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Neuer Job bei UNODer etwas bittere Abgang von Außenministerin Annalena Baerbock

Lesezeit 8 Minuten
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im Jahr 2023 in New York auf dem Weg zum Hauptquartier der Vereinten Nationen (UN).

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im Jahr 2023 in New York auf dem Weg zum Hauptquartier der Vereinten Nationen (UN).

Außenministerin Baerbock wechselt aus der deutschen Politik zur UNO nach New York. Das stößt auch auf heftige Kritik. Wie schon so manches vorher.

Sie ist dann also demnächst weg. Nicht nur aus dem Amt, sondern auch aus dem Bundestag, sie verschwindet aus der deutschen Politik. Ihren Wohnort Potsdam verlässt sie ebenfalls. New York, das soll es künftig sein, ab September spätestens. Annalena Baerbock soll dort Präsidentin der Uno-Generalversammlung werden. Ihre Wahl im Juni gilt als Formsache.

Die erste und jüngste Außenministerin, die erste Kanzlerkandidatin der Grünen und langjährige Parteivorsitzende verlässt die politische Bühne, zumindest die innenpolitische. Jedenfalls vorerst.

Annalena Baerbock kann sehr detailliert über Themen reden, zur Begründung ihrer Kandidatur aber wählte sie nur wenige Worte: „Eine starke politische deutsche Besetzung“ sei „ein wichtiger Baustein für unsere Kandidatur um einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat 2027/28″, schrieb sie in einer Mail an ihren brandenburgischen Grünen-Landesverband, nachdem das Kabinett ihre Kandidatur bestätigt hatte. „Mit herzlichen Grüßen aus dem Flieger in den Libanon“, setzte sie darunter.

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Ein neuer Stil im Auswärtigen Amt

Noch einmal hinein also in eine Maschine der Bundeswehr-Flugbereitschaft. Noch einmal Joseph Aoun treffen, der gerade erst Präsident des Libanon geworden ist und mit dem sie schon oft konferiert hat, als er noch Armeechef war. Die Lage in Nahost: „Am seidenen Faden“, sagt Baerbock. Ein fünftes Mal nach Beirut also, danach ein zweites Mal nach Syrien. Fahrten in gepanzerten Limousinen, wieder kein Handschlag des neuen syrischen Präsidenten, Gespräche mit Menschenrechtlern. Noch eine Pressekonferenz in einem fensterlosen Hotelsaal. Die Lage in Syrien: „Auf Messers Schneide.“

Baerbock wäre gern Außenministerin geblieben, das hat sie im Wahlkampf deutlich gemacht. „Ich kann etwas tun, was mir wichtig ist“, so hat sie ihren Job in der „Zeit“ beschrieben. Ihre Begeisterung war spürbar. Sie war präsent, viel unterwegs. Wieder und wieder ist sie in die Ukraine gereist, nach Israel, nach Saudi-Arabien. Persönliche Beziehungen seien so viel wert in der Außenpolitik, sagt sie. Baerbock redet viel, sie redet sehr offen, nicht tastend, sondern zumeist sehr entschlossen.

Gleich in ihren ersten Wochen im Amt zeigt sich das, bei ihrem ersten Treffen mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow in Moskau im Januar 2022. Russland hat die Ukraine noch nicht angegriffen, aber Truppen in der Nähe der Grenze zusammengezogen. Baerbock verweigert beim Mittagessen den angebotenen Wodka. In der Pressekonferenz spricht sie kühl von „fundamentalen Meinungsverschiedenheiten“. Der erfahrene, als strategisch klug geltende Lawrow konnte nicht punkten.

Es ist ein neuer Stil, eine neue Intensität, ganz anders als bei ihren Vorgängern: Da waren der zurückhaltende Heiko Maas, der lieber Justizminister geblieben wäre. Der bedächtige Frank-Walter Steinmeier, der sich so sehr um vorsichtige Formulierungen bemüht. Guido Westerwelle (FDP), der für die Außenpolitik nicht so recht Feuer zu fangen schien. „Mir wurde wenig zugetraut“, sagt Baerbock der „Zeit“. Aber sie mache den Job „mit vollem Einsatz“ und „auf meine Art“.

