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Chef der Buchinger Fastenklinik„Männer geben heute besser auf sich acht als früher"

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Leonard Wilhelmi (l.) übernimmt von seinem Vater Raimund die Leitung der Fasten-Klinik.

  1. Leonard Wilhelmi hat die Leitung von Deutschlands bekanntester Fastenklinik übernommen.
  2. Mit Maria Dohmen und Carsten Fiedler spricht er über die intensive Forschung rund ums Fasten, neue Erkenntnisse, Trends und das Unternehmen „Buchinger Wilhelmi".

Herr Wilhelmi, Fasten ist zum Megathema geworden. Fasten, um abzunehmen. Fasten, um die Gesundheit positiv zu beeinflussen. Fasten als Pause vom Konsum. Aber sicher auch als Teil eines zeitgeistigen Lifestyles. Welcher Aspekt ist für Sie der Wichtigste?

Das stimmt, diese Profile haben sich in letzter Zeit nochmal schärfer ausdifferenziert. Für uns sind alle Punkte von Bedeutung, denn unsere Kunden suchen bei uns auch Hilfe für genau diese individuellen Bedürfnisse. Speziell das Thema digital Detox hat enorm zugelegt.

Das heißt, Menschen möchten zumindest für eine bestimmte Zeit auf digitale Geräte und Medienkonsum verzichten. Was hat das mit Heilfasten nach Buchinger zu tun?

Gäste, die früher das erste Mal zu uns kamen, hatten Angst vor Hunger. Sie konnten sich noch nicht vorstellen, dass sich beim begleiteten Fasten keine Schwierigkeiten auftun, dass sich sogar ein Glücksgefühl einstellt, eine ganz neue Selbstwahrnehmung. Heute ist die Angst vor Hunger der Angst vor dem Off gewichen. Keinen Internetzugang zu haben setzt viele Menschen enorm unter Stress.

Heißt das, bei Ihnen sind die Gäste komplett offline?

Nein, aber unsere Vorstellung – und auch Vorgabe – ist es, während des Fastens außerhalb des Privatraums, also des eigenen Zimmers, keine Medien zu nutzen. Die Umstellung von der gewohnt dauernden Verbindung auf null ist eine Herausforderung – kein Zweifel. Wenn sich die Menschen darauf einlassen, hat das aber umgekehrt auch einen besonders intensiven Effekt. Zum Heilfasten gehört untrennbar dazu, dass man sich seiner inneren Seite zuwendet, seelische Aspekte werden berücksichtigt, Meditationen angeleitet. Da würde digitale Dauerbeschallung zu einem echten Störfaktor.

Männer werden immer mehr vom Schönheits- und Gesundheitsmarkt umworben. Fastet der neue Mann?

Ich faste zwei Mal im Jahr. Das ist natürlich familiär bei uns tief verankert. Aber ja, auch bei uns in der Klinik steigt der Anteil männlicher Gäste. Initiiert wird ein Besuch oft von den Frauen, aber nach dem ersten Erfolg kommen auch die Männer wieder. Was uns aber besonders auffällt ist, dass immer mehr Männer aus sehr leistungsorientierten Berufen kommen. Vor allem mit dem Ziel, zur Ruhe zu kommen und die Kräfte wieder aufzubauen. Da hat sich in der Selbstwahrnehmung etwas getan. Während man sich früher beansprucht hat bis zum buchstäblichen Umfallen, bis die Gesundheit zur Notbremse wurde, ist die Sensibilität heute dafür mehr da, auf sich selbst acht zu geben.

Sie haben die Klinik jüngst von Ihrem Vater übernommen, der sie fast 40 Jahre geführt hat, also länger, als Sie überhaupt auf der Welt sind. Raimund Wilhelmi hat die Anlage zu einer renommierten Fastenklinik mit Glamour-Faktor und wissenschaftlich fundierter medizinischer Ausrichtung umgemodelt. Die Digitalisierung bietet Ihnen ein weites Entwicklungsfeld. Sind Telemedizin oder Youtube-Teachings für Sie ein Zukunftsmodell?

Die Digitalisierung bietet uns viele Vorteile, besonders in der Administration. Die Kuren bleiben davon aber erstmal unbeeinflusst. Ich schließe nicht kategorisch aus, dass die Marke irgendwann auch über den jetzigen Wirkungsort hinaus weiterentwickelt wird. Aber unser Anspruch liegt explizit in der persönlichen Betreuung. Die persönliche und individuelle Zuwendung von gut ausgebildetem Fachpersonal wird in der digitalisierten Gesellschaft noch an Wert gewinnen.

Apropos Personal: Medizinische und Pflegekräfte zu finden und zu halten ist für öffentliche Kliniken eine der größten Herausforderungen, zumal in der Provinz. Überlingen ist auch nicht gerade eine Metropole. Müssen Sie sich da besonders präsentieren?

Das tun wir schon immer und das erwartet auch unsere internationale Klientel. Und ganz klar: Das ist auch für uns eine Herausforderung. Mehrsprachigkeit ist eine Voraussetzung, um bei uns zu arbeiten. Ehrlicherweise ist es nicht ganz fair, unsere Klinik mit öffentlichen Häusern zu vergleichen. Wir bieten entsprechende Benefits und haben da andere Möglichkeiten. Sehr gutes Essen, Parkplätze für die Mitarbeiter. Was viele Pflegende schätzen, ist der enge Bezug zum Patienten. Ein deutlicher Vorteil im Vergleich zu anderen Häusern in Österreich oder in Spanien ist aber – auch für das Personal – vor allem unsere hohe Wissenschaftlichkeit. Wir haben gemeinsam mit der Charité in Berlin die größte Fastenstudie weltweit durchgeführt, und zwar nicht von Konzernen finanziert, sondern von uns, einem kleinen Mittelständler.

