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Debatte auf XWeidel nennt Hitler im Musk-Talk einen „Kommunisten“ und redet sich ins Abseits

Lesezeit 7 Minuten
Tesla-Chef Elon Musk und Alice Weidel, Parteivorsitzende der AfD, sprachen auf der Plattform X miteinander. Nils

Tesla-Chef Elon Musk und Alice Weidel, Parteivorsitzende der AfD, sprachen auf der Plattform X miteinander. Nils

Eigentlich hätte nichts schiefgehen können auf der Bühne, die Tech-Irrlicht Elon Musk der AfD auf seiner Plattform X gab. Aber dann ging doch alles schief. Über einen Abend, den Alice Weidel spektakulär verlor.

Nach einer Stunde hat das Gespräch zwischen der AfD-Chefin und dem Tech-Milliardär längst die irdischen Sphären verlassen. Elon Musk träumt von seinem Marsprojekt und Alice Weidel lauscht gebannt. Nicht nur multiplanetar, sondern auch multistellar würden die Menschen in Zukunft leben, die Grenzen des Sonnensystems überschreiten.

Der Mars sei nur das Minimum. „Jede Zivilisation, die etwas auf sich hält, sollte mindestens zwei Planeten besiedeln“, sagt Musk.

„Wow“, entgegnet Weidel.

Glaubt Musk an Gott, fragt Weidel

Dann fragt die Wirtschaftswissenschaftlerin den Gründerguru, ob er an Gott glaubt. „Ich bin sicherlich offen für die Idee von Gott“, antwortet Musk zögerlich. „Ich bin noch auf der Suche“, gesteht Weidel.

Um den deutschen Wahlkampf ging es da schon lange nicht mehr. Der US-Amerikaner hatte auch sichtlich kein Interesse daran, allzu tief ins Wahlprogramm der AfD einzusteigen oder auch nur irgendetwas von Relevanz über Weidel zu erfahren, mit der er das erste Mal zu einem Gespräch zusammenkam. So hinterfragte Musk nicht Weidels Aussage, dass die EU zwar Deutschland brauche, aber Deutschland nicht die EU – verwunderlich für einen Investor, der in Brandenburg Fahrzeuge für den gesamteuropäischen Markt fertigen lässt.

Musk machte der AfD das größte Weihnachtsgeschenk

Was er von der AfD hält, hatte Musk schon zuvor dargelegt – in einem einzigen Satz auf X, der für die AfD das größte Weihnachtsgeschenk in ihrem elfjährigen Parteienleben war. „Nur die AfD kann Deutschland retten“, schrieb er auf Englisch. Diesen Satz wiederholte Musk auch am Donnerstagabend vor den knapp 200.000 Nutzerinnen und Nutzern, die das Audio-Liveformat auf Musks Plattform X verfolgten. Eine ernüchternde Zahl: Musk hat mehr als 211 Millionen Follower, die alle den Space angezeigt bekamen. Jede abendliche Talkshow in Deutschland hat eine Einschaltquote von mehr als zwei Millionen.

Das Medienecho ist natürlich trotzdem riesig. Der irrlichternde, rechtsextrem kokettierende, vulgär beleidigende Welt-Polithorrorclown und die erste Kanzlerkandidatin der deutschen Rechtspartei – das erfüllte alle Kriterien einer im Wortsinne „unerhörten Begebenheit“.

Angela Merkel „hat unser Land zerstört“, sagt Weidel

Ziemlich unvermittelt geht nach einigen Minuten Fahrstuhlmusik das Gespräch los. „Alice Wedel“ nennt Musk die AfD-Chefin und gibt mit der ersten Frage schon einmal die Richtung vor – nämlich gar keine. „Stell doch mal die AfD vor, die meisten Menschen in Amerika haben noch nie davon gehört“, beginnt Musk.

Weidel sagt das, was sie immer sagt: Angela Merkel, die „erste grüne Kanzlerin“, habe „unser Land zerstört“ und die „lächerliche Ampelkoalition“ habe damit weitergemacht. Nur mit erneuerbarer Energie könne man kein Industrieland versorgen.

Musk unterbricht und hält ein Kurzreferat über die Vorzüge der Solarenergie. Sollte es etwa kontrovers werden? Schnell sind sich beide einig, dass Deutschland wieder in die Kernkraft einsteigen müsse.

