Am Dienstag beginnen die deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen in Berlin. Dabei wird es auch um Freiheit und Menschenrechte gehen.
Xi Jinping und die KontrolleChinas Zensur ist allmächtig
Auch wenn der junge Chinese kaum volljährig ist, schreitet er mit absoluter Souveränität auf die kleine Kneipenbühne. „Letzte Woche habe ich gerade meine Schule beendet – jetzt bin ich offiziell arbeitslos“, sagt der Nachwuchskomiker mit todernster Miene. Und fügt dann an: „Oder, wie es die chinesische Regierung nennt: Ich bin flexibel beschäftigt.“
Die Lacher des Publikums hat der schmächtige Teenager im grünen Polohemd und mit runder Nickelbrille zwar auf seiner Seite. Doch gleichzeitig geht ein Raunen durch die Bar. Die sichtbar peinlich berührten Blicke der Anwesenden scheinen zu fragen: Darf man das überhaupt? Einfach so über die Regierung herziehen? Unbeirrt legt der junge Comedian nach: „Vielleicht sollte ich besser vorsichtig sein, Big Brother hört schließlich jederzeit mit. Am Ende komme ich noch ins Gefängnis.“
Komiker in China wegen Witz über Volksbefreiungsarmee festgenommen
Was als unschuldige Pointe intendiert war, wird jedoch für immer mehr Chinesinnen und Chinesen ernste Realität. Mitte Mai riss der beliebte Stand-up-Comedian Li Haoshi bei einem Auftritt in Shanghai einen scheinbar harmlosen Witz: Er verglich darin seine zwei adoptierten Straßenhunde, die sich eines Tages mit den Eichhörnchen aus der Nachbarschaft keilten, mit den Soldaten der Volksbefreiungsarmee. Dabei benutzte er einen Slogan, den Staatschef Xi Jinping höchstpersönlich verwendet, um die Armee zu loben: „Ausgezeichneter Arbeitsstil, um die Schlacht zu gewinnen!“
Nur wenige Stunden später wurde Li Haoshi von einem der anwesenden Zuschauer im Internet angeschwärzt. Die Behörden reagierten drakonisch: Der 31-jährige Komiker wurde umgehend von der Polizei in Gewahrsam genommen, ihm drohen nun wegen „Diffamierung der Volksbefreiungsarmee“ bis zu drei Jahre Haft. Auch sein öffentliches Entschuldigungsschreiben, das sich wie eine maoistische Selbstkritik liest, wird wohl ein lebenslanges Auftrittsverbot nicht verhindern können. Und Lis Management muss eine Strafe von umgerechnet zwei Millionen Euro zahlen.
Xi Jinpings eiserne Hand
Es ist erschreckend, mit welch eiserner Hand Xi Jinping mittlerweile sein Land regiert. Die ideologische Kontrolle der kommunistischen Partei reicht dabei längst nicht mehr nur in akademische Kreise, zivilgesellschaftliche Gruppen oder unternehmerische Vorstandsetagen. Sie hat längst auch die Galerien und Konzertsäle erreicht.
Erst vor wenigen Tagen hatte eine Lokalregierung im nordostchinesischen Heliongjiang stolz eine neue Behörde zur „Regulierung der Kulturbranche“ präsentiert. Auf den offiziellen Fotos sieht man schwarz uniformierte Sicherheitskräfte, die während einer feierlichen Zeremonie wie Soldaten in Reih und Glied stehen. Sie sollen nun unter den Künstlern für Zucht und Ordnung sorgen.
Von den chinesischen Internetnutzerinnen und -nutzern hagelte es hingegen beißende Kritik: „Die Einnahmen der Autoritäten werden sicher bald stark ansteigen“, schreibt ein User auf der Onlineplattform Weibo – offensichtlich als Anspielung darauf, dass die neue Behörde vor allem darauf aus sei, Geldstrafen zu verhängen. Ein anderer Poster meint ironisch: „Es ist stets ein freudiger Anblick, Menschen zu sehen, die dem Wohl des Volkes dienen.“
Chinas Parteichef Xi ist in Moskau angekommen. Für drei Tage will er sich mit seinem „alten Freund“ Präsident Putin vor allem informell austauschen. Dabei soll es auch um gemeinsame Positionen auf dem internationalen Parkett gehen.
Ebenfalls schlägt ein chinesischer User vor, dass es möglicherweise bald auch eine Verwaltungsbehörde brauche, die die Leute dazu anleite, wie man „korrekt seinen Darm entleeren“ soll. Es dauerte nur wenige Stunden, ehe die kritischen Kommentare von den Zensoren gelöscht wurden.
