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NRW-Babyboom im März 2021Was den Kölner Joscha zum „Corona-Lockerungs-Baby“ macht

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Joscha mit seiner Mutter Nora Stiegemeyer. 

Köln – Joscha ist etwas ganz Besonderes – nicht nur für seine Eltern Nora Stiegemeyer und Albert Pauls. Sondern auch für die Statistik. Denn Joscha ist am 20. März 2021 in Köln geboren und zählt damit zu den 765 Kindern, die im März 2021 in NRW mehr geboren wurden als noch im März 2020. Joscha ist also ein Säugling über dem Durchschnitt. Gezeugt, nachdem der Frühjahrslockdown 2020 gelockert wurde. Manche sagen auch: Ein Lockerungs-Baby.

Deutschlandweit hatte die Bundesrepublik im März 2021 die höchste Geburtenzahl seit mehr als 20 Jahren zu verzeichnen. Im Vergleich zum März 2020 stieg die Geburtenzahl um zehn Prozent. In Nordrhein-Westfalen lag die Rate der Neugeborenen laut Statistischem Landesamt NRW im März 2021 immerhin um sechs Prozent über der vom März 2020.

Für seine Eltern war Joscha einfach ein Wunschkind, geplant, ganz unabhängig von der Pandemie und irgendwelchen Lockdowns oder Zurücknahme derselben. Stiegemeyer sagt: „Ich kann nicht konkret sagen, ob Corona eine Rolle gespielt hat. Das war uns nicht wichtig.“ Dennoch: Der Lockdown bescherte dem Paar durch Homoffice zumindest mehr Zeit füreinander, das sagt auch Steigemeyer.

Zeit, um über Kinderwunsch nachzudenken

Zeit zum Reden, die zumindest laut Martin Bujard, stellvertretender Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, viele Paare auch genutzt haben, um über den Kinderwunsch nachzudenken. Durch die Kontaktbeschränkungen während des Lockdowns konnten sich die Paare außerdem mehr auf die Zweierbeziehung konzentrieren, die Familie ins Zentrum stellen. Bujard nennt das „Cocooning-Effekt“. Familien oder Paare ziehen sich aus der Öffentlichkeit in das häusliche Umfeld zurück.

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Bayboom in Köln

Auch die Zahl der künstlichen Befruchtungen habe in dieser Zeit zugenommen, so der Forschungsdirektor. Dass viele der Kinder erst nach dem Lockdown gezeugt wurden, hänge auch mit den rückläufigen Infektionszahlen im Mai und Juni 2020 zusammen, sagt Bujard. „Die Menschen waren optimistisch gestimmt, hatten wieder Hoffnung und weniger Sorgen.“

Ruhepausen durch den Lockdown

Während der Schwangerschaft empfand Stiegemeyer die Zeit des zweiten Lockdowns nicht nur als Einschränkung. „Ich konnte mir die Ruhepausen nehmen, wie ich sie brauchte“, sagt die 32-Jährige. „So hatte die Zeit etwas Entspannendes.“ Die junge Mutter würde im Nachhinein sogar sagen, dass für sie persönlich die Corona-Einschränkungen mehr positive als negative Aspekte hatte. Auch wenn sie sich manchmal schon etwas alleine fühlte: „Ich hatte keinen Kontakt zu anderen Müttern, nur einen digitalen Geburtsvorbereitungskurs und bin auch nicht mehr Einkaufen gegangen, um mich nicht anzustecken.“

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Und auch die Zeit im Krankenhaus war anders, als es sich Stiegemeyer gewünscht hätte. Statt eines Familienzimmers nach Joschas Geburt, in dem die Familie die erste Zeit ganz entspannt erleben darf, war es Pauls nur für eine Stunde am Tag erlaubt, sie zu besuchen. „Ich fühlte mich durch die engen Regeln eingesperrt“, berichtet Stiegemeyer. Dem Krankenhauspersonal gibt sie daran keine Schuld, schließlich machten die nur ihren Job und waren selbst vollkommen überlastet.

