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Posten bei UN„Plötzlich Herz für Kinder entdeckt“ – Kritik an Baerbock-Anfeindungen

Lesezeit 5 Minuten
19.03.2025, Brandenburg, Flughafen Berlin Brandenburg: Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesaußenministerin, geht an Bord eines Flugzeuges der Flugbereitschaft. Die Außenministerin besucht den Libanon. Foto: Hannes P. Albert/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesaußenministerin, geht am 19. März an Bord eines Flugzeuges in Richtung Libanon.

Annalena Baerbocks wahrscheinlicher Wechsel nach New York löst in den sozialen Medien Spott und Vorwürfe aus. 

Annalena Baerbock soll nach dem Ende ihrer aktuellen Ministertätigkeit einen Spitzenposten bei der UN bekommen. Die Bundesregierung will die Grünen-Politikerin als Kandidatin für den Vorsitz der UN-Generalversammlung in der Sitzungsperiode 2025/26 benennen. Diese Mitteilung ruft national und international viele Reaktionen hervor. In Deutschland bemängeln viele, dass eigentlich die Top-Diplomatin Helga Schmid bereits seit vergangenem Jahr für dieses Amt vorgesehen sei. Sie würde nun leer ausgehen.

In diese Richtung zielt die Kritik von Christoph Heusgen, der es eine „Unverschämtheit“ nennt, die sehr erfahrene Schmid durch ein politisches „Auslaufmodell“ wie Baerbock zu ersetzen. Diese würde polarisieren und sei eher für „markige“ Worte als für Ergebnisse bekannt, so der ehemalige Chef der Münchener Sicherheitskonferenz. Der frühere Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) übt ebenfalls Kritik an der Personalie.

Auch aus Russland waren Vorwürfe gegen Baerbock gekommen, die sich seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine als konsequente Unterstützerin Kiews zeigt. In der Kreml-typischen Propaganda bezeichnete das Außenministerium Baerbock als „Enkelin eines Nazis“.

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Sturm der Entrüstung für Baerbock und Kritik an Privatleben

Jenseits von Diskussionen über Baerbocks inhaltliche Eignung für den Posten bei der UN hat die Meldung in den sozialen Medien einen Sturm der Entrüstung entfacht. Zum einen hagelt es Spott für ihre angeblich schlechten Englisch-Kenntnisse. Baerbock, die in den vergangenen Jahren immer wieder Ziel von unsachlicher Kritik wurde, werden aber auch Vorhaltungen aufgrund ihres Privatlebens gemacht.

Die 44-Jährige hatte nach der für die Grünen schlecht gelaufenen Bundestagswahl verkündet, in ihrer Partei keine Führungsrolle mehr einnehmen zu wollen. Dafür hatte sie persönliche Gründe angegeben. „Nach Jahren auf Highspeed“ habe sie ein paar Tage nachdenken wollen, „was dieser Moment für meine Familie und mich bedeutet“, so Baerbocks Mitteilung von Anfang März. Die intensiven Jahre als Außenministerin hätte einen „privaten Preis“ gehabt.

Nun hagelt es Vorwürfe und Baerbock wird Unredlichkeit vorgeworfen, denn ein Spitzenposten bei der UN sei ja ebenfalls mit viel Arbeit und Vernachlässigung der Familie verbunden. Das Bild der Spitzenpolitikerin als „Rabenmutter“ wird wiederholt bemüht, vor allem von rechten Accounts. Allerdings hatte Baerbock niemals wörtlich gesagt, sie wolle sich jetzt mehr um ihre Kinder kümmern. Zudem hieß es aus ihrem Umfeld, die Kinder würden Baerbock nach New York begleiten und dort die Schule besuchen, wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet. In ihrer Erklärung von Anfang des Monats hatte Baerbock auch von „Amt in der Bundestagsfraktion“ gesprochen, das sie nicht mehr anstrebe.

