bereits vor dem Krieg hatte Putin in einem Essay das Existenzrecht der Ukraine infrage gestellt. Seit Kriegsbeginn hat sich der russische Faschismus schließlich vollends seine Bahn gebrochen.
Insbesondere in den russischen Staatsmedien werden seitdem offen größenwahnsinnige Weltherrschaftspläne debattiert. So auch in dieser Woche. „Unsere Grenze sollte der Atlantik sein“, erklärte mit Wladimir Solowjow einer der prominentesten russischen TV-Moderatoren und Kreml-Propagandisten.
„Die perfekten Standorte für unsere Truppen wären Berlin, Lissabon und Madrid. Und wie schön sie in Paris aussahen“, führte Solowjow aus. Die „belarussischen Brüder“ stünden dabei an Russlands Seite. „Und wenn notwendig, wenden wir uns an China“, fügte der Moderator an.
Putins Propagandisten reden nicht von Nato-Verzicht und Diplomatie
Von prorussischer Seite immer wieder angeführte angebliche Kriegsgründe wie ein möglicher Nato-Beitritt der Ukraine spielen in der russischen Kriegspropaganda kaum noch eine Rolle. In den Moskauer TV-Studios geht es um Auslöschungsfantasien, Weltmachtansprüche und die USA, die als „eigentlicher Feind“ und Konfliktgegner dargestellt werden, nicht um Nato- oder EU-Verzicht Kiews und anschließenden Frieden.
„Politische Dominanz über Europa“ sei das Ziel des Kremls, erklärt der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger angesichts der schrillen Töne von einem von Putins führenden Propagandisten gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Solowjows Show sei „keine Satiresendung“, sondern reproduziere „immer und immer wieder den Anspruch Russlands auf Weltmachtstatus“, führte der Professor für internationale Politik aus. Deshalb werde der Ukraine in Moskau die „Existenzberechtigung“ abgesprochen. „Die Ideologie dient der Macht.“
„Russland, der schamloseste Imperialist aller Zeiten“
Auch der ukrainische Diplomat Olexander Scherba findet deutliche Worte für die Eroberungswünsche von Putins Chef-Propagandisten. Russland sei „der schamloseste Imperialist aller Zeiten“, erklärte der Ukrainer.
Für Bundeskanzler Scholz und seine kürzlichen Äußerungen über eine diplomatische Lösung, die „eher früher als später“ angestrebt werden müsse, gab es angesichts der kriegerischen Botschaften aus Moskau derweil Spott aus einem Nachbarland.
Kritik an Olaf Scholz aus Belgien: „Wach auf, Europa!“
„Faschistische Propagandisten diskutieren in Moskau die Invasion des freien Europas“, kommentierte der EU-Politiker Guy Verhofstadt Solowjows Aussagen bei X. „Gleichzeitig diskutieren einige EU-Staatschefs über Frieden mit Putin, andere befürchten immer noch, dass Hilfe für die Ukraine eine ‚Eskalation‘ sei“, schimpfte der Belgier – und fügte an: „Wach auf, Europa!“
Während Europa weiter über die wahren Motive Moskaus debattiert, haben Osteuropa-Historiker wie Timothy Snyder angesichts der russischen Rhetorik und Begründung des Angriffs bereits kurz nach Kriegsbeginn gefordert: „Wir sollten es sagen: Russland ist faschistisch.“ Vor einer Woche verbreitete Snyder bei X dann erneut eine klare Botschaft: „Lasst die Ukraine zurückschlagen.“