Mitten im WahnsinnWie Eltern es schaffen, Zeit und Raum als Paar zu finden
Köln – Seit einem Jahr manövrieren Eltern das Leben zwischen Homeschooling, Kleinkindbetreuung, Heimarbeit, Haushalt und Pandemie-Sorgen. Wie schafft man es da eigentlich noch, genug Zeit als Paar zu finden? Ein Gespräch mit der Journalistin Verena Carl zu ihrem Buch „Eltern sein, Paar bleiben“.
Alle dauernd zuhause, kaum Auszeit und wenig Raum für Zweisamkeit: Wie geht es Elternpaaren nach einem Jahr Corona?
Verena Carl: Zunächst muss man sagen, dass die Situation von Eltern sehr individuell ist. Wie es Paaren gerade geht, hängt von ihren Lebensumständen, der beruflichen Situation und der Anzahl und dem Alter der Kinder ab. Für Eltern, die gerade ihr erstes Kind bekommen haben, kann diese Corona-Zeit auch ein Vorteil sein, weil sie die ersten Monate achtsamer genießen können. Paare mit älteren Kindern aber mussten während Corona viele Freiheiten wieder aufgeben und sind häufig sehr belastet.
Was kann Elternpaaren in dieser Zeit der Mehrfachbelastung helfen, besser durch den Alltag zu kommen?
Zum einen hilft es, gemeinsam den Alltag zu strukturieren. Auch in dieser so wenig vorhersehbaren Zeit sollten Eltern Pläne machen, wenn auch für kürzere Zeiträume. Wer hilft an welchen Tagen beim Homeschooling, wer übernimmt das Putzen, wer kauft ein? Es ist gut, Zuständigkeitsbereiche klar zu verteilen, vielleicht sogar neu zu ordnen. Dass seit Corona oft beide Partner zuhause sind, kann auch zu einem größeren partnerschaftlichen Verständnis und zu einer besseren Rollenverteilung führen. Veränderung ist immer möglich. Ja, es muss sogar immer wieder neu geplant und aufgeteilt werden, da auch das Leben mit Kindern immer in Bewegung ist.
Zum anderen ist es gerade jetzt wichtiger denn je, dass Partner gut und klar miteinander kommunizieren und auch über gemeinsame Werte und Bedürfnisse reden. Wieviel Gemeinsamkeit brauchen wir als Familie? Wieviel Paarzeit ist uns wichtig? Wieviel Rückzugsmöglichkeiten braucht jeder für sich? Wo findet man Kompromisse? Die Partner sollten gemeinsam darüber nachdenken, was dem Einzelnen wirklich wichtig ist und wo man Abstriche machen könnte. Wie perfekt muss der Haushalt gerade sein? Wie streng sind wir bei der Medienzeit der Kinder? Es geht darum, herauszufinden, wo man sich ein bisschen Freiraum und Lässigkeit verschaffen könnte.
Echte Paarmomente im übervollen Corona-Alltag – geht das überhaupt?
Ich glaube schon, dass es auch in solchen Zeiten möglich ist, einander liebevoll und romantisch zu begegnen. Auch wenn kein kinderfreies Wochenende zu zweit drin ist, so kann man doch kleine Paarmomente wahrnehmen. Partner könnten sich zum Beispiel kleine Rituale schaffen – im Homeoffice etwa eine zweite Kaffeepause zusammen einlegen, beieinander sitzen, den Tag besprechen, sich etwas Nettes sagen.
Gerade positives Feedback kann viel bewirken. Einfach mal dem anderen zurück melden, wie schön es war, dass er oder sie die Tochter geduldig beim Latein-Lernen unterstützt oder den Lieblingskäse vom Einkaufen mitgebracht hat. Der US-Forscher John Gottman hat in Studien herausgefunden, dass vor allem jene Paare zusammenbleiben, die dem Partner im Gespräch solche positiven Rückmeldungen geben. Er vergleicht die Liebe mit einem emotionalen Bankkonto, auf das man einzahlen muss. Das heißt aber nicht, dass gute Paarkommunikation nur daraus besteht, sich ständig Honig ums Maul zu schmieren. Es gehört ebenso dazu, Meinungsverschiedenheiten auszutragen, mal Tacheles zu reden – solange man fair bleibt. Denn auch Streit bedeutet ja, dass man in Kontakt bleibt.
Wenn die Corona-Lage mürbe macht, sollten Partner auch einfach mal gemeinsam den Frust raus lassen, zusammen schimpfen, ratlos sein, weinen?
Auf jeden Fall. Es ist wichtig, auch die negativen Gefühle zu zeigen – ohne es am anderen auszulassen. Aber häufig schwingen Paare emotional gleich, so dass sie sich nicht gegenseitig aufbauen können. Dann besteht auch die Gefahr, dass man zusammen in einen Leidens- und Grübelmarathon kommt. Hier sollte man irgendwann auch mal die Stopptaste drücken und lieber gemeinsam nach etwas Konstruktivem suchen, das man ändern kann.
Welche Rolle spielt Humor in solchen Phasen?
