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CSU-Chef im Wahlkampf-ModusMarkus Söder und das ewige Störfeuer aus Bayern

Lesezeit 8 Minuten
Mann mit Selbstbewusstsein: CSU-Chef Markus Söder. /Frank Hoermann/SVEN SIMON

Mann mit Selbstbewusstsein: CSU-Chef Markus Söder. /Frank Hoermann/SVEN SIMON

Markus Söder stichelt gegen die CDU – kurz vor der Bundestagswahl, obwohl gerade jetzt alle auf Geschlossenheit setzen. In der Schwesterpartei wächst die Sorge vor einem Drama wie 2021.

Es ist ein kalter Montag, als Markus Söder einmal mehr zeigt, warum viele in der Union den Kopf über ihn schütteln. Im verschneiten Seeon in Oberbayern will die CSU-Landesgruppe ihre Klausur beginnen. Zum Auftakt gibt der CSU-Vorsitzende gemeinsam mit Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ein Pressestatement. Im Hintergrund glitzert das Kloster Seeon in der Sonne, solche Bilder lieben sie in der CSU. „Beim Alexander ist immer eine gute Medienarbeit garantiert. Jetzt eine neue Jacke“, sagt Söder und nickt Dobrindt zu. „Sehr schön, obwohl ich die vom letzten Jahr ein bisschen cooler fand, aber das geht auch.“

Der kleine Seitenhieb hat eine Vorgeschichte. Schon bei der Klausur im vergangenen Jahr hatte Söder Dobrindts Winteroutfit mit den Worten kommentiert: „Geile Jacke!“ Dobrindt trug damals eine weiße Daunenjacke, die etwas von Michelin-Männchen hatte. Dobrindt klopfte seinem Parteichef mit der flachen Hand auf die Schulter und lächelte etwas verlegen.

08.01.2025, Bayern, Seeon-Seebruck: Markus Söder (CSU, l-r), Parteivorsitzender und Ministerpräsident von Bayern, Friedrich Merz, Bundesvorsitzender der CDU und CDU-Kanzlerkandidat, und Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef, begrüßen sich bei der Winterklausur der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Zum Abschluss der dreitägigen CSU-Winterklausur der Landesgruppe im Bundestag wird Unions-Kanzlerkandidat Merz im Kloster Seeon erwartet. Foto: Peter Kneffel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Ein bisschen sticheln, ein bisschen spotten: Markus Söder (links), CSU-Parteivorsitzender, Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef, und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz im oberbayerischen Kloster Seeon.

Markus Söder kann es einfach nicht lassen. Die Sticheleien, das Frotzeln, der Sarkasmus. In der Union weiß man, dass ein gemeinsamer Auftritt entweder mit Spott beginnt oder mit Spott endet. Für Söder scheint das oft ein Spiel zu sein, bei dem es einen gibt, über den man sich lustig macht, und einen anderen, der sich lustig macht. Oder im schlimmeren Fall, in dem es am Ende einen Verlierer und einen Gewinner gibt. Und Söder will natürlich der Sieger sein.

Giftpfeile über die weiß-blaue Grenze

Manchmal schießt er sich gar wochenlang auf Leute ein. Dann fliegen die Giftpfeile über die weiß-blaue Grenze gen Westen oder Norden. In die Staatskanzleien nach Düsseldorf und Kiel oder ins Sauerland, wo CDU-Chef Friedrich Merz wohnt. Gerade fliegen sie wieder im Akkord. Dabei ist fünf Wochen vor der Bundestagswahl Geschlossenheit besonders wichtig. Warum tut er das – obwohl er sich doch selbst einen Wahlsieg der Union wünscht?

September 2024. Der Ministerpräsident und Merz befinden sich in Bayerns Landesvertretung in Berlin. Gleich startet die für die beiden wohl wichtigste Pressekonferenz des Jahres. Im Gleichschritt laufen sie vor die Kameras. Merz sieht entspannt aus. Markus Söder bemüht sich, ein Lächeln aufzusetzen. Er richtet noch das Mikrofon. Dann macht er es kurz. „Die K-Frage ist entschieden, Friedrich Merz macht’s.“ Er sei „damit fein“. Wirklich. Wirklich. Wirklich?

