Reiseleiter behauptetHässlich – diese deutschen Touri-Ziele können Sie knicken
Der Kölner Dom, die Zugspitze in Bayern, das Brandenburger Tor in Berlin: Sie zählen zu den berühmtesten Sehenswürdigkeiten in Deutschland. Es sind Orte, an die jedes Jahr Millionen Touristen reisen – weil jeder, der unser Land besucht, die bekanntesten Wahrzeichen einmal mit eigenen Augen gesehen haben möchte.
Lohnt sich nicht, findet Dietmar Bittrich. Als Begleiter eines Busreiseunternehmens fährt er seit Jahren mit Touristen durch Deutschland. Für ihn sind viele beliebte Reiseziele keine Reise wert. Zu oft habe er deprimierte Touristen aufmuntern und ihnen Trost spenden müssen, weil die besuchten Wahrzeichen gar nicht so beeindruckend waren, wie sie es erwartet hatten. Sei es, weil sie in der Vorstellung viel größer und prächtiger waren als in echt oder sie auf Postkarten nur im schönsten Sonnenschein zu sehen waren – und natürlich ganze ohne andere Touristen davor.
Seine Erfahrungen zwischen „Botox Island“ Sylt und „Touristenfalle“ Münchner Hofbräuhaus hat Bittrich nun dazu veranlasst, ein Buch zu veröffentlichen. In „99 deutsche Orte, die man knicken kann“ beschreibt der Autor mit Witz und Bosheit, warum die berühmtesten Highlights aus seiner Sicht in Wahrheit scheußlich sind. Herausgekommen ist eine grandiose Satire auf den Muss-man-gesehen-haben-Wahn. (kkl)
Sechs Auszüge haben wir hier für Sie zusammengestellt:
Berlins Brandenburger Tor
Doch, ja, das ist es! Das berühmte Brandenburger Tor, vor dem die Fußballnationalmannschaft feiert, wenn sie ein wichtiges Spiel verloren hat. Das Tor, vor dem US-Präsident Ronald Reagan einst öffentlich die brennenden Fragen stellte: „Was ist das, und wo sind wir?“ Und es ist das Tor, auf dessen anderer Seite, im Schatten der Säulen, Erich Honecker den russischen Bruder Michail Gorbatschow zu küssen versuchte.
Bis 1990 markierte das Brandenburger Tor die Grenze zwischen Ost-Berlin und West-Berlin. Im öden Brachland wirkte es damals größer. Inzwischen, von Neubauten umstellt, macht es einen geduckten Eindruck. Die meisten Besucher finden es unspektakulär, machen ein säuerliches Selfie und gehen weiter.
Hamburgs Speicherstadt
Nirgends ist der Kokainverbrauch pro Quadratmeter Nutzfläche höher als hier. Nirgends auch kommt es zu so vielen Verstauchungen, Bänderrissen, Knöchelbrüchen auf so kurzen Wegen. […] Dank einer Spende von Bikershops, Kofferläden, Schuhhändlern und Orthopäden konnte das Kopfsteinpflaster echt altertümelnd verlegt werden. Das versorgt mehrere Branchen mit Kundschaft. Besonders die hohe Dichte an Unfallchirurgen und Orthopäden im Umkreis fällt auf. Sie tragen dringend zur nötigen Belebung des toten Stadtteils bei. Eine Zeit lang haben orientalische Händler noch ihre handgeknüpften Teppiche hier gelagert, bis sie mitbekamen, dass niemand an ihrem Fransenplunder interessiert war.
Statt ihrer ziehen Werber, Designer, Modehändler ein. Für deren Bedürfnisse sind die Speicher saniert und mit Brandschutz und Fluchtwegen ausgestattet worden. Noch wichtiger als Brandschutz ist den Kreativen jedoch der Nachschub an Brennstoff. […] Die Speicherstadt ist für den Stoff der wichtigste Umschlagplatz. „Konferenzrunden und Diskussionsrunden wären ohne eine Nase gar nicht auszuhalten“, erklärt ein Kontakter. […] Koks stillt überdies den Hunger. Das ist ein wichtiger Nebeneffekt, denn zu essen gibt es in der Speicherstadt wenig oder gar nichts.