Angenehmer Start ins Familienleben

Umso mehr genießt die Familie die Zeit seitdem Mutter und Kind zuhause sind. „Joscha macht es einem ziemlich einfach. Er schläft viel und ist ein fröhliches Kind. Und er ist neugierig: Wenn er auf dem Bauch liegt will er überall hin“, erzählt die 32-Jährige. Familienbesuch gab es seit dem noch nicht so viel. Die Großeltern waren da, viel wurde über Videotelefonie gemacht. „Das war durchaus ganz angenehm, nicht so viel Besuch im Haus zu haben“, gesteht Stiegemeyer.

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Nora Stiegemeyer hat den Lockdown in der Schwangerschaft zum Teil sogar genossen.

Zu Beginn des ersten Lockdowns prognostizierten manche Statistiker einen Geburtenanstieg schon für den Dezember 2020. Der ist nicht nur ausgeblieben, in manchen Teilen der Welt zeigte sich sogar ein gegenteiliger Effekt: „In anderen Ländern hat es im Dezember einen Geburtenrückgang gegeben. Die gesundheitlichen und ökonomischen Sorgen waren sehr groß“, sagt Bujard.

Kurzarbeit positiv für Geburtenrate

In Deutschland hielt sich die Geburtenrate Ende vergangenen Jahres immerhin konstant. Bujard begründet das damit, dass in Deutschland weniger Menschen arbeitslos geworden sind. Denn neben dem Cocooning-Effekt und gesundheitlichen Gründen, spiele bei der Entwicklung der Geburtenrate auch die ökonomische Situation eine große Rolle. „Die Kurzarbeit hat in Deutschland viel aufgefangen. Viele Arbeitnehmer hatten keine starken Existenzängste.“

Anders sah das zum Beispiel in den USA aus, wo die Jobsorgen auch die Geburtenzahlen zum Ende 2020 in den Keller drückten. Auch in Italien wurden Ende 2020 weniger Kinder geboren. Dafür könnte auch eine Rolle gespielt haben, dass dort die Krankenhäuser während der Pandemie überfüllt waren, was viele Paare eher dazu verleitete, ihren Kinderwunsch aufzuschieben, vermutet Bujard.

Rumänien mit 15 Prozent mehr Babys

Der Anstieg der Geburten im Februar und März diesen Jahres sei so deutlich, dass nicht von den üblichen Schwankungen gesprochen werden könne, so Bujard. Auch in anderen europäischen Ländern zeichnet sich laut Statistik ein Babyboom ab. Spitzenreiter ist dabei Rumänien mit einem Plus von 15 Prozent. Aber auch in Estland und Litauen (Plus 13 Prozent), den Niederlanden, Finnland und Ungarn (plus 10 Prozent) war der März 2021 ein geburtenreicher Monat.

Wie es weitergeht? Der Experte ist sich nicht sicher, erwartet aber eine Art Wellenbewegung in den kommenden Monaten. Schließlich wechselten sich auch seit Ende 2020 Lockdown- mit optimistischeren Lockerungsphasen ab. Konkrete Folgen seien noch unklar. Auch, ob in der letzten Zeit vermehrt Paare ihr erstes Kind bekommen haben oder ein zweites oder drittes Kind, sei noch unbekannt.

Für Stiegemeyer und Pauls ist die Statistik unwichtig. Aber immerhin kann sie für einen hoffnungsvollen Scherz herhalten: „Vielleicht ist Joscha als Lockerungs-Kind ja dann besonders locker", sagt Stiegemeyer. Jedenfalls: Das Paar freut sich auf das Ende der Pandemie, wenn Joscha endlich andere Kinder kennenlernen kann. Und auch einen Babyschwimmkurs würde die Mutter mit Joscha gerne machen.