Dmitri Medwedew droht mit Atomschlag und Weltkrieg. Politik-Experte Thomas Jäger erklärt, warum – und wie ernst die Drohungen sind.
Kölner Experte über MedwedewWas Putins „Propaganda-Bluthund“ mit schrillen Drohungen bezweckt
Rund 116.000 Ergebnisse wirft Google aus, wenn man nach „Medwedew droht“ sucht. Wenn man statt auf Deutsch die gleiche Suchanfrage auf Englisch stellt, spuckt die Suchmaschine sogar mehr als drei Millionen Ergebnisse aus. Dmitri Medwedew, ehemaliger russischer Präsident und nunmehriger stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrats, droht und warnt oft – und das meist mit schrillen und unflätigen Worten. Zuletzt geschehen ist das in dieser Woche: Medwedew drohte erneut mit einem Atomschlag. Diesmal für den Fall, dass die ukrainische Gegenoffensive erfolgreich verlaufe.
Putin-Vertrauter Dmitri Medwedew: Mal droht er vor Atomschlägen, mal vor dem Dritten Weltkrieg
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist Medwedew zum absoluten Lautsprecher geworden. Seien es vergiftete Warnungen vor dem Dritten Weltkrieg, faschistische Aussagen über Ukrainer und Polen oder die immer wieder vorgetragene Drohung mit einem Atomschlag – der enge Vertraute von Kremlchef Wladimir Putin droht nahezu im Wochentakt.
Und immer wieder werden die Worte Medwedews von Medien verbreitet, oft ohne Einordnung. Es ist schließlich der ehemalige Präsident Russlands, der da spricht – Medwedew hat ein gewisses mediales Gewicht. Seine Drohungen schüren dabei immer wieder auch Ängste. Kein Wunder: „Russland droht mit Atomschlag, wenn …“ ist auf den ersten Blick nicht unbedingt eine Nachricht, die einen ruhig schlafen lässt. Angst zu schüren ist genau das, was Dmitri Medwedew erreichen will.
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Atom-Drohungen aus Moskau: Dmitri Medwedew will „Angst und Schrecken“ verbreiten
„Die Weitergabe ist das, was Medwedew anstrebt“, erklärt der Politikwissenschaftler Thomas Jäger im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Im Wesentlichen hätten Atomwaffen „zwei Funktionen“, führt Jäger aus. „Die erste ist, dass sie Gegner davon abschrecken, das eigene Territorium anzugreifen. Und das funktioniert ja auch. Die zweite ist, dass sie Angst und Schrecken verbreiten sollen.“
Damit beabsichtigten Medwedew und Co. nicht nur, auf die westlichen Bevölkerungen einzuwirken. Auch politisch stecke ein Kalkül dahinter, erklärt Jäger. Russland nutze die Atomwaffen zur „politischen Drohung“, mit der Hoffnung, dass im Westen „eine Form von Selbstabschreckung“ stattfinde, führt der Professor aus. Das geschehe „nach dem Motto: ‚Wir dürfen der Ukraine jetzt dies und das nicht geben, weil sonst die Gefahr besteht, dass …‘“ Diese angedrohte Gefahr „besteht aus meiner Sicht aber nicht“, stellt Jäger klar.
Jäger über schrille Drohungen aus Moskau: „Fällt in Deutschland auf den fruchtbarsten Boden“
Dennoch entfalten Medwedews Worte ihre Wirkung in der politischen Arena. „Das fällt in Deutschland auf den fruchtbarsten Boden, das ist in anderen Staaten nicht so“, befindet Jäger mit Blick auf die offenen Briefe, die vor einer Eskalation warnen, und „Friedensbewegungen“, wie die von Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und Publizistin Alice Schwarzer.