„Crazy“ – „crazy, crazy“ – „it‘s crazy“

Weidel geißelt mehrfach die, wörtlich übersetzt, „widerliche Energiepolitik“. Der Atomausstieg war „crazy“, verrückt, sekundiert Musk. „Crazy, crazy“, stimmt Weidel ein. „It‘s crazy“, schiebt noch einmal Musk nach.

Dann lachen beide leicht hysterisch, wie noch öfter während des Gesprächs. Bei einem Kneipenabend würde man denken: Da haben sich zwei gefunden, lass sie mal in Ruhe weiterreden. Aber das ist hier ja die angebliche Weltöffentlichkeit, also muss noch was kommen.

Es kommt Musks knappe Wahlempfehlung für die AfD: Sie mache „vernünftige Energiepolitik und vernünftige Einwanderungspolitik“. So weit, so unfallfrei.

Dann begeht Weidel einen großen Fehler

In der Folge geht es erwartbar um Musks und Weidels Verständnis von Meinungsfreiheit, bis Weidel einen großen Fehler begeht. Bei allen AfD-Skandalen der vergangenen Jahre, zuletzt bei den Eskapaden des Europa-Spitzenkandidaten Maximilian Krah, hatte sie in vorderster Reihe gemahnt: Redet nicht ohne Not von Hitler.

Und was tut Weidel: Sie redet von Hitler, wie er die Meinungsfreiheit in Deutschland abgeschafft hat – und dann darüber, dass er eigentlich ein Linker gewesen sei. „Er war ein Kommunist, und er bezeichnete sich selbst als Sozialisten.“

Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende und Kanzlerkandidatin der AfD, sitzt vor dem Live-Talk mit dem US-Milliardär Elon Musk auf der Plattform X an Mikrofonen und einem Laptop in ihrem Büro des Jakob-Kaiser-Hauses.

Alice Weidel beim Live-Talk mit Elon Musk.

Musk widerspricht – natürlich – nicht. „Wir sind das absolute Gegenteil“, nimmt Weidel für die AfD in Anspruch, „wir werden den Staat auf das Minimum zurückfahren“.

Das ist eine Passage, die ihr beim Parteitag am Wochenende im sächsischen Riesa noch mit Wucht auf die Füße fallen kann. All die Weidel-Gegner in der Partei, die in den vergangenen Tagen wegen der gigantischen Weihnachtsüberraschung Musk den Mund hielten, aber eigentlich skeptisch waren, werden nun die Chefin kritisieren können.

Auch international ist Weidel zum Gesicht der AfD geworden

Dabei hätte eigentlich gar nichts schiefgehen können. Musk hatte den Talk mit Weidel als „Gespräch mit der Spitzenkandidatin für Deutschland“ angekündigt, als gäbe es da nicht noch ein paar weitere.

Alice Weidel wird zwar nicht Bundeskanzlerin. Jedenfalls nicht bei dieser Wahl. Das weiß vermutlich auch Musk, vor allem weiß es die 45-jährige AfD-Chefin selbst, schließlich zeugt ihr Aufstieg an die Spitze der AfD einiges an strategischem Geschick. Mit der Kür zur ersten Kanzlerkandidatin der Rechtspartei am Samstag auf dem Parteitag im sächsischen Riesa hat sich die Partei von ihr abhängig gemacht. Und auch international ist Weidel zum Gesicht der AfD geworden. Als der politische irrlichternde Milliardär Elon Musk vor Weihnachten die AfD zur „Retterin Deutschlands“ ausgerufen hatte, reagierte Weidel sofort mit einer englischsprachigen Grußbotschaft. Und natürlich war sie es, die am Donnerstagabend mit Musk auf dessen Plattform X in akzeptablem Englisch parlieren durfte.

Weidel spricht vom „Ende der Brandmauern“

Wer sollte es auch sonst sein? Der bodenständige Sachse Tino Chrupalla, der während des ganzen Musk-Hypes der vergangenen Tage unverdrossen weiter auf AfD-Wahlkampftour durch die ostdeutsche Provinz war? Der völkische Möchtegern-Agitator Björn Höcke, dessen Welt durch die Täler seiner Wahlheimat Thüringen begrenzt ist? Auch mit den irrlichternden Trump-Vergötterern Beatrix von Storch oder Maximilian Krah würde ein Musk nicht seine Zeit verschwenden.