Kampfkandidatur hätte Söder geschadet

In Wahrheit hatte der gelernte Journalist in den Tagen davor deutliche Signale über die Medien gesendet – in der Hoffnung, CDU-Politiker würden ihn zur Kanzlerkandidatur auffordern. Aber es hat ihn niemand gerufen, also hörte er auf. Denn 2024 ist nicht 2021. Und Merz ist nicht Armin Laschet. Der Sauerländer ist in den Reihen der CDU viel akzeptierter, als es der Spitzenkandidat von 2021 jemals war. Zumal Merz in der CSU-Landesgruppe ein hohes Ansehen genießt. Söder nahm sich also aus dem Rennen, nicht, weil er Merz für besser hielt, sondern weil eine Kampfkandidatur Schaden für ihn selbst bedeutet hätte. Parteifreunde, die eng mit dem Regierungschef zusammenarbeiten, beschreiben einen Mann, der die veränderte Situation schlussendlich erkannt hatte – auch weil sich sein Verhältnis zu Merz anders darstellt als zu Laschet. „Söder akzeptiert Merz mehr“, heißt es. Er sehe ihn als „ebenbürtig“ an.

08.01.2025, Bayern, Seeon-Seebruck: Alexander Dobrindt (hinten, l-r), CSU-Landesgruppenchef, Friedrich Merz, Bundesvorsitzender der CDU und Unions-Kanzlerkandidat, und Markus Söder (CSU), Parteivorsitzender und Ministerpräsident von Bayern, geben am letzten Tag der Winterklausur der CSU-Landesgruppe im Bundestag ein abschließendes Statement. Foto: Peter Kneffel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Herren-Doppel: Markus Söder (rechts) und Friedrich Merz treffen sich bei der CSU-Winterklausur im oberbayerischen Kloster Seeon.

Zwischenzeitlich hielt sich Söder mit Kritik an Merz zurück. Bis zum Jahresanfang. Dann ließen wichtige Christsoziale ihre Unzufriedenheit mit Merz durchblicken. Die Schlagzahl des Kanzlerkandidaten? Zu gering. Die Forderungen? Nicht deutlich genug. Die Umfragen? Nicht ausreichend. Söder selbst sagt am Mittwoch nach Beratungen mit der Landtagsfraktion, der Wahlkampf sei ein Sprint, der mit einem „maximalen Einsatz geführt werden muss“. Bogen gespannt und Pfeil zischen lassen.

Streit mit Grünen dominiert den Wahlkampf

Und das ist nur ein Teil des Konflikts. Der Streit über die Grünen droht den Unionswahlkampf zu dominieren. Das jüngste Beispiel: Söders Zoff mit Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther. Weil Söder immer wieder ein Bündnis mit den „Heiz-Grünen“ und „Gender-Grünen“ ausschließt und Günther vorwirft, von einer Koalition mit den Grünen im Bund zu träumen, gibt der im ZDF zurück, Söder solle „einfach den Mund halten“. Der Franke lässt das nicht auf sich sitzen. Die Aussage von Günther sei „nicht relevant“, ätzt Söder und setzt noch einen drauf. Schleswig-Holstein sei ein „kleines und schönes Land mit schöner Landschaft, wirtschaftlich enormen Problemen, finanziell hoch verschuldet“. Tenor: Dieser Ministerpräsident da aus dem Norden hat mir gar nichts zu sagen. Oder auf Bayerisch: Geh weida!

Als Merz auf der CSU-Klausur nach dem Disput gefragt wird, bemüht er sich um Deeskalation. „Ich gehe davon aus, dass sich Daniel Günther und Markus Söder nach wie vor freundlich begegnen“, antwortet er diplomatisch. Nur ruft dann Söder süffisant rein: „Echt?“ und verlängert mit nur einem Wort ganz bewusst die Berichterstattung um einige Tage. Merz muss etwas hilflos lachen. Manchmal wirkt es so, als ob der CDU-Mann gar nicht glauben kann, was Söder von sich gibt. Diese Überraschungseffekte mag der Ministerpräsident, im Adenauerhaus reißt aber der Geduldsfaden.

„Es ist wie beim letzten Mal mit Laschet“, regen sich Christdemokraten auf der Klausurtagung in Hamburg auf. Von einem „Schaden“ für die Kampagne ist die Rede. Es ist das Topthema unter den CDU-Politikerinnen und -Politikerin, obwohl Inhalte im Mittelpunkt stehen sollen. Auf der Abschluss-Pressekonferenz soll Merz Stellung beziehen zu Söders Absagen an Schwarz-Grün. Die Union führe keinen Wahlkampf gegen irgendjemanden, sondern „für uns“, sagt er und nennt seinen Counterpart nicht namentlich.

Pokert Markus Söder?

Doch woher kommt diese „Obsession“ von Söder – so nennen es Christdemokraten – gegen die Grünen?

In der CSU heißt es, wenn Söder Schwarz-Grün nicht ausschließen würde, könnten die Freien Wähler der CSU gefährlich werden. FW-Chef Hubert Aiwanger hätte ein gefundenes Fressen, so die Befürchtung. Außerdem gebe es große Teile der Bevölkerung, die den Grünen nicht zutrauten, die Weichen fürs Land zu stellen. In der CDU dagegen glauben manche an eine finstere Strategie des Bayerns. Grob zusammengefasst lautet sie: Je schwächer die CDU abschneide und je mehr die CSU am Gesamtergebnis ausmache, desto besser für Söder, weil er dann Anspruch auf mehr Ministerien erheben könne. Es käme einem Pokerspiel gleich.