Fasten ist auch durch die intensivierte Forschung auf dem Gebiet so populär geworden. Das schafft sicher medialen Mehrwert, aber schafft das auch monetären Mehrwert – in dem Sinne, dass auch Krankenkassen eine Behandlung übernehmen würden?

Betrachtet man die gesellschaftliche Entwicklung, dann müssen die Krankenkassen in Sachen Fasten noch erwachen. Denn Ernährungsmedizin ist erfolgreich sowohl präventiv als auch in der konkreten Behandlung von entzündlichen Parametern und bei ganz gängigen Diagnosen wie Diabetes Typ 2. Da gibt es enormes Potenzial. Vor allem aber in der Prävention wird das in Zukunft interessant.

Wie kam es dazu, dass Sie als privates Unternehmen die Wissenschaft gesucht haben?

Wir sind jetzt in der vierten Generation. Mein Urgroßvater Otto Buchinger hat diese Form des Fastens an sich selbst erprobt und 1920 eine erste Heilfasten-Klinik gegründet und die Methode damit auch behauptet. Meine Großeltern in der Nachkriegsgeneration eröffneten die Klinik am Bodensee, die dann von meinen Eltern konzeptionell und qualitativ enorm weiterentwickelt wurde. Meine Mutter hat dort als Ärztin die wissenschaftlichen Betrachtungen verstärkt in den Vordergrund gestellt.

Sie hat die Verbindung zur Charité hergestellt?

Wir haben etwa 6000 Gäste im Jahr und wissen ziemlich gut, was in unterschiedlichen Krankheitsbildern bei verschiedenen Diagnosen und Aufenthaltsdauern passiert. Das wollten wir alles noch viel genauer wissen, schließlich waren wir – ohne das allerdings damals selbst so zu sehen – das größte Fastenlabor der Welt, während andere Probleme hatten, eine Studiengruppe von zehn Probanden zusammenzubekommen.

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Unsere Spezialisierung auf lange Fastenperioden ist für die Wissenschaft sehr wertvoll. Auch die Mehrdimensionalität, dass nicht nur das Körperliche, sondern auch seelische Aspekte in den Blick genommen werden. Schließlich die langsame Wiederernähren nach der Fastenzeit – das haben wir alles in die Forschung eingebracht und Anfang des Jahres die schon genannte große Fastenstudie veröffentlicht.

Wie wollen Sie nun den Schwerpunkt setzen?

Ich führe diese Arbeit in erster Linie fort. Vor fünf Jahren haben wir begonnen uns zu fragen, was passiert mit dem Blutdruck, dem Zucker, dem Gewicht. Jetzt gehen wir tiefer rein, wollen genau wissen: Wie verhält sich das Mikrobiom, also die Mikrobengemeinschaft im Darm im Fasten? Was passiert mit den Muskeln?

Wie passt das denn in die Heilfasten-Systematik?

Das ist sehr spannend. Wir kooperieren mit dem CNRS (Centre National de la Recherche Scientifique) in Straßburg. Bei einem Marsflug ergibt sich eine wesentlich längeren Aufenthaltsdauer in der Schwerelosigkeit. Es ist eine wichtige Frage, wie man den Muskelabbau in der Raumfahrt in den Griff bekommt. Auf der anderen Seite wissen wir: Ein Polarbär fastet und verliert kaum Muskelmasse. Vielleicht können wir die Astronauten fastend ins All schicken. Hört sich erstmal nur kurios an. Aber gerade haben wir eine Studie mit 15 kerngesunden jungen Männern durchgeführt, wo wir genau betrachtet haben, was mit den Muskeln beim Fasten passiert. Letztlich ist aber alles dem Ziel gewidmet, Patienten noch genauer zu behandeln.

Den meisten Allerweltsfastenden geht es darum, Gewicht zu verlieren. Das hat Intervallfasten eine enorme Popularität verschafft. Nervt Sie das nicht?

Ja, der Gedanke liegt schon nahe. Aber wir können uns ja nur darüber freuen, dass das Thema so eine hohe Aufmerksamkeit bekommen hat. Jeder der merkt, wie positiv sich Fasten auf Körper und Geist auswirkt, profitiert. Auch wir in der Klinik empfehlen das als mögliche Ernährungsstrategie nach der Kur. Gerade wenn man mal entgleist, also zuhause wirklich über die Stränge geschlagen hat, ist es gut, zu warten, bis sich wieder echter Hunger einstellt. Das ist ohnehin das absolut Positive am Intervallfasten, dass man auch bei dieser Methode den echten Hunger wieder spürt. Unser Ansatz ist natürlich viel weitreichender und integrativer durch die vielen Dimensionen, die Ernsthaftigkeit, Intensität und die spirituelle Bereicherung. Aber mit Intervallfasten kommt man gut durch den Alltag.

Das Gespräch führten Maria Dohmen und Carsten Fiedler