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Waffenlieferung aus Iran als FaktorDie nächste „Rote Linie“ scheint zu fallen – Putins Atomdrohung zum Trotz

Lesezeit 5 Minuten
Laut Medienberichten könnte die Ukraine bald die Freigabe für den Einsatz amerikanischer ATACMS-Raketen gegen Ziele „tief in Russland“ erhalten. (Archivbild)

Laut Medienberichten könnte die Ukraine bald die Freigabe für den Einsatz amerikanischer ATACMS-Raketen gegen Ziele „tief in Russland“ erhalten. (Archivbild)

Die Anzeichen verdichten sich: Schon bald könnte Kiew bekommen, was es sich bereits seit langer Zeit im Kampf gegen Russland erhofft.

Zuletzt schien es kaum eine Rolle mehr zu spielen, wie schrecklich Russlands Raketenangriffe gegen zivile Ziele in der Ukraine noch werden sollten: Da war die Attacke auf ein Kinderkrankenhaus und der Angriff auf Lwiw, bei dem ein Ukrainer seine drei Töchter und seine Frau verlor. Die Bilder waren eindrucksvoll – und doch wirkte die Haltung in Bezug auf einen immer wieder vorgebrachten Wunsch aus Kiew bei den Unterstützern des Landes stoisch.

Die vom Westen gelieferten Raketen wie ATACMS (USA) oder Storm Shadow (Großbritannien) mit Reichweiten bis zu 300 Kilometern durften weiterhin nicht gegen Ziele in Russland eingesetzt werden – obwohl es davon einige in Reichweite gibt und die russischen Angriffe dort gestartet werden.

Freigabe für Schläge tief in Russland: Fällt die „rote Linie“?

Nun scheint aber auch diese „Rote Linie“ zu fallen. Der Grund soll schlussendlich nicht die schlimmen Bilder aus der Ukraine gewesen sein, sondern dass der Iran nach Drohnen offenbar jetzt auch Raketen an Russland geliefert hat, wie US-Behörden jüngst erklärten. Zuvor hatte es bereits entsprechende Medienberichte gegeben.

Rauch steigt aus Gebäuden auf, die durch einen russischen Angriff in Lwiw zerstört worden sind.

Rauch steigt aus Gebäuden auf, die durch einen russischen Angriff in Lwiw zerstört worden sind.

Man werde den Antrag der Ukraine „prüfen und anhören“, erklärte US-Außenminister Antony Blinken nun jedoch. Berichten zufolge will der Amerikaner bei einem gemeinsamen Besuch mit seinem britischen Amtskollegen David Lammy mit Mittwoch in Kiew die Bedingungen für eine Freigabe für den Einsatz weitreichender Raketen abstecken. Eine endgültige Entscheidung über diese Frage soll laut der britischen „Times“ jedoch erst später fallen, bei einem am Freitag geplanten Treffen zwischen US-Präsident Joe Biden und dem neuen britischen Premierminister Keir Starmer.

Blinken und Lammy reisen für Gespräche nach Kiew

„Wir wollen sicherstellen, dass wir unsere eigene Einschätzung darüber haben, was nötig ist, welche Ziele die ukrainischen Partner in den kommenden Wochen und Monaten verfolgen und wie wir sie am besten unterstützen können“, erklärte Blinken vor der Abreise nach Kiew. Über die ukrainische Offensive auf russischem Gebiet in Kursk war Washington dem Vernehmen nach ebenso wie Deutschland und andere Partner nicht vorab von Kiew informiert worden.

Nun will Washington wohl vor der Freigabe für Angriffe auf Ziele in Russland einen Einblick in die ukrainischen Pläne für den Einsatz der Raketen haben. Auch müssten technische Fragen geklärt werden, deutete Blinken an. „Das werden am Freitag Gesprächsthemen sein“, erklärte der US-Außenminister.

