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„Noch einmal ans Meer“20-Jähriger reist mit seinem 93-jährigen Nachbarn durch Europa

Lesezeit 5 Minuten
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Mit Torbens altem Mercedes waren die beiden unterwegs. Hier starten sie in Emmerich. Torben schreibt dazu auf Instagram: „Wer im Leben Träume hat, der sollte sich diese erfüllen. Wer mit fast 94 Jahren noch einen letzten Traum hat, dem sollten keine Steine in den Weg gelegt werden. Und so haben wir uns in das Abenteuer gestürzt.“

  1. Carlos aus Emmerich ist 93 Jahre alt und möchte noch einmal die Orte in Europa sehen, die ihn geprägt haben.
  2. Sein 20-jähriger Nachbar Torben Kroker steigt mit ihm in seinen alten Mercedes und fährt drei Wochen lang mit ihm durch verschiedenen Länder.
  3. Sie kommen an Orte, die Carlos zuletzt im Krieg gesehen hat. Hier erzählt Kroker von der ungewöhnlichen Reise.

Emmerich – Noch einmal das Meer sehen, das hat sich der 93-jährige Carlos aus Emmerich gewünscht. Carlos heißt eigentlich Karl-Heinz Schulz und war während des Zweiten Weltkrieges in Frankreich stationiert. Nach dem Krieg verbrachte er mehrere Jahre in Spanien. Diese Orte wollte er noch einmal wiedersehen. Und natürlich das Meer. Sein 20 Jahre alter Nachbar Torben Kroker hat ihm jetzt seinen Wunsch erfüllt. Drei Wochen sind die beiden durch Europa gefahren. Ausgerechnet in diesem Sommer, mitten in der Corona-Zeit. „Wir mussten uns in jedem Land unterschiedlich darauf einstellen. In Spanien oder Italien mussten wir sogar auf der Straße die Maske tragen. Trotzdem konnte man ganz gut reisen und es war erträglich“, sagt Kroker.

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Hier sind die beiden in Biarritz. 

Eine so lange Tour? Wie soll das gehen mit 93?

Als Carlos im Herbst 2019 zum ersten Mal seinen Wunsch äußert, ist Kroker – noch lange vor Corona – skeptisch. Wie soll das gehen, eine so lange Fahrt mit einem über 90-jährigen Mann? Er lehnt zunächst ab. Doch als Carlos' Freundin stirbt und der alte Mann in ein tiefes Loch fällt, gibt er sich einen Ruck. „Er hat sich mit der Idee, noch einmal durch Europa zu fahren, ein Stück weit aus seiner Trauer herausgezogen. Und dann hat er mir die Reise zu Weihnachten geschenkt und sagte, ich bräuchte ihn nur zu fahren, er würde für alles aufkommen. Dieses Geschenk konnte ich nicht ausschlagen, er hat es sich einfach so sehr gewünscht“, erzählt Kroker. Also sagt er Ja.

„Carlos ist ein Opa-ähnlicher Freund für mich“

Carlos und Kroker sind seit vier Jahren befreundet. Alles begann mit einem zu langen Rasen. Carlos suchte jemanden zum Rasenmähen, Kroker übernahm den Job. Nach und nach freundeten die beiden sich an. „Es fing mit dem Rasen an, dann habe ich ihn oft zum Einkaufen oder zum Arzt begleitet oder bin mit ihm irgendwo hingefahren“, erzählt Kroker. Daraus hat sich dann die besondere Freundschaft entwickelt, die Kroker so beschreibt: „Es ist vielleicht ungewöhnlich mit 73 Jahren Altersunterschied, aber wir sind uns beide im Klaren darüber, dass wir nicht das klassische Opa-Enkel-Verhältnis haben. Er ist ein Opa-ähnlicher Freund.“

Gemeinsam 5500 Kilometer durch Europa

Nach dem Weihnachtsgeschenk beantragt Kroker seinen Jahresurlaub und steigt im Juli mit Carlos in sein Auto. Weil seine Freunde und Familie wissen wollen, wie es den beiden bei ihrem Roadtrip ergeht, postet er Bilder der Reise auf seinem Instagram-Account. Der erste Post zeigt die beiden Männer neben Krokers altem Mercedes. Daneben steht: „Wer im Leben Träume hat, der sollte sich diese erfüllen. Wer mit fast 94 Jahren noch einen letzten Traum hat, dem sollten keine Steine in den Weg gelegt werden. Und so haben wir uns in das Abenteuer gestürzt. Mit genug Gepäck und 143.000 Kilometer ist die erste Station heute Versailles. Ob wir die Runde durch Europa schaffen werden, wird man sehen. Wir glauben fest daran.“

Nicht nur erfreuliche Erinnerungen an die Orte

Drei Wochen sind die beiden in Europa unterwegs, insgesamt 5500 Kilometer durch verschiedene Länder. Sie klappern viele verschiedenen Stationen aus Carlos' Vergangenheit ab. Nicht immer gibt es dazu erfreuliche Erinnerungen.