Wir spielen jetzt ’n Doppel, er darf immer aufschlagen, aber wir spielen jetzt ein Doppel.
Markus Söder

Und manch anderer glaubt, dass Söder NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, der mit den Grünen regiert, ausstechen wolle. Dass Söders Blick bereits jetzt in Richtung 2029 geht, wenn Merz – sollte er die Wahl gewinnen – seine erste Amtszeit hinter sich hat und womöglich den Staffelstab weitergeben will. Er wäre dann schließlich 73 Jahre alt und Söder erst 62. Söder könnte erneut nach der Spitzenkandidatur greifen, wenn in der CDU kein natürlicher Nachfolger in den Startlöchern steht. Gerade sei das Wüst, aber seine Koalition mit den Grünen könne ihm gefährlich werden, heißt es.

Söders giftige Sticheleien gegen Günther, Wüst und gegen Merz’ Haltung zu den Grünen sind also ein Kampf um die Macht in der Union. „Es gibt zwei Parteivorsitzende“, sagt Söder stets und stellt damit alle anderen, die den Kurs der Union mitprägen wollen, in den Schatten. Für ihn gibt es zwei Chefs in der Union: zunächst mal er selbst und eben Merz. Oft treten sie nicht zusammen auf, aber wenn, dann markiert Söder diese Rollenverteilung gerne. Wie etwa im Podcast von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann vor wenigen Wochen. Söder sitzt am Tisch, hat den Ellbogen aufgelegt und dreht sich zu Merz. „Wir spielen jetzt ’n Doppel, er darf immer aufschlagen, aber wir spielen jetzt ein Doppel“, nickt Söder dem Kanzlerkandidaten zu. Bei einem Doppel-Tennisspiel wird sich früher oder später irgendwann abgewechselt.

Söders Selbstbewusstsein hat gute Gründe. In seiner Partei ist er die unangefochtene Nummer eins. Auch wenn er nicht als unumstritten gilt. Da wäre zum Beispiel sein Auftreten in den sozialen Medien, in denen er Hunderttausende Follower zählt. Für seine Fans nimmt er zu Weihnachten sogar ein Lied auf. „Schnee und Eis hört man knistern“, singt er mit tiefer Stimme, die einmal durch ein Autotune-Programm gejagt wurde. Seine Follower hält er mit besonderen Aktionen bei Laune, wenn er beispielsweise Lebkuchen und Ostereier mit seinem Konterfei verlost. Mit Erstaunen – und mit Scham – reagieren Parteikollegen auf seine Art und Weise, mögliche Wählerinnen und Wähler anzusprechen. Obgleich Likes keine Wählerstimmen sind, sein Kurs zahlt sich aus.

Ein Mann, der seine Meinung oft ändert

Schließlich steht die CSU in den aktuellen Umfragen bei etwa 42 Prozent. Sollten sich diese Werte bei der Wahl realisieren, wäre es das beste Ergebnis von Ministerpräsident Söder. Obwohl er seine Meinung so oft ändert. Vom Bäume umarmenden Ministerpräsidenten, der mit den Grünen flirtet, zum schärfsten Kritiker der Ökopartei, der zurück zur Atomkraft will: Es gibt wohl kaum jemanden in der deutschen Politik, dessen Fähnchen sich im Wind so stark dreht, und dennoch kommt er damit durch. Markus Söder ist ein Meister der machtpolitischen Taktik.

Er weiß, seine innerparteiliche Machtbasis zu sichern und ist bestens vernetzt in der Union. Er meldet sich dem Vernehmen nach oft bei Parteikollegen in der CSU und CDU, lobt sie für Interviews und hält sich im Gespräch. Dauerpräsenz zahlt sich aus – sowohl auf Instagram als auch offline. In einer unionsgeführten Regierung dürfte die nicht abreißen. Schon jetzt – bevor die Union die Wahl überhaupt gewonnen hat – arbeitet er daran, seine Position in einer künftigen Koalition zu stärken.

So fordert die CSU beispielsweise, den Koalitionsausschuss zur „Schaltzentrale der Koalitionsarbeit“ zu machen, der regelmäßig tagen soll. Söder, der kein Ministeramt anstrebt, könnte dort entscheidend Einfluss nehmen. Von „dynamischer Koalitionsarbeit statt starrem Koalitionskorsett“ ist die Rede. Die entscheidende Frage bleibt: Will die CSU damit aber womöglich doch ein Korsett schaffen? Nicht für sich selbst, aber für jemand anderen. Für Merz zum Beispiel.