Viele Befürworter von Freigabe für Nutzung von weitreichenden Raketen

In der britischen Regierung rechnet man innerhalb der kommenden Wochen mit grünem Licht aus Washington, berichtete die „Times“ derweil. London hatte sich bereits zuvor für den Schritt ausgesprochen, wollte jedoch keinen Alleingang ohne Washington unternehmen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron befürwortet ebenfalls die Freigabe von ATACMS und Storm Shadow, die in französischer Ausführung unter dem Namen Scalp firmieren. Rechtlich ist der Einsatz der Raketen gegen militärische Ziele in Russland ohnehin legal.

Grünes Licht aus Washington wäre trotz vieler Fürsprecher eine beeindruckende Kehrtwende. „An unserer Auffassung hat sich nichts geändert. Wir ermöglichen oder unterstützen keine Angriffe tief im Inneren Russlands. Und schon gar nicht mit Waffen aus amerikanischer Produktion“, hatte John Kirby, Kommunikationschef im Weißen Haus, noch kurz vor Blinkens eindeutigen Signalen gesagt.

Viele russische Ziele in Reichweite von ATACMS und Storm Shadow

Andere amerikanische Waffensysteme, wie die weniger weitreichenden HIMARS, darf die Ukraine unterdessen bereits im Grenzgebiet einsetzen. ATACMS und Storm Shadow könnten allerdings mindestens ein kleiner „Gamechanger“ werden. Mehr als 200 russische militärische Ziele wären dann laut Analysen des US-Instituts für Kriegsstudien in Reichweite. Die andauernden russischen Raketenangriffe, die oftmals von Kampfflugzeugen durchgeführt werden, könnten somit effizienter unterbunden werden.

Dass das Regime in Teheran sich dazu entschlossen hat, neben Kamikaze-Drohnen des Typs Shahed nun auch Fath-360-Raketen an Moskau zu liefern, soll die Beratungen im Westen über eine Freigabe für die eigenen Raketen ausgelöst haben, berichtete die „Times“ weiter. Moskau leugnet eine derartige Lieferung bisher.

Nach Putins Drohungen: Sorgen um Atomwaffeneinsatz als Reaktion

In Washington scheint es derweil jedoch auch noch Zweifel zu geben. Dort fürchte man nach wie vor, „dass Russland mit dem Einsatz von Atomwaffen reagieren könnte“, heißt es in dem Bericht der „Times“. Kremlchef Wladimir Putin hatte einen möglichen Atomwaffeneinsatz bei einer Reise im Sommer nach Usbekistan angesichts der ukrainischen Bitten nach der Freigabe der Waffen bereits angedeutet.

„Diese ständige Eskalation kann zu ernsten Konsequenzen führen“, hatte Putin gewarnt und betont, Russland und die USA seien „bei strategischen Waffen gleichauf“. Damit sind Atomwaffen gemeint. Moskau hat allerdings auch in der Vergangenheit angesichts maßgeblicher Entscheidung über Waffenhilfe für die Ukraine immer wieder mit Konsequenzen bis hin zu Atomschlägen gedroht. Die Lieferung von Kampfpanzern, Raketen und zuletzt auch F-16-Kampfjets blieb dann jedoch stets ohne die angedrohte Reaktion.

Biden zu ATACMS-Freigabe für Kiew: „Daran arbeiten wir gerade“

Trotz der offenbar noch nicht komplett ausgeräumten Bedenken deutet einiges darauf hin, dass nur noch letzte Details für die Freigabe für den Einsatz von ATACMS und Storm Shadow gegen Ziele in Russland geklärt werden müssen. „Ich habe vor zwei Tagen mit Blinken gesprochen, und er reist mit seinem britischen Amtskollegen nach Kiew, um ihnen im Grunde zu sagen, dass sie es [Angriffe tief in Russland] genehmigen werden“, zitierte Juligrace Brufke, Korrespondentin der US-Publikation „Axios“, den Vorsitzendes des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des US-Repräsentantenhauses, Michael McCaul in einem Beitrag bei X.

Auch Joe Biden machte am Dienstag schließlich keinen großen Hehl mehr aus den Plänen. Auf eine entsprechende Nachfrage zum möglichen grünen Licht für Kiew antwortete er: „Daran arbeiten wir gerade.“ Die Kinder(krankenhäuser) in der Ukraine würden es dem US-Präsidenten wohl danken.