Musks Sympathie ist nicht das einzige unverhoffte Geschenk, das die AfD-Kandidatin in diesen Tagen annehmen konnte. Das zweite, vielleicht wichtigere Geschenk, kommt aus Wien. Das österreichische Scheitern, eine Regierung gegen die AfD-Schwesterpartei FPÖ zu bilden, nehme das Ende der Brandmauern auch in Deutschland vorweg, stichelte Weidel. „Die Wähler haben für eine solche Ausgrenzungspolitik, die Parteiinteressen über den Willen der Wähler stellt, kein Verständnis. Sie wollen, dass die Probleme unseres Landes gelöst werden. Sie wollen keine Koalition, in denen wieder linke Parteien den Ton angeben, wenn es auch eine bürgerliche Mehrheit aus Union und AfD gibt.“

Zugleich aber macht es die schrille, internationale Weidel der Union leicht, erneut jede Zusammenarbeit mit der AfD auszuschließen, wie es Friedrich Merz noch vor dem Gespräch tat.

Wagenknecht kritisiert Musk-Weidel-Gespräch

Es gab eine Art Generalprobe zu dem Musk-Talk, ein schriftliches Interview Weidels mit dem Trump-freundlichen Magazin „The American Conservative“, in dem sie hemmungslos radikale und vulgäre Gedanken aneinanderreihte: Die Deutschen seien „Sklaven“ der USA, ein „besiegtes Volk“, sie hätten sich „aus der Geschichte verabschiedet“. „Die oppositionsführende CDU übertrumpft derzeit die Regierungsparteien im lautesten, vulgärsten Kriegsgeschrei“, stellte Weidel fest. „Was wir hier sehen, sind in Wirklichkeit die wilden sexuellen Fantasien impotenter Menschen“, und meinte damit anscheinend Friedrich Merz und seine Unionisten. Dabei ist es Weidel selbst, die zur „Ertüchtigung der Bundeswehr“ auch Militärausgaben von mehr als fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts befürworten würde.

Während das Gerede von den Deutschen als „besiegter“ und fremdbestimmter Nation dem völkisch-sozialen Flügel um Höcke gefallen muss, ist für Weidels libertären Radikalismus das Gegenteil der Fall. Im Gespräch mit Musk redet sie nicht nur von „Meinungsfreiheit“ (freedom of speech), sondern erfindet auch noch den Begriff „freedom of wealth“ (Freiheit des Reichtums). Als wolle Weidel ihrer Populismus-Konkurrentin Sahra Wagenknecht recht geben. Die hatte das Musk-Weidel-Gespräch gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) mit folgenden Worten kritisiert: „Die Gesellschaft, für die sich Trump, Musk und die AfD engagieren, ist eine Rücksichtslos-Gesellschaft, in der Großunternehmen und Milliardäre sich jeder Verantwortung für das Gemeinwohl entziehen können und soziale Rechte geschreddert werden.“

Vor 75 Jahren schrieb der aus Deutschland nach New York emigrierte jüdische Soziologe Leo Löwenthal unter der Überschrift „Falsche Propheten“ einen Aufsatz über den Typus des faschistischen „Agitators“ der US-Rechten. Wer seine Zeilen mit dem Abstand eines Dreivierteljahrhunderts liest, kann erschrecken, wie gut sie auf Elon Musk passen – aber auch auf Alice Weidel. „Die Themen werden von ihm mit einer gewissen Frivolität präsentiert. Die Behauptungen und Aussagen des Agitators sind oft mehrdeutig und unernst“, schreibt Löwenthal. „Es ist schwer, ihn auf irgendetwas festzunageln, und er vermittelt den Eindruck, dass er absichtlich schauspielert.“ Und dann: „Im Zwielicht zwischen Respektabilität und Verbotenem ist er bereit, sich jedes Mittels zu bedienen.“

Aber nicht jedes Mittel, auch das zeigt der Auftritt der neuen, internationalen Alice Weidel bei Musk, muss zum Erfolg führen.