Camcorder, Kassetten, Vinyl & Co.Warum alte Medien gefragt sind wie seit Jahren nicht
Köln – Die alten Sprüche funktionieren mitunter doch am besten. „Totgesagte leben länger“ zum Beispiel, eine unverwüstliche Binsenweisheit, die sich quasi selbst bestätigt. Oder man sagt es mit den Worten des Musikjournalisten Ingo Scheel: „Alles, was mal populär war, taugt zum Revival.“
Wirklich? Bei analogen Kameras, edlem Vinyl oder Sammlereditionen von Filmklassikern mag die Sache noch einleuchten. Kunstvollere Bilder, schickere Hüllen, Nostalgie. Alles schön und gut. Aber CDs, Camcorder, VHS-Bänder und Musikkassetten? Silberscheiben in schnöden Plastikboxen, bei denen die Halterung schon vom Anschauen aus dem Gehäuse bröselt? Bandsalat, ausgebleichte Bilder und böse Blicke, weil der Film mal wieder nicht zurückgespult wurde? Wer will das ernsthaft wiederhaben?
Lange Auswahlprozedere bei Netflix, Disney+ und Co.
Vielleicht muss man ja ex negativo argumentieren. Wenn alles immer verfügbar ist, hat nichts mehr wirklich einen Wert. Man kennt das vom Familienfilmabend. Netflix, Disney+ und Apple TV halten Hunderttausende von Titeln auf Abruf bereit. Doch allein schon das Auswahlprozedere vergällt einem die Lust und man entschließt sich, doch wieder Skip-Bo zu spielen.
In der Dokumentation „Planet of the Tapes“, die ironischerweise gerade auf Amazon Prime läuft, erzählen Promis wie der Comedian und Filmfan Oliver Kalkofe, welch unschätzbaren Wert Videokassetten anfangs hatten. Ein Haushalt, der mehr als neun oder zehn Filmkonserven vorzuweisen hatte, ging damals schon als Heimkinopalast durch. Also schaute man einzelne Filme wieder und wieder. „I'll be back“ prophezeite der Terminator im Jahr 1984. Auch so ein unverwüstlicher Spruch.
Bald konnte man Kinohits um die Ecke ausleihen, der Boom sorgte dafür, dass auch unsäglicher Schrott, echte Trash-Perlen und ein paar verkannte Meisterwerke in die Regale gespült wurden. Wie Oliver Kalkofe erzählt, umgab die wie Pilze aus dem Boden schießenden Videotheken etwas Verruchtes, also Faszinierendes. „Was da passiert ist, das war weit mehr als nur einen Film gucken, das war eine ganz spezielle Welt, in der man sich auf eine ganz spezielle Weise bewegen musste“.
Videothek als Sehnsuchtsort für Fans von B- und C-Movies
Wer wollte, stieß dort auf „geheime Ecken und Zugänge“, und es war ein Privileg der Mutigen, solche Entdeckungen zu machen. Nicht annähernd zu vergleichen mit einem Streamingdienst und der niederschmetternden Beliebigkeit eines scheinbar grenzenlosen Angebots!
Die kruden, oft von drittklassigen Grafikdesignern zusammengebastelten Hüllen, die meist rein gar nichts mit dem Inhalt zu tun hatten, haben für Liebhaber auch heute noch ihren Reiz. Und so gibt es für VHS-Kassetten, lange Zeit ein Fall für den Plastikmüll, wieder einen Markt. In einschlägigen Facebookgruppen zahlen Sammler dafür mitunter mehr als für DVDs oder Blu-ray-Discs.
Die ersten Videotheken waren Sehnsuchtsorte für alle, die die dort angebotenen B- und C-Movies im Kino aufgrund ihres jugendlichen Alters verpasst hatten. Heute kann man sich mit den schlecht aufgelösten und mit Bildfehlern behafteten Videos in jene mythischen Zeiten zurückversetzen und sich die einstigen Objekte der Begierde in den Schrank stellen. Aus kulturhistorischen Gründen, als Statement oder ganz einfach, weil man jetzt das Geld dazu hat.
Die Camcorder sind zurück: Vom Dachboden zu Tiktok
Dass der Charme der alten Bänder auch auf Jüngere überspringt, belegt ein Besuch beim Videoportal Tiktok. Die Minifilmchen sprechen eine Generation an, die Videotheken nur aus Erzählungen ihrer Eltern oder gar Großeltern kennt und für die DVD-Player schon Technikgeschichte sind. Ein Hit auf Tiktok sind gerade Videos von auf Flohmärkten oder Dachböden gefundenen Camcordern, in denen noch die alten Bänder steckten.
Ein bisschen wie im Horrorfilm-Genre „Found Footage“, deutsch „gefundenes Material“, sorgt es für einen besonderen Kick, sich Privataufnahmen anzuschauen, die nie für die Öffentlichkeit gedacht waren. Selbst wenn darauf am Ende nur unaufgeräumte Zimmer und ein paar nackte Füße zu sehen sind.
