Der Raketenangriff auf Poltawa ist einer der heftigsten Schläge seit Kriegsbeginn. Deutsche Politiker sind entsetzt – und sprechen Klartext.
„Schwerste Kriegsverbrechen“Zahl der Toten nach russischem Angriff in Poltawa auf 51 gestiegen
Bei einem russischen Angriff sind auf dem Gelände einer Hochschule und eines benachbarten Krankenhauses in der ukrainischen Stadt Poltawa laut ukrainischen Berichten zwei Raketen eingeschlagen. Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj seien mindestens 41 Menschen getötet worden. Mindestens 180 Menschen seien zum Teil schwer verletzt worden, erklärten Selenskyj und das Verteidigungsministerium in Kiew am Dienstagnachmittag.
Am Abend war die Zahl der Toten bereits auf mindestens 51 gestiegen. Mindestens 206 weitere Menschen seien verletzt worden, teilte am Dienstag die Generalstaatsanwaltschaft mit. Die Zahl stieg am Abend noch weiter auf 271 Verletzte, so Präsident Selenskyj. Der Gouverneur der Region Poltawa, Philip Pronin, bestätigte die Opferzahl. Seinen Angaben zufolge werden noch bis zu 18 Menschen unter den Trümmern vermutet.
Die Lage vor Ort schien am Dienstagnachmittag noch unübersichtlich. Während in den offiziellen Angaben von einer „Bildungseinrichtung“ gesprochen wurde, war in den sozialen Netzwerken oftmals von einer „Ausbildungseinrichtung der ukrainischen Armee“ die Rede. Es soll sich um das Militärinstitut für Telekommunikation und Informatisierung der Kiewer Polytechnischen Hochschule in Poltawa handeln. Ukrainische Medien berichten derweil von einem „barbarischen Angriff“, es sei ein „schrecklicher Tag“ für Poltawa, heißt es in der ukrainischen Zeitung „NV“.
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Der Schlag gilt mit Blick auf die Zahl der Opfer als einer der schlimmsten, seit Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine vor mehr als zweieinhalb Jahren begonnen hat. Die etwa 280 Kilometer östlich von Kiew gelegene Großstadt Poltawa ist nur etwas über 110 Kilometer von der russischen Grenze entfernt.
Nahegelegene Wohngebäude seien bei dem Angriff ebenfalls beschädigt worden, berichtete Zeitung. „Ich war näher an der Explosion, meine Frau war weiter weg. Das Glas war völlig zersplittert, in einem Zimmer in der Wohnung stand sogar der Kühlschrank auf dem Kopf“, zitierte „NV“ einen Anwohner.
Poltawa: Raketen schlagen offenbar während Evakuierung ein
Der Angriff ereignete sich laut Behörden am Morgen gegen 9.10 Uhr Ortszeit, als die Soldaten sich versammelt hatten. „Die Zeitspanne zwischen dem Alarm und dem Eintreffen der tödlichen Raketen war so kurz, dass Menschen im Moment der Evakuierung in den Luftschutzbunker erfasst wurden“, teilte das Verteidigungsministerium mit. „Poltawa erlebt einen schrecklichen Tag. Der russische Aggressor hat einer der Bildungseinrichtungen der Stadt einen barbarischen Schlag versetzt“, so Verteidigungsministerium.
Auf zunächst nicht überprüfbaren Bildern in sozialen Netzwerken waren Leichen vor einem stark zerstörten, mehrstöckigen Gebäude zu sehen. Angaben von Innenminister Ihor Klymenko zufolge wurden mindestens 25 Menschen aus den Trümmern gerettet.
Aus Moskau gab es zunächst keine offizielle Stellungnahme zu den Angaben aus der Ukraine. Die russische staatliche Nachrichtenagentur Ria zitierte jedoch den Vorsitzenden des „Koordinierungsrates für die Integration der neuen Regionen“, womit die besetzten ukrainischen Gebiete gemeint sind.
Angriff auf Poltawa: „Die Verluste des Feindes gehen in die Hunderte“
Demnach sei das Personal eines „Militärinstituts für Kommunikation“ von einem „Raketenangriff“ getroffen worden, erklärte Wladimir Rogow. Der Angriff sei zum „Zeitpunkt der Aufstellung“ erfolgt, hieß es weiter. „Die Verluste des Feindes gehen in die Hunderte“. Auch in russischen, den Streitkräften nahestehenden Telegram-Kanälen, ist von „hunderten Opfern“ die Rede. Auch diese Angaben sind nicht unabhängig überprüfbar.
Die Ukraine hat in den letzten Wochen immer wieder auf die Freigabe für den Einsatz westlicher, weitreichender Waffen auf russischem Gebiet gedrängt, um derartige Raketenangriffe durch die Zerstörung der Flugzeuge, von denen die Raketen mitunter abgeschossen werden, unterbinden zu können. Bisher gibt es dafür aus dem Westen jedoch kein grünes Licht.
Selenskyj: „Der russische Abschaum wird für diesen Angriff bezahlen“
„Der russische Abschaum wird mit Sicherheit für diesen Angriff bezahlen“, schrieb Selenskyj angesichts des Angriffs in Poltawa und erneuerte seinen in den letzten Wochen immer wieder vorgebrachten Appell an die Unterstützer des angegriffenen Landes.
„Wir fordern weiterhin alle Menschen auf der Welt, die die Macht haben, auf, diesen Terror zu stoppen“, schrieb Selenskyj bei X. „Die Ukraine braucht jetzt Luftabwehrsysteme und Raketen, die nicht im Lager liegen. Langstreckenschläge, die uns vor dem russischen Terror schützen können, sind jetzt und nicht später nötig. Jeder Tag Verzögerung bedeutet leider mehr verlorene Leben.“
Entsetzt zeigte sich am Dienstagnachmittag auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. „Während Putin in Ulan Bator ist, schlugen zwei russische Raketen in Poltawa ein. Die zweite, als Helfende bereits die Verletzten versorgten. Mehr als 45 Menschen sind tot, über 200 verletzt. Putin kennt keine Grenze der Brutalität. Er gehört zur Rechenschaft gezogen“, schrieb die Grünen-Politikerin auf X.
Merz und Baerbock verurteilen Angriff auf Poltawa – und üben scharfe Kritik an Putin
Unionsfraktionschef Friedrich Merz hat Russland nach dem Raketenangriff auf die zentralukrainische Stadt Poltawa Kriegsverbrechen vorgeworfen. „Das sind ja keine normalen Kriegshandlungen. Das sind schwerste Kriegsverbrechen an der zivilen Bevölkerung der Ukraine, zum wiederholten Mal“, sagte der CDU-Vorsitzende der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Wieder seien eine Schule und die zivile Infrastruktur betroffen, wie in den letzten Tagen habe es konzentrierte Angriffe auf die Energieversorgungsstruktur gegeben.
Merz sagte: „Vielleicht wird jetzt auch dem einen oder anderen Kritiker klar, um was es sich hier handelt. Das ist kein Krieg zwischen der Ukraine und Russland, sondern das ist ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg Russlands gegen ein Volk, von dem keinerlei Bedrohung ausgeht.“ Er betonte: „Wir haben zu viel gezögert, wir haben zu spät geholfen.“ Jetzt sei man „in einer Situation, wo wir der Ukraine eigentlich noch mehr helfen müssten. Aber die Bereitschaft dazu, dies zu tun, scheint mir nicht ausgeprägt genug zu sein.“ (mit dpa)