Düzen Tekkal verteidigt Annalena Baerbock

Die Autorin und Politikwissenschaftlerin Düzen Tekkal erkennt hier einen typisch frauenfeindlichen Mechanismus, wie sie bei X schreibt. Viele würden angesichts der Person von Annalena Baerbock „plötzlich ihr Herz für Kinder entdecken“ – einzig und allein, um die Politikerin mit Hass übergießen zu können. „Würde ein Familienvater so einen Posten bekommen, würden alle stolz gratulieren. Bei einer Frau und berufstätigen Mutter wird ‚das schlechte Gewissen‘ aktiviert im 21! Jahrhundert. Das nennt sich Misogynie!“, schreibt Tekkal. Damit ziele sie explizit nicht auf inhaltliche Kritik an Baerbock, ergänzt sie.

Ein anderer Kommentar bei X lautet: „Bei einer berufstätigen Mutter wird die Familie bemitleidet und der Frau krankhafter Ehrgeiz bescheinigt“. Männer würden dagegen beglückwünscht.

Hier werde immer noch mit zweierlei Maß gemessen, so der Tenor.  Eine Antwort auf diesen Post wirft die Frage auf, wie sich wohl Baerbocks Kinder „bei all dem fühlen“ und bestätigt damit direkt wieder die These, dass hier unpassenderweise das Privatleben mit der öffentlichen Person vermischt werden. 

Häme für Baerbock nach Trennung von Ehemann

Der Vorgang erinnert strukturell an den Hass, den Baerbock auf sich zog, als sie Ende vergangenen Jahres die Trennung von ihrem Ehemann Daniel Holefleisch bekannt gegeben hatte. Baerbock war damit im November an die Öffentlichkeit gegangen und hatte ihrer Erklärung direkt beigefügt, dass es keine neuen Partner gebe – ausdrücklich, um Spekulationen entgegenzutreten. Eine breite Diskussion über ihr Privatleben verhinderte dies allerdings nicht.

Von „Diskussion“ zu sprechen, war allerdings noch eine positive Sicht auf die Dinge. Baerbock hatte vor allem in den sozialen Medien Hass und Häme für ihre Mitteilung geerntet. Es wurde spekuliert, ob die Grünen-Politikerin fremdgegangen sei. Dem Ex-Partner wurde gratuliert, dass er es überhaupt so lange mit seiner Frau ausgehalten habe. Schon damals schwang immer der Vorwurf der „Rabenmutter“ mit, die sich nicht genug um ihre Kinder gekümmert habe.

Einige Medien waren sich nicht zu schade, „Freunde“ von Holefleisch auszugraben, bei denen er sich angeblich beschwert habe, seine Frau würde die Familie vernachlässigen und er würde sich ausgenutzt fühlen. Holefleisch sei nicht nur für die Kinder zuständig gewesen, sondern habe sich auch noch um den Haushalt gekümmert.

Man kann sich nicht erinnern, dass diese Problematik bei einem Spitzenpolitiker jemals in der öffentlichen Diskussion eine Rolle gespielt hat.   

Bundesregierung: Baerbocks Nominierung im Einvernehmen mit mutmaßlicher neuer Koalition

Die Bundesregierung verteidigte inzwischen die Noch-Außenministerin: Baerbock sei „hoch qualifiziert für den Job und hoch anerkannt“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch in Berlin. Ihre Nominierung sei am Mittwoch vom Kabinett bestätigt worden. „Die Bundesregierung hat sich auch im Einvernehmen mit der künftigen potenziellen Bundesregierung verständigt, Frau Baerbock zu nominieren“, fügte Hebestreit mit Blick auf die mutmaßlich von der Union geführte neue Koalition hinzu.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amts sagte, das „Feedback“ von anderen Außenministerinnen und Außenministern auf Baerbocks Nominierung sei „durchweg positiv“. Er fügte hinzu: „Was uns erreicht hat, war sozusagen eine Vorfreude darauf, mit der Außenministerin zukünftig auch in anderer Form zusammenarbeiten zu können im UN-Kontext - und das hat uns doch alle sehr ermutigt.“