Carlos macht gerade eine Pilotenausbildung, als er 1944 zum Militär gerufen wird. Nach zahlreichen Kämpfen geriet er im Herbst 1945 in französische Kriegsgefangenschaft und wurde 1948 in ein Minensuchkommando versetzt, mit dem er in Südfrankreich Minen suchen sollte. Weil ihm das zu gefährlich wurde, flüchtete er mit einem Kameraden aus Düsseldorf über die Pyrenäen nach Spanien. „Als wir an all diese Orte von früher kamen, wurde er sehr ruhig. Das war sehr aufwühlend für ihn, da ist auch schon mal ein Tränchen gekullert“, erzählt Kroker.

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Monaco hat beiden Männern gut gefallen. 

Und so sieht die Route der beiden Männer aus: Von Emmerich aus geht es durch die Niederlande und Belgien nach Versailles. Eigentlich wollen die beiden nach Paris, kommen aber mit dem alten Mercedes aufgrund der Umweltzone nicht in die Stadt. Von da aus geht es weiter in ein französisches Dorf bei Nantes, in dem Carlos nach dem Zweiten Weltkrieg bei einem Weinbauern gearbeitet hat. Anschließend nach Süden Richtung Atlantik, an der Gironde entlang bis Bordeaux. Diese Stadt sehen beide zum ersten Mal.

Spanien ist wie eine zweite Heimat für ihn

Am Atlantik entlang fahren die beiden über Biarritz nach Spanien, unter anderem nach San Sebastian. „Da habe ich gemerkt, dass es für Carlos so war wie in die Heimat zurück zu kommen“, erzählt Kroker. Hier verbrachte er nach Kriegsende einige Jahre und erhielt so auch seinen Spitznamen. „Die Senoritas wollten ihn alle heiraten, erzählt er mir immer“, sagt Kroker. Barcelona müssen sie wegen der steigenden Corona-Zahlen von ihrer Route streichen und fahren zurück nach Frankreich. Hier geht es am Mittelmeer entlang über Marseille und Monaco Richtung Mailand. Anschließend besuchen sie Bregenz in Österreich, wo Carlos mit Phosphorverbrennungen an der Haut im Lazarett gelegen hat.

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Carlos und Torben in Bregenz. Hier lag Carlos 1945 im Lazarett. „Und 75 Jahre später läuft er munter mit seinem kleinen Auto durch den Ort“, schreibt Torben auf Instagram. In der Hand hält Carlos die 'Auto Bild', die auch über ihre Reise berichtet hat.

Danach geht es weiter über Stuttgart und Hamburg nach Bremerhaven. Der Grund: Obwohl Carlos sich nach dem Krieg in Spanien sehr wohl gefühlt hat, zog es ihn damals nach Deutschland zurück. In San Sebastian schmuggelte er sich auf ein Containerschiff und setzte nach Bremerhaven über.

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Kroker ist stolz, dass Carlos so gut durchgehalten hat

Beide haben die Reise gut überstanden. Kroker ist stolz darauf, dass Carlos mit seinen fast 94 Jahren so gut durchgehalten hat, zum Beispiel in San Sebastian, als sie lange zusammen durch die Innenstadt gelaufen sind. „Dass Carlos sich nach einem Fußmarsch von insgesamt fünf Kilometern auf seinem Gefährt kurz ausruhen musste, ist selbstverständlich und ich ziehe den Hut vor seiner heutigen Laufleistung“, schreibt er auf Instagram zu einem Bild, das die beiden in einem Restaurant zeigt.

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Carlos und Torben beim Essen nach einer Tour durch San Sebastian. Carlos ist mit seinem Rollator fünf Kilometer durch die Innenstadt gelaufen.

Zurück in Emmerich will als erstes die Niederrhein-Zeitung mehr über ihre Reise wissen, bald folgen andere Medien. Mittlerweile sind die beiden richtige Stars – und wundern sich darüber. „Haben die Leute nix Besseres zu erzählen? Wir haben doch nur eine ganz normale Spazierfahrt gemacht“ fragt Carlos sich immer. „Und dann sagt er zu mir: Egal Torben, wir müssen Erfahrungen sammeln, wir machen jeden Blödsinn mit.“