Gerade in der Frühphase des Krieges sei ihm keine Frage häufiger gestellt worden, als: Müssen wir jetzt Angst vor einem Atomschlag haben? Jägers Antwort auf diese Frage ist klar. „Aus meiner Sicht besteht da überhaupt keine Furcht. Jedenfalls nicht mehr als an jedem anderen Tag der letzten 70 Jahre.“
Je öfter Medwedew drohe, desto weniger müsse man ihn ernst nehmen, so Jäger. Die Drohungen habe es schließlich schon oft gegeben. „Wenn Panzer kommen, dann werden wir das und das machen. Wenn die Langstreckenraketen kommen, dann werden wir das und das machen – nein, werden sie nicht.“ Der Grund dafür sei simpel, erklärt Jäger: „Ein Atomschlag würde nichts beenden. Das wäre nicht wie in Hiroshima.“
Kölner Politik-Experte Thomas Jäger: „Ein Atomschlag würde nichts beenden“
Tatsächlich hat die Ukraine immer wieder betont, dass sie auch im Falle eines russischen Atomschlags nicht kapitulieren werde. Dass die USA und China sich „eindeutig positioniert“ haben, sei ein weiterer Grund, der Russland vom Einsatz seiner taktischen Nuklearwaffen abhalten dürfte, so Jäger. Washington hatte bereits früh klargemacht, dass der Einsatz von Atomwaffen nicht ohne Antwort bleiben würde. China, grundsätzlich fest an der Seite Russlands, warnte unterdessen öffentlich vor diesem Szenario.
Die russische Atomdoktrin sehe einen Einsatz der Waffen zudem nur vor, wenn Russlands Sicherheit gefährdet sei. „Wenn wirklich russisches Territorium angegriffen wird und jetzt Truppen – und zwar nicht russische, sondern andere – auf Moskau zu marschieren, für genau so eine Situation ist diese Abschreckungswaffe gedacht“, erklärt Jäger. Aber: „Dieses Szenario gibt es nicht“, sagt Jäger.
Rückeroberung der Krim: Könnten die Drohungen aus Moskau Realität werden?
Doch was, wenn es der Ukraine tatsächlich gelingen sollte, die Krim komplett zurückzuerobern, die Gegenoffensive also erfolgreich verlaufen und somit Medwedews jüngstes Szenario eintreten würde. Könnten die Drohungen aus Moskau dann Realität werden?
„Damit rechne ich nicht“, sagt Jäger. Es sei unwahrscheinlich, dass die Ukraine die Krim „quasi von oben überrennen“ werde. Wahrscheinlicher sei, dass es Kiew gelinge, die russischen Nachschubwege abzuschneiden. Wenn Russland dann erkennen müsse, dass es „im Feld geschlagen“ ist, sei es deutlich naheliegender, dass der Kreml sich auf „Gespräche einlässt“, statt zur Atomwaffe zu greifen. „Niemand hat Interesse an einer nuklearen Eskalation. Auch Russland nicht.“
Thomas Jäger: „Medwedew spielt den propagandistischen Bluthund für Wladimir Putin“
Medwedews ständige Drohungen erfüllten schließlich auch einen innenpolitischen Zweck. Der ehemalige Präsident sei einer der „engsten Vertrauten“ von Wladimir Putin, führt Jäger aus. „Was er jetzt macht, ist, wenn man so will, den propagandistischen Bluthund für Putin zu spielen, der immer wieder herum bellt und die Zähne fletscht – und das auch nach innen.“
Im Westen habe Medwedew mit derartigen Tönen seinen „relativ guten Namen“ aus der Vergangenheit verspielt. In Russland präsentiere er sich jedoch als „enger und unverbrüchlicher“ Unterstützer des Präsidenten und bediene mit seinen Wortmeldungen den innerrussischen Diskurs.
Russlands Drohungen: „Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man darüber lachen“
„Dort werden Atomschläge immer wieder angeführt. Da geht es um Nuklearwaffen auf London und Paris, die nukleare Verseuchung Großbritanniens“, sagt Jäger mit Blick auf russische Propaganda-Talkshows. „Da steht man ja sozusagen davor und denkt: Leute, das ist doch Satire. Aber insbesondere für die älteren russischen Zuschauer, die keine anderen Informationsquellen haben, ist das ernst.“
Schrille Töne und Angstmacherei: „Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man darüber lachen“, sagt Jäger. Vermutlich werden bei Google also noch zahlreiche Ergebnisse für „Medwedew droht“ hinzukommen. Ernst nehmen sollte man sie nicht direkt.
Thomas Jäger, 1960 in Hanau geboren, ist Politikwissenschaftler an der Universität zu Köln. Im Jahr 1999 wurde Jäger zum Professor für „Internationale Politik und Außenpolitik“ berufen. Seit 2010 ist er ordentliches Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste. Außerdem gehört Jäger dem wissenschaftlichen Direktorium des Instituts für Europäische Politik und dem wissenschaftlichen Beirat des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr an. Auf X, das vormals Twitter hieß, findet man seine Beiträge unter: @jaegerthomas2