In Sachen LiebeWie gehe ich mit meinen Sehnsüchten in Coronazeiten um?
- Was gibt es Schöneres und Wichtigeres im Leben als die Liebe? Wie wir sie finden, pflegen und sie uns erhalten; was geschieht, wenn sie vergeht oder wir sie verlieren – darum geht es in unserer PLUS-Kolumne „In Sachen Liebe“.
- Im wöchentlichen Wechsel beantworten die erfahrenen Psychologen Damaris Sander und Peter Wehr sowie Urologe Volker Wittkamp und Schauspielerin Annette Frier Ihre Fragen rund ums Liebesleben, Sex, Kindererziehung und alles, was Paaren begegnet.
- In dieser Folge stellt sich Peter Wehr der Frage, wie auch in Coronazeiten Beziehungen emotional gepflegt werden können.
Köln – Mit fast 70 habe ich mich in einen Mann verliebt, mit dem mich viele gemeinsame Interessen verbinden. Wir leben zwar in unterschiedlichen Ländern, haben uns aber trotzdem oft gesehen und so ein sehr schönes Jahr erlebt. Dann kam Corona. Seit drei Monaten haben wir nur noch Videokontakt. Dadurch sind die Gespräche oberflächlich geworden, und ich vermisse die Emotionalität. Wenn ich sie einfordere, fühlt sich mein Freund unter Druck gesetzt. Er findet, ich sei zu anspruchsvoll; er sei zufrieden, so wie es ist. Ich habe eine 35-jährige Ehe hinter mir und weiß, welche fatalen Folgen es haben kann, wenn ein Partner unfähig ist, sich gefühlsmäßig zu öffnen.
Ein beglückendes Jahr mit ihrem neuen Freund liegt hinter Ihnen. Wäre nur nicht die Corona-Krise gekommen. Und die Beziehung nicht in eine Schieflage geraten: durch die unterschiedliche Art und Weise des Erlebens und des Umgehens miteinander während der Kontaktsperre.
Im letzten Jahr haben Sie sich häufig gesehen. Die geballte Emotionalität der Verliebtheit haben Sie im Kontakt, im körperlichen Kontakt, miteinander geteilt. Vielleicht waren Ihnen zu jenem Zeitpunkt die Worte noch nicht so wichtig. Jetzt ist das anders. Mit den Grenzschließungen haben sich Unterschiede zwischen Ihnen und Ihrem Freund gezeigt.
Die richtigen Worte für Liebesbezeugungen zu finden, ist nicht einfach
Während Sie Worte brauchen und mögen, um in dieser langen Zeit der körperlichen Trennung Emotionalität und Tiefe vermitteln und erfahren zu können, scheint Ihr Freund längst im Hafen der Liebe zu ruhen. Vielleicht ist er aber auch, einfach ausgedrückt, kein Mensch der „großen Worte“. Vielleicht braucht er mehr als Sie dieses ganzheitliche, körperliche Wahrnehmen und Erleben, um die richtigen Worte für Liebesbezeugungen, für Emotionalität überhaupt finden zu können.
Und durch Ihren Wunsch nach ebensolchen Worten fühlt er sich nun „unter Druck“ gesetzt, hilflos gar. Nicht, weil er nichts fühlt, sondern weil er keinen Ausdruck dafür findet. Möglicherweise wäre das für Sie weniger frustrierend, hätten Sie nicht eine Ehe hinter sich, in der Ihr Mann sich auf der Gefühlsebene nicht öffnen konnte. Dennoch hat diese lange Beziehung Sie nun mal geprägt. Und vor diesem Hintergrund befürchten Sie verständlicherweise, erneut in eine ähnlich geartete Verbindung zu geraten. Einen Schlussstrich zu ziehen scheint Ihnen schwergefallen zu sein. Diesen Wesenszug sollten Sie unbedingt im Auge behalten.
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Sehnsüchte und Wünsche aussprechen, Reaktionen wahrnehmen
Sie scheinen Ihre Beziehung wie eine Pflanze oder wie einen Baum zu betrachten, den Sie pflegen möchten, damit er gedeihen und irgendwann Früchte tragen kann. Ein Baum braucht Zeit, bis er die ersten Früchte trägt. Und in Dürrezeiten benötigt er besonders viel Pflege. Sie können das mit liebevollen Worten tun. Laden Sie Ihren Freund ein, sich vorzustellen, wie es sein wird, wenn die Grenzen wieder geöffnet sind und wie Sie Ihre Zeit dann miteinander verbringen möchten.
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Sprechen Sie über sich, über Ihre Sehnsüchte und Wünsche, über das, was Sie gerade bewegt. Nehmen Sie wahr, wie er darauf reagiert, vor allem, wenn Sie dabei nachsichtig nicht das Gleiche einfordern. Warten Sie ab, wie der kleine Baum sich entwickelt, wenn Sie sich wiedersehen können.
Sollten Sie allerdings zukünftig feststellen, dass Ihr Partner es sich im Hafen der Liebe doch allzu bequem macht und sich so gar nicht um das Bäumchen kümmert, wenn Sie vorwiegend unzufrieden werden, dann sollten Sie sich Ihren Wesenszug vergegenwärtigen und auch einen Schlussstrich in Erwägung ziehen.