Leipzig
Irgendwann möchte Leipzig das bessere Berlin sein. Auf dem Weg dahin hat die Stadt im vergangenen Jahr einen wichtigen Schritt gemacht. […] In Berlin wurden im vergangenen Jahr täglich 54 Tonnen Kot von Hunden auf Bürgersteigen abgelegt. In Leipzig waren es täglich 32 Tonnen. Klingt weniger, ist aber mehr. Denn bezogen auf die Einwohnerzahl und auf die Fläche ergibt sich in Leipzig eine wesentlich höhere Dichte. Das wäre also schon mal geschafft. Der erste Welterbe-Eintrag ist sicher. Auch in Arbeitslosigkeit und Pro-Kopf-Verschuldung zieht Hypezig gerade an Berlin vorbei.
Wissenswertes
Die Leipziger Buchmesse hätte der Frankfurter Buchmesse beinahe mal den Rang abgelaufen.
Die Olympischen Sommerspiele 2012 hätten beinahe in Leipzig stattgefunden.
Leipzig wäre beinahe mal die Hauptstadt von Sachsen geworden.
Mittelrheintal
Das mittlere Rheintal zählt zu den schönsten Landschaften Deutschlands. Hier stehen die verfallensten Ruinen, donnern die lautesten Güterzüge, sinken die meisten Schiffe. Und nur hier gibt es auf der längsten Strecke an einem Fluss, nämlich auf hundert Kilometern zwischen Mainz und Koblenz, keine einzige Brücke. Wer das Wasser überqueren will, muss schwimmen oder für eine Fähre anstehen. Das möchten nur wenige, und deshalb gibt es wenig Kontakt zwischen den Bewohnern der linken (rheinland-pfälzischen) und der rechten (hessischen) Rheinseite.
Die am linken Ufer gelten als mental benachteiligt. Das versteht jeder, der etwas unternimmt, was im Branchenjargon Flussfahrt des Grauens heißt, also eine Dampferfahrt. Von der Reling aus ist sofort klar, was die Leute auf der linken Seite am Entspannen hindert: der Güterverkehr auf der Schiene. […] Kleiner Trost: Die Leute am rechten Ufer müssen auch ein paar Züge verkraften, vorwiegend jedoch schallgedämpfte Personenzüge, während von drüben pausenlos Heavy Metal geliefert wird, dank gusseiserner Klotzbremsen und klangverstärkender Betonschwellen.
Kölner Dom
Das Innere ist […] düster und deprimierend. Die bedrückt herumschlurfenden Besucher absolvieren ihre Pflichtrunde und streben dann so rasch wie möglich ins Freie.
Eine Studie hat kürzlich die frommen Gefühle und Gedanken der Dombesucher erforscht. Die Frage lautete: Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie sich in diesem heiligen Gebäude aufhalten? Die Antworten nach Häufigkeit: der Domschatz und ob man da „irgendwie rankommen“ könne, die alten Foltermethoden und wo in der Nähe ein entsprechender Club sei, „ob ich noch auf den Turm steigen muss“, wo die Klos seien, und „wie ich an den kostümierten Herren mit den Klingelbeuteln vorbeikomme“. Der spirituelle Gehalt dieser Gedanken ist nicht auf Anhieb erkennbar.
Zugspitze
Von unten, von Garmisch aus, sieht man die Zugspitze nicht, allenfalls vom Ortsrand aus. Das ist ganz gut so, denn sie ist weder schön noch monumental noch majestätisch. […] Allerdings gibt es im Städtchen auch nicht viel zu sehen. Ein paar bemalte Häuser, ein paar Brunnen. Gelegentlich Kühe, die ihre Glocken im Echo der Hauswände schwingen. […]
Bayern hat diesen Fehlgriff als höchsten Berg Deutschlands zum Staat beigetragen. […] Der Pfad zum Gipfelkreuz ist Japanerinnen in Stöckelschuhen vorbehalten sowie Leuten, die über Japanerinnen in Stöckelschuhen nur den Kopf schütteln können. […] Übrigens kann man von hier oben ungehindert nach Österreich hinüberblicken – wo es offensichtlich viel höhere Berge gibt.
Informationen zum Buch
Dietmar Bittrich: „99 deutsche Orte, die man knicken kann“, erschienen im Rowohlt Verlag, 192 Seiten, 9,99 Euro.
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