Männer, die nicht weiterwissen

Baerbocks Art: Dazu gehört, „ebend“ zu sagen, statt „eben“. Dazu gehören Ausführungen, die immer neue Abzweigungen nehmen. Das lässt sich begründen, weil es bei vielen Themen viele Unteraspekte gibt. Aber nicht immer werden Aussagen klarer, wenn sie sich in die Länge ziehen. Zu Baerbocks Art gehören auch verschluckte Silben und Versprecher.

Manche Aussage gerät so zugespitzt, dass der Trubel darüber die inhaltliche Debatte überlagert. In einem Interview mit dem US-Fernsehen bezeichnet Baerbock Chinas Präsident Xi Jinping als „Diktator“ – die chinesische Staatsführung reagiert empört. Nicht falsch, kritisieren politische Gegner, aber einfach undiplomatisch.

In ihrem vorerst wohl letzten Auftritt im Bundestag kurz vor der Wahl wehrt sich die Ministerin in einer Migrationsdebatte gegen einen Lügen-Vorwurf von Unions-Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei mit den Worten empört. „Dass Männer, wenn sie nicht mehr weiterwissen, mit dem Wort Lüge um sich werfen, bin ich ja schon gewohnt.“ Der Sexismus-Vorwurf, den die Grünen oft gegen die männlich geprägten Unionspolitiker erheben, schwingt auf sie zurück. Die Union verbreitet den Ausschnitt genüsslich.

Auseinandersetzungen mit Scholz

Zur Kritik an Baerbock gehört, dass sie mal in die eine Richtung geht und mal in die andere. Zu forsch trete sie auf, heißt es zuweilen. Der „moralische Zeigefinger“ wird zur Chiffre für Kritik an der Ministerin. Als der damalige chinesische Außenminister Qin Gang sich bei Baerbocks erstem Peking-Besuch in einer Pressekonferenz gegen „Lehrmeister aus dem Westen“ verwahrt, nachdem seine deutsche Kollegin ihn an die Einhaltung von Menschenrechten im Umgang mit den Uiguren erinnert, sprechen Baerbocks Kritiker von „zerbrochenem Porzellan“.

Die Kritiker finden sich auch beim Koalitionspartner SPD. Baerbock ist so ganz anders als der wortkarge, verschlossene Scholz. Und intern widersetzt sie sich gemeinsam mit Wirtschaftsminister Robert Habeck auch mal der Linie des Kanzleramts, etwa wenn es darum geht, ob Teile des Hamburger Hafens an China verkauft werden sollen. Und wo Scholz zögerlich bleibt, fordert Baerbock immer wieder Waffenlieferungen an die Ukraine. Sie ist eine der ersten Ministerinnen, die nach dem Angriff nach Kiew reist.

Was ist feministische Außenpolitik?

Einen Aufschrei gibt es als Baerbock ihre „feministische Außenpolitik“ verkündet. Dabei steht im Konzept vor allem, dass Frauen bei Krieg, Frieden, Bewältigung von Konflikten mehr mitreden sollten. Und dass bei der Suche nach Lösungen ihre Interessen, wie der Schutz vor sexueller Gewalt, mit berücksichtigt werden müssten. Es gibt Studien, die besagen, dass die Beteiligung von Frauen dazu beiträgt, dass Konfliktlösungen mehr Bestand haben. Das Wort „Feminismus“ triggere viele, heißt es in der Union. Aber die Ziele seien eigentlich die richtigen. Gerade haben die CDU-Frauen Friedrich Merz aufgefordert, bei der Regierungsbildung nicht an den Beistelltisch gesetzt zu werden.

Manchmal geht die Kritik auch in die genau andere Richtung. Dann wird Baerbock zu große Zurückhaltung vorgehalten. Als die Proteste im Iran 2023 eskalieren, mit Toten und vielen Verhaftungen, bleibt die Kritik von Baerbock vorsichtig. Sie habe Deutsche nicht gefährden wollen, die im Iran in Haft seien, so argumentiert Baerbock. Die Union entdeckt die Feministische Außenpolitik und findet, Baerbock werde ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht.

Baerbock ist ganz zufrieden damit, was sie bei diesem Thema erreicht hat: Der neue syrische Präsident hat ihr nicht die Hand geschüttelt? Dadurch sei öffentlich debattiert worden, ob die neuen Machthaber es ernst meinen, wenn sie von Gleichberechtigung sprechen.

