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Alleinerziehende in der Corona-Krise„Egal, wie es mir geht, ich muss immer da sein“

Lesezeit 4 Minuten

Ob Katja Soldins Sohn mit Name und Foto in die Zeitung will, soll er später selbst entscheiden. Solange trägt er Kappe.

Köln – Katja Soldin und Alina M. haben auf den ersten Blick wenig gemeinsam. Katja Soldin wohnt in Köln-Widdersdorf, weißes Mehrfamilienhaus, akkurat geschnittene Buchenhecke und ein Trampolin für ihren Sohn auf dem Rasen. Seit einem Jahr arbeitet die Finanzexpertin im Home Office, ihr Sohn ist fünf und geht in die Notbetreuung seines Kindergartens. „Uns geht es vergleichsweise gut“, sagt sie. Etwa zehn Kilometer weiter nördlich wohnt Alina M. im Stadtteil Chorweiler, zwei Zimmer für drei Personen, ein kleiner Balkon, ihren Mini-Job als Haushaltshilfe hat sie gleich zu Beginn der Corona-Krise verloren. So unterschiedlich die Frauen sind, sie teilen ihre größte Angst: sich mit Corona infizieren – dann könnten sie sich nicht mehr um ihre Kinder kümmern. Beide sind alleinerziehend.

„Ich kann es mir nicht erlauben, krank zu sein“, sagt Katja Soldin auf der kleinen Terrasse vor ihrer Erdgeschosswohnung. „Meine Kinder brauchen mich ständig“, sagt auch Alina M. im Video-Chat. „Egal, wie es mir selbst geht, ich muss immer da sein.“

Alleinerziehende haben immer ein Netzwerk – in der Corona-Krise brach es zusammen

Und das seit über einem Jahr. Mit Beginn der Corona-Pandemie brachen von heute auf morgen die institutionelle und private Kinderbetreuung zusammen. Wer alleine ein Kind großzieht, hat eigentlich immer ein Netzwerk aus Familie und Freunden, das mithilft. Alina M. hat Nachbarinnen und Freundinnen, die auch alleine mit ihren Kindern sind. Sie unterstützen sich in normalen Zeiten gegenseitig. Ihre Familie lebt nicht in Köln, sie ist erst vor sechs Jahren mit ihrem Ex-Mann aus Rumänien nach Deutschland gekommen. Bei Katja Soldin ist ihr Vater das einzige Familienmitglied in der Nähe. Er ist über 70 und Risikopatient, kann seinen Enkel monatelang nicht sehen. Mittlerweile ist er geimpft.

Alle Eltern sind seit über einem Jahr im Ausnahmezustand. Lernen, arbeiten, Sport treiben – das Leben der Kinder und Erwachsenen findet hauptsächlich in den eigenen vier Wänden statt. Doch für Katja Soldin und Alina M. heißt es eben auch: Sie sind allein, mit der Verantwortung und den Sorgen. „Mir sagen Leute ganz oft: Das könnte ich nicht“, erzählt Katja Soldin und macht dann jedes Mal ein imaginäres Kreuzchen im Alleinerziehenden-Bullshit-Bingo. Mütter müssen können, es gibt für sie keine Alternative. Rund 2,2 Millionen von ihnen lebten laut Statistischem Bundesamt 2019 in Deutschland alleine mit ihren Kindern. Erst nach sechs Wochen wurde im ersten Lockdown die Kita-Notbetreuung auch für Alleinerziehende geöffnet. Dabei seien sie doch schon per se systemrelevant, sagt Katja Soldin. Sie betreuen schließlich Kinder, die zukünftigen Arbeitskräfte unseres Landes.

Alinas M.'s Sohn ist in Quarantäne und hat ADHS

Alina M. ist mit ihren beiden Kindern Alexandro (9) und Andrea (11) in Quarantäne, als sie das Interview gibt. Alexandro hatte beim Lollitest in der Notbetreuung ein positives Testergebnis. Ihr Sohn geht auf eine Förderschule, er hat ADHS, sagt Alina M., und lächelt vor einer blau-weiß-gemusterten Tapete tapfer in ihre Handykamera. Heißt: Alexandro kann sich schlecht konzentrieren und ist hyperaktiv.

Wie gut Familien durch die Krise kommen, hängt auch von der Wohnsituation ab. Alina M. und ihre beiden Kinder leben in einer kleinen Wohnung in Chorweiler.

Er darf jetzt Fußball in der Wohnung spielen und klettern, normalerweise geht Alina M. seit Beginn der Pandemie jeden Tag mit ihm in den Park, damit er sich austoben kann. „Die anderen Mütter sitzen am Spielplatz. Ich muss immer dem Ball hinterher rennen“, erzählt sie und lacht dabei verlegen. Nachdem sie vor Gericht das alleinige Sorgerecht erstritten hat, hat sie zu ihrem Ex-Mann keinen Kontakt mehr. Er war gewalttätig und soll nicht wissen, wo sie wohnt. Deshalb steht in dieser Geschichte nicht ihr Nachname und die Namen der Kinder sind verändert.

Auch Katja Soldin hat zum Vater ihres Kindes keinen Kontakt mehr. Sie trennen sich in der Schwangerschaft, Katja Soldin gibt nach 13 Jahren in Frankfurt das gemeinsame Leben dort auf und zieht zurück nach Köln. Man sieht ihr die Schwangerschaft bereits an, deshalb will ihr trotz eines sehr guten Gehalts niemand eine Wohnung vermieten. „Da wurde ich das erste Mal in meinem Leben diskriminiert. Die Vermieter wollten mich nicht, weil ich als Alleinerziehende so eine schlechte Zukunftsperspektive habe.“

Mit der Krise steigt das ohnehin hohe Armutsrisiko

Alleinerziehende arbeiten überwiegend in Teilzeit und haben ein drei Mal höheres Risiko arm zu sein oder zu werden. Mit der Zahl der Kinder steigt das Armutsrisiko statistisch gesehen sprunghaft an. „Wo Eltern arm sind, sind Kinder arm“, sagt Katja Soldin, die sich auch im Verband für Alleinerziehende Mütter und Väter NRW engagiert. Das Armutsrisiko verschärft sich in der Corona-Krise durch Kurzarbeit und Betreuungsprobleme zusätzlich. Jeder weitere genommene Kinderkrankentag reduziert das knapp kalkulierte Haushaltsbudget für Miete, Lebensmittel und Kinderkleidung.

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Aber wie so oft dieser Tage gibt es auch Hoffnung: Katja Soldin ist wegen einer Vorerkrankung bereits das erste Mal geimpft. Außerdem geht sie bald mit ihrem Sohn auf Mutter-Kind-Kur, um sich zumindest ein bisschen von der Belastung der letzten Monate zu erholen. Und Alina M.? Sie hofft auf ein Ende der Quarantäne und auf den Tag, an dem man in Köln keine Masken mehr sieht, sagt sie.