Die Ukraine will westliche Waffensysteme in Russland einsetzen dürfen – und bekommt Unterstützung. Aus Moskau kommen derweil Drohungen.
Scholz-Kurs als „lächerlich“ kritisiert„Russische Kampfjets werden von uns besser geschützt als die Ukrainer“
Die Kritik an der Zurückhaltung mancher Unterstützer der Ukraine im Kampf gegen Russland wird lauter – und richtet sich auch an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Bundesregierung. So hat der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell die Bedenken Deutschlands und der USA gegen ukrainische Angriffe auf russische Ziele mit westlichen Waffen zurückgewiesen.
Es sei „lächerlich zu behaupten, dass das Zulassen von Zielen auf russischem Territorium bedeutet, dass wir uns im Krieg gegen Moskau befinden“, sagte Borrell am Freitag vor einem EU-Verteidigungsministertreffen in Brüssel. Wenn die Ukraine auf Angriffe von russischem Gebiet reagiere, entspreche dies internationalem Recht.
Ukraine fordert Freigabe für weitreichende Waffensysteme
Angesichts der jüngsten russischen Luftangriffe hatte die Ukraine von den Verbündeten erneut gefordert, Beschränkungen für den Einsatz ihrer Waffen aufzuheben. Berlin und Washington fürchten in diesem Fall jedoch eine Konfrontation mit Moskau. Der ukrainische Außenministers Dmytro Kuleba hatte die Europäer zuletzt am Donnerstag bei einem Außenministertreffen in Brüssel aufgerufen, Druck auf die USA und Großbritannien zu machen.
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Vor allem Washington und London müssten es der Ukraine erlauben, „legitime militärische Ziele tief in Russland zu treffen“, forderte Kuleba. Bisher ist dies der Ukraine lediglich in der Region Charkiw gestattet. London hat allerdings durchblicken lassen, dass die Freigabe nicht an Großbritannien scheitert, einen Alleingang ohne Washington wolle man jedoch nicht unternehmen.
Olaf Scholz verweigert Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern
Während die USA mit ATACMS-Raketen und Großbritannien mit Raketen des Typs Storm Shadow der Ukraine weitreichende Waffen zur Verfügung gestellt haben, hat sich Berlin stets vor einem ähnlichen Schritt gescheut. Trotz immer wieder aufkochender Debatte verweigert Kanzler Scholz die Lieferung des deutschen Taurus-Marschflugkörpers, der mit seiner großen Reichweite und seiner Durchschlagskraft russische Gefechtsstände und unter Umständen sogar die Krim-Brücke zerstören könnte.
Deutliche Worte kamen zuletzt jedoch nicht nur aus der EU. Auch aus dem Baltikum kommen entsprechende Mahnungen. „Wir haben unsere Vision für die Welt nach diesem Krieg noch immer nicht definiert und haben immer noch Angst vor dem Wort ‚Sieg‘“, erklärte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis am Wochenende. Ähnlich wie die meisten Staaten Osteuropas plädiert auch Litauen für die Freigabe für Angriffe auf militärische Ziele innerhalb Russlands für westliche Waffen.
„Mit einem unbesiegten Russland kann es niemals dauerhaften Frieden geben“
„Die Geschichte zeigt, dass es mit einem unbesiegten Russland niemals einen dauerhaften Frieden geben kann“, fügte Landsbergis an, der bereits am Freitag scharfe Kritik am westlichen Kurs geäußert hatte. „Auch wenn das wie ein Witz klingt: Russische Kampfflugzeuge werden von uns besser geschützt als die Ukrainer“, hatte Litauens Außenminister erklärt und die Verzögerungen bei Lieferungen an die Ukraine kritisiert.
„Putin hat verlässliche Freunde. Nordkorea und Iran sind in der Lage, Russland weiterhin zu versorgen.“ Die Unterstützer der Ukraine müssten sich fragen, welchen Anteil sie an der Lage der Ukraine haben. Derzeit mache es eher den Anschein, als bereite Europa sich „auf die Niederlage vor“, so Landsbergis. „Ich hoffe wirklich, dass diejenigen, die der Ukraine nicht das liefern, was sie angekündigt haben, sich auf die nächste Stufe des Krieges vorbereiten – denn die wird kommen.“
Baltikum macht Druck: „Putin hat verlässliche Freunde“
Wirkung hat die Kritik von Borrell und Landsbergis bei den Adressierten aber offenbar bisher nicht erzielt. So reagierte die Bundesregierung am Freitag verärgert auf die Worte des EU-Außenbeauftragten – und versuchte, die Worte Borells zur persönlichen Meinungsäußerung umzudeuten.
„Zum Ende seiner Amtszeit werden die Äußerungen Herrn Borrells immer merkwürdiger“, hieß es am Freitag aus deutschen Regierungskreisen. Der 77-Jährige spreche „immer weniger für die Europäische Union und immer mehr für sich“, zitierte die Nachrichtenagentur afp weiter aus Regierungskreisen.
Berlin schießt gegen Borrell – Moskau droht mit Reaktion
Moskau unterdessen bediente die immer wieder artikulierten Ängste vor einer Eskalation des Krieges am Wochenende. Russland werde auf eine mögliche Aufhebung der Beschränkungen für westliche Waffen stark und asymmetrisch reagieren. „Sie werden es sofort spüren“, drohte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Staatsduma, Andrej Kartapolow, am Freitag in Richtung der Unterstützer der Ukraine.
Ähnlich hatten sich Moskaus Vertreter allerdings in der Vergangenheit vor jeder maßgeblichen Entscheidung des Westens im Kriegsverlauf geäußert. Immer wieder wurden mitunter wüste Drohungen formuliert – ob vor der Lieferung von Kampfpanzern oder Raketen. Die angedrohten Konsequenzen folgten jedoch nie. Auch auf die ukrainische Gegenoffensive auf russischem Gebiet hat Moskau bisher nicht mit Eskalation reagiert.