Spannend ist offenbar auch die spröde Ästhetik der wackeligen, blassen, von Streifen durchzogenen Bilder. Wer bei Tiktok das Stichwort „VHS“ eingibt, stößt bald auf Anleitungen, wie man seinen Videos einen authentischen „VHS-Look“ verleiht. Dafür gibt es in der digitalen Welt unzählige Fotofilter-Apps.
Manch einer macht sich sogar die Mühe, seine Handyvideos per Adapter auf VHS-Kassetten zu übertragen, um das Ergebnis dann stolz vom Röhrenfernseher abzufilmen und ins Netz zu stellen. Und das in Zeiten, in denen „Ultra HD“ fast schon Standard ist und jeder halbwegs vernünftige Fernseher Bilder im 16:9-Breitbildformat darstellen kann.
Authentizität als Markenzeichen
Insofern muss man sich nicht wundern, wenn bei einem Hip-Hop-Konzert in Köln plötzlich nicht nur Handys, sondern auch DV-Camcorder in die Höhe gereckt werden. Für Alexander de Lukowicz, Head of Creative Services bei „27km“ in Hamburg, hat sich diese Entwicklung schon vor Jahren angekündigt. „Nachdem der analoge Film mehr und mehr vom digitalen abgelöst wurde, haben sich einige Millennials daran gemacht, die Initiative #filmisnotdead ins Leben zu rufen.“
Die Generation zwischen den Babyboomern und der „Generation Z“, geboren um die Jahrtausendwende, drängt inzwischen in die Marketingabteilungen und Kreativagenturen.Insbesondere in der Werbung werde vermehrt auf Mixed Media gesetzt, so de Lukowicz. „4:3-Camcorder wie DV oder VHS bieten den Weg des geringsten Widerstands. Man hat weniger Einstellungsmöglichkeiten als beim Smartphone, man macht das Ding einfach an und filmt los.“ Die vermeintlichen Nachteile – geringe Auflösung, weniger Farbtiefe, keine Autokorrektur – vermitteln etwas, das heute wertvoller ist denn je: Authentizität.
Camcorder-Videos zeigen Nähe
„Der Doku-Hype bei Netflix spielt da auch eine Rolle“, so der Werbeprofi. Neben den sonst üblichen Hochglanzaufnahmen repräsentierten die Camcorder-Videos den Blick der Beteiligten, den unmittelbaren Eindruck, das Dabeisein. „So genannte Porträtfilme, Clips, in deren Mittelpunkt eine Person steht, deren Perspektive der Zuschauer in bestimmten Sequenzen einnimmt, sind im Grunde kleine Mini-Dokus. Und deren Stil spiegelt sich dann wiederum in der Popkultur wider.“
Nachdem der Filmhersteller Kodak praktisch pleite gewesen sei, eröffnete sich nun die Möglichkeit, wieder im 35-Millimeter-Format zu produzieren. „Dadurch war der Look der relevantesten Musikvideos der letzten Dekade vorgezeichnet, wie die von A$AP Rocky, Kendrick Lamar oder YE, der natürlich den Zeitgeist definiert.“ Die überstrapazierten Begriffe „Retro“ oder „Vintage“ will de Lukowicz in diesem Zusammenhang nicht in den Mund nehmen: „Es scheint eher, als wäre das alles nie weg gewesen.“
Eines scheint ganz klar: Es sind nicht zuletzt die Medien, die den Tod eines Mediums beschwören. Video killed the radio star, die CD das Vinyl und die Musikkassette, die Digitalfotografie das Polaroid-Foto, das Handy die Kompaktkamera. Die Medien sind es, die zunächst einen Trend registrieren, ihn weiter anheizen, um schließlich die Wiedergeburt zu verkünden.
„Der erste Record Store Day 2008 war noch eine ein wenig verzweifelte Rettungsaktion, spätestens Anfang der 10er Jahre zeigte es Wirkung, da hieß es auf einmal: „Das Vinyl ist wieder da!„“, erklärt Ingo Scheel, der für Musikzeitschriften wie „Visions“, „Musikexpress“ oder das Vinyl-Magazin „Mint“ schreibt. Berichterstattung und öffentliches Interesse hätten sich gegenseitig immer weiter hochgeschaukelt, bis sich die analogen, für Staub und Kratzer anfälligen Tonträger wieder etabliert hätten. „Dahinter stehen natürlich auch die großen Musiklabels, die Majors, die eine Chance sahen, ihre Backkataloge, die sie schon unzählige Male auf CD ausgewertet hatten, noch mal unters Volk zu bringen.“
Gentrifizierung des Vinyl
Es begann mit Punk und Hip-Hop, wo man zunächst ein Zeichen gegen den Mainstream setzen wollte. Was folgte, war die, wie Scheel es nennt, „Gentrifizierung des Formats“, vergleichbar mit abgewirtschafteten Stadtarealen, die, erst von Künstlern besiedelt und dann plötzlich wieder hip, eine zahlungskräftige Klientel anlocken.