Songtexte vorher einreichen
Bereits jetzt steht die Kulturbranche unter strenger Kontrolle: Sämtliche Veranstaltungen müssen schließlich vom Kulturbüro genehmigt werden. Jeder Student, der in der Fußgängerzone ein paar Lieder mit seiner Karaokebox schmettert, ist verpflichtet, die Songtexte vorher bei den Behörden einzureichen.
Nur mit chinesischem Pragmatismus und hoher Courage erhalten sich junge Kreative ein Mindestmaß an Freiräumen. „Wir dürfen offiziell keine Auftritte organisieren und auch keine Honorare an Bands zahlen“, erklärt die Besitzerin einer Punkbar in Zentralchina: „Wenn die Verwaltungsbehörden also bei uns vorbeischauen, dann sagen wir stets, dass hier zufällig nur gerade ein paar Freunde spontan Musik spielen.“
Die relativ junge Comedyszene bot immerhin noch ein gewisses Ventil, um den alltäglichen Frust und auch subtile Kritik an den Verhältnissen in Witze zu verpacken. Doch die Liste an Tabuthemen ist immens: Wie eine Gag-Schreiberin in einem mittlerweile zensierten Onlinebeitrag offenlegte, habe ihre Firma bereits von Beginn an deutlich gemacht, dass Witze über Homosexualität, außereheliche Affären, die Pandemie oder auch die Armut innerhalb der Bevölkerung nicht toleriert würden. Und am Ende würden die Skripte ohnehin noch einmal durch die wachen Augen der Zensoren gehen. „Die Branche muss 80 Prozent ihrer Energie für die Erstellung von Inhalten aufwenden und dann 500 Prozent ihrer Zeit und Energie für den Umgang mit der Zensur. Das ist eine enorme Ressourcenverschwendung“, schrieb sie in dem mittlerweile gelöschten Posting.
Dabei ist das Interesse der Chinesinnen und Chinesen an freier Kunst weiterhin riesig. Die wenigen Nischen, die es gibt, erfreuen sich reger Beliebtheit: Wenn etwa das China-Filmarchiv, einer der wenigen Kinos mit alternativen Kunstfilmen, an einem beliebigen Wochentag einen alten Pasolini-Film aus den 1970ern zeigt, dann sind sämtliche der über 500 Plätze im Saal ausverkauft.
Erst Kontrolle, dann ins Museum
Und auch vor dem Campus der Zentralakademie der bildenden Kunst, der Elitekaderschmiede für die vielversprechendsten Nachwuchstalente, stehen die Menschenmassen an diesem brutal heißen Junimorgen bis zur nächsten Straßenecke Schlange. Sie sind gekommen, um die Werke der frisch graduierten Studierenden zu betrachten. Doch ehe die Zuschauerinnen und Zuschauer den hochmodernen Museumsbau betreten können, muss jeder eine Schranke mit Passkontrolle, Gesichtserkennung und Metalldetektoren passieren.
Und gleich am Eingang der Ausstellung werden die Besucherinnen und Besucher von einer Grußnachricht des Parteisekretärs der Kunstakademie willkommen geheißen: „Der 20. nationale Volkskongress der Kommunistischen Partei Chinas hat eine neue Reise zum umfassenden Aufbau eines modernen sozialistischen Landes ausgerufen“, heißt es da. „Die Absolventen dieses Jahrgangs werden sich auf diese Reise begeben und zur grundlegenden Verwirklichung der sozialistischen Modernisierung beitragen.“
Tatsächlich dürfte es sich bei solchen Botschaften nur um ideologische Pflichtübungen handeln. Nur wenige der Ölgemälde und Skulpturen der Studierenden sind stupide Propaganda im Stile des früher gängigen sozialistischen Realismus. Einige der Werke berühren ganz im Gegenteil durchaus riskante Themensujets: dunkle Verarbeitungen von Depressionserfahrungen, psychische Ausnahmezuständen und Andeutungen von Nacktheit.
Corona ist kein Thema
Und doch ist auffällig, welches Themenspektrum keinen Niederschlag finden kann. Die Corona-Pandemie, während der die Studenten oft monatelang im Campus eingesperrt waren, darf mit keinem Pinselstrich angedeutet werden. Politische Kritik ist ohnehin undenkbar.
Dass die Verhältnisse einst freier waren, wissen nur mehr die wenigsten der jetzigen Studierenden. Denn während der Proteste am Pekinger Tiananmen-Platz 1989 errichteten die damaligen Absolventen der Zentralakademie eine riesige Statue, die sie „Göttin der Demokratie“ tauften. Während Festlandchina die Ereignisse von damals zensierte, wurde zumindest eine Kopie der Statue in einer Hongkonger Universität errichtet.
Doch auch diese ist seit Beginn des Jahres verschwunden: Die Polizeibehörden haben die „Göttin der Demokratie“ im Januar bei einer Nacht-und-Nebel-Aktion „konfisziert“.