Barfuß am Strand

Immer aber schwingt auch ein weiterer Vorwurf mit: der der Selbstinszenierung. Ein Sinn für Optik lässt sich Baerbock nicht absprechen: In der Südseerepublik Palau posiert sie barfuß am Strand, dort geht es um Klimawandel und steigende Meeresspiegel. Bei ihrem ersten Paris-Besuch lässt sie vor dem Eiffelturm halten.

Selbst- und machtbewusst, so tritt Baerbock auf. Sie übernimmt 2021 die Kanzlerkandidatur der Grünen, ihr Konkurrent Habeck zeigt sich tief getroffen. Sie patzt im Wahlkampf - ein schlampig geschriebenes Buch und Fehler im veröffentlichten Lebenslauf. Den Anspruch auf eine erneute Kandidatur begräbt sie dennoch erst im vergangenen Sommer. Die Idee, statt dem Ministerium den Fraktionsvorsitz der Grünen zu übernehmen, weist sie nicht zurück, sondern erklärt per Brief an die Abgeordneten ihren Verzicht „aus persönlichen Gründen“. Sie habe mehrere Jahre „auf Highspeed“ gelebt und wolle „einen Schritt aus dem grellen Scheinwerferlicht“ machen.

Wie massiv ihre Zeit die letzten Jahre ihre Familie belastet haben, hat Baerbock der „Zeit“ geschildert. Weil sie so selten zu Hause ist, weil die Kinder am Wochenende vergeblich auf sie warten, weil sie Urlaube absagen muss und an einem Geburtstag der Tochter ins Ministerium muss, weil die Hamas in Israel Kibbuze überfällt und Partygänger massakriert. Wie ihr Mann ihr den Eingang in die Schule zeigen musste.

„Rechtsextreme und Putin-Trolle“

Und dann ist da noch das Gefühl, auf Schritt und Tritt beobachtet zu werden. Es gibt Mordaufrufe, Stalker, und Hass im Netz. Als Frau, Grüne und Russland-Kritikerin sei sie eine Zielscheibe für „Rechtsextreme, Putin-Trolle, toxische Männlichkeit“, analysiert Baerbock. Die Kinder bekommen davon einiges mit.

Nach New York wird Baerbock ihre beiden schulpflichtigen Töchter mitnehmen, von ihrem Mann ist sie getrennt. Bei der Uno gibt es auch Dinge zu tun, sie muss Sitzungen leiten und Tagesordnungen vorbereiten. Der Job ist – bislang zumindest – öffentlich weniger wahrnehmbar.

Baerbock verdrängt die langjährige Diplomatin Helga Schmid, die für den Uno-Job bereits nominiert war. „Unverschämtheit“, wetterte ein anderer langjähriger Diplomat, Angela Merkels einstiger außenpolitischer Berater Christoph Heusgen. Der 70-Jährige bezeichnet die 44-jährige Baerbock als „Auslaufmodell“. Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel, der auch mal für ein gutes Jahr Außenminister war, empfahl der scheidenden Chefdiplomatin, lieber bei der „Top-Diplomatin“ Schmid in Lehre zu gehen.

Auch die russische Staatsführung findet den Wechsel seiner Kritikerin nicht gut. Baerbock sei „Enkelin eines Nazis“, heißt es zur Begründung unter Verweis auf den Großvater, der Wehrmachtssoldat war.

Merz winkt durch

Baerbock hat sich entschieden, die Kritik zu ignorieren. In „stürmischen Zeiten“ sei es nun mal besonders wichtig, die Vereinten Nationen zu stärken, antwortet sie am Rande ihres Libanon-Besuchs auf die Frage, was sie besonders qualifiziere.

Der wohl künftige Kanzler Friedrich Merz winkte die Personalie durch.

In einer Laudatio auf die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth hat Baerbock vor wenigen Wochen deren Durchsetzungsfähigkeit gewürdigt. Der frühere Kanzler Helmut Kohl habe über Süssmuth angeblich einmal gesagt: „Die Dame geht mir auf die Nerven, sie soll mit ihren Stöckelschuhen auf dem Boden der Realität bleiben.“ Baerbock sagte, sie sei froh, dass „Sie sich von niemanden sagen ließen, wo Sie zu stehen hätten, geschweige denn, welche Schuhe Sie tragen sollten“. Ein bisschen schien es, als spreche sie über sich selbst.