Die kultigen Scheiben verschwinden von den Flohmärkten und erscheinen als limitierte, bunt eingefärbte Sonderausgaben, die schon nach Stunden ausverkauft sind. Gerade das nicht für jeden Erreichbare, etwas Altbackene und Umständliche macht den Reiz aus. „Die beiden Dinge, die mich zum Vinyl brachten“, erklärt der stolze Besitzer einer Stereoanlage in einem Cartoon des „New Yorker“, „sind die hohen Kosten und die Unbequemlichkeit.“
Schallplatten sind sexier als CDs
Musikjournalist Scheel hat nach eigener Auskunft nie aufgehört, Schallplatten zu horten und zu hören. „Wenn man die Leute fragt, warum sie auf Vinyl stehen, führen sie oft Dinge an wie den angeblich wärmeren Klang, das größere Cover und so weiter. Aber wenn ich von mir ausgehe, dann ist das eher eine emotionale Sache. Es ist einfach sexier, eine schwarze Scheibe aus der Hülle zu ziehen als eine CD aus einer Plastikbox zu knibbeln.“
Und doch wird auch der zuletzt so viel geschmähten Compact Disc Comeback-Potenzial nachgesagt. In den USA wurden 2021 erstmals wieder mehr Musik-CDs verkauft, wie die Recording Industry Association mitteilt. 46,6 Millionen, ein Witz im Vergleich zu den Milliarden-Verkäufen um die Jahrtausendwende, aber doch eine beachtliche Steigerung gegenüber den 31,6 Millionen vom Vorjahr.
„Wie man das unausweichliche Revival der CD überlebt“, titelte das Online-Technikmagazin „Engadget“ kürzlich mit mildem Sarkasmus. Und gab der Streaming-Generation gleich den Rat mit auf den Weg, sich im elterlichen Haus umzusehen. Irgendwo finde sich da garantiert noch ein Abspielgerät. Zur Not könne man die Silberlinge sogar auf der Playstation oder Xbox abspielen.
Musikkassetten : Aus Liebe zum Bandsalat
Das vor fast vier Dekaden, im Oktober 1984, in Japan gestartete Format hat einige Vorteile zu bieten. Es kann, sofern sich die Produzenten die Mühe gemacht haben, ausgezeichnete Audioqualität beinhalten, ist platzsparend und robust.
Wie Vinyl erinnert es daran, dass Alben nicht nur aus zufällig zusammengewürfelten Songs bestehen, sondern sorgfältig konzipierte Gesamtkunstwerke sind. Und wenn Live-Konzerte heute der einzige Weg für Musiker sind, Geld zu verdienen, dann sind CDs und Musikkassetten die billigste und praktikabelste Vertriebsart für unabhängige Nachwuchsbands.
Die Alternative: Bei Spotify & Co. in der schieren Masse unterzugehen und dafür mit ein paar Cent abgespeist zu werden. Nicht von ungefähr finden sich an den Merch-Ständen auf Punkrock-, Hardcore- und Metal-Konzerten neben T-Shirts oft selbst produzierte Tonträger. Und neben den CDs immer öfter: Audiokassetten. Die seien, so Musikjournalist Scheel, „emotional extrem aufgeladen“.
Ein paar Mixtapes oder „???“-Hörspiele dürften noch in den meisten Haushalten mit Ü40-Angehörigen schlummern. Wer in seiner Jugend einen der ersten „körpergebundenen Kleinanlagen für hochwertige Wiedergabe von Hörereignissen“, wie es im Patent von 1977 heißt, sein Eigen nannte, kann die Liebe zum Bandsalat nachvollziehen. „Der Walkman ist das Smartphone der Achtzigerjahre: teuer, allgegenwärtig und Gegenstand vieler Debatten“, schreibt Tobi Müller in seinem lesenswerten Buch „Play Pause Repeat“.
Bewegung statt Entspannung
Mit dem Walkman sei die Musik im Zeitalter der Leistungssteigerung angekommen. Statt Entspannung und Kontemplation standen nun Fortschritt und Bewegung im Vordergrund. Der Träger zeigte sich selbst als „eigensinniger, autonomer, individueller“. Es ist nur auf den ersten Blick ironisch, dass vor allem der musikalische Underground die Audiokassette wiederentdeckt.
Was vorher Ausdruck der aufstrebenden Leistungsgesellschaft war, kehrt sich nun ins Gegenteil. Jedes Medium hat seine Zeit. Danach wartet es darauf, wiederentdeckt, mit neuen Bedeutungen aufgeladen und zum Kultobjekt nachfolgender Generationen zu werden. Das ist das Tröstliche im ständigen Wandel: Nichts ist jemals unwiederbringlich vorbei.