Humor ist total wichtig und kann sehr erleichternd sein. Wenn Kinder beim Video-Meeting durchs Bild flitzen ist das inzwischen nicht mehr peinlich, sondern man freut sich über das Durcheinander und die Menschlichkeit. Wir sollten uns viel öfter an das Lustige und Groteske erinnern, das gerade passiert. Warum also nicht, ähnlich einem Dankbarkeitstagebuch, jeden Tag drei komische Dinge aufschreiben, die geschehen sind?
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Wenn man immer auf engem Raum zusammen sitzt, hilft irgendwann auch kein Humor mehr. Sind Abstand und Zeit für sich selbst dann das richtige Mittel?
Auf jeden Fall. Jeder braucht auch mal Abstand und sollte sich selbst und die eigenen Auszeiten wichtig nehmen. Wenn man den Abstand nicht räumlich schaffen kann – wie viele Paare, die mit Kindern auf engem Raum wohnen – dann könnte man das vielleicht anders lösen und sich zumindest abschirmen. Mit klaren Ansagen. Kopfhörer aufsetzen und einfach sagen „Ich bin jetzt weg“ oder „Das hier ist mein Sessel, hier will ich nicht gestört werden“. Eine Möglichkeit wäre auch, sich mit neuen Themen und Hobbys zu beschäftigen und ganz alleine in Welten abzutauchen, die einen begeistern. Ich habe vor kurzem einen schönen Post dazu gelesen: „If you can’t go outside, go inside“ (dt: „Wenn du nicht rausgehen kannst, dann gehe in dich“). Und was man dabei „erlebt“, davon kann man dem Partner ja prima erzählen – und damit etwas Neues einbringen, so als wäre man tatsächlich draußen in der Welt gewesen.
Auch Intimität und Erotik zu schaffen ist nicht leicht, wenn man dauernd im Elterneinsatz ist. Wie können Paare damit umgehen?
Generell glaube ich, dass Sex kein Wert an sich ist. Jedes Paar ist mit einem unterschiedlichen Level glücklich. Es gibt Beziehungen, da ist Sex auch sonst eher Nebensache – und wenn beide damit zufrieden sind, ist das auch okay. In solchen Zeiten wie jetzt fällt die Erotik aber bei vielen mal hinten herunter. Auch das muss kein Zeichen für eine drohende Krise sein. Wenn man mit kleinen Kindern auf engem Raum sitzt, dann sind diese Tage wahnsinnig stressig und dann ist es, glaube ich, eine gesunde archaische Reaktion des Körpers, diesen Bereich etwas abzuschalten.
Buchtipp
Verena Carl: Eltern sein, Paar bleiben, DK-Verlag, 2021
Das Buch richtet sich vor allem an neue Eltern und den Start der Familienzeit als Paar, widmet sich aber auch generellen Fragen rund ums Thema Paarsein mit Kindern.
Lustlosigkeit sollte aber nicht einfach als Desinteresse am Partner bewertet werden. Es liegt oft an den Umständen. Und manchmal möchte man dann vielleicht doch lieber nur streicheln und massieren, als das volle Programm durchzuziehen. Es gibt auf der anderen Seite auch Paare mit größeren Kindern, die diese Zeit zuhause jetzt nutzen, um sexuell ganz viel auszuprobieren.
Der Tipp eines Paartherapeuten, mit dem ich gesprochen habe, ist es, auch in stressigen Zeiten die Erotik durch Berührungen und kleine Momente am Prickeln zu halten, auch wenn nicht unbedingt etwas passiert. Das könnte sein, sich zum Beispiel am Abendbrottisch einen heißen Blick zuzuwerfen und zwinkernd anzudeuten, dass man, wären die Kinder nicht da, die Fischstäbchen vom Tisch fegen würde, um ganz andere Dinge zu tun. Durch so etwas erhält man auch eine Erwachsenenebene, die die Kinder nicht verstehen und signalisiert: Ich sehe dich, auch noch als Sexpartner.
Wie sieht es aus mit festen Zeiten für Sex?
Es kann auch eine gute Idee sein, sich zum Sex zu verabreden. Dann können sich die Partner darauf freuen, vielleicht bereits Phantasien entwickeln, was passieren könnte. Aber es muss auch immer Raum sein dafür, dass doch einer zu müde ist oder keine Lust hat. Es darf hier nicht um Pflichterfüllung gehen. Denn Druck führt schnell zu Lustlosigkeit.
Von wegen Druck: Ist es auch hilfreich, Ansprüche an Paarzeit gerade komplett herunterzuschrauben?
Ja, das ist eine Möglichkeit. Es sollte dann aber auch offen ausgesprochen werden. Partner könnten sich darauf verständigen, dass es in den nächsten Monaten eben nicht viel Zeit zu zweit geben wird. Solange beide wissen, dass es in der Partnerschaft genug Basis und Zuneigung gibt, ist es kein Problem, bei Romantik und Zweisamkeit für eine Weile die Pausentaste zu drücken. Wenn das geklärt ist, erlöst sich das Paar auch ein wenig von überzogenen Ansprüchen.
Sie beschreiben in Ihrem Buch eine kleine Übung für Paare, die „Lebenslauf der Liebe“ heißt – worum geht es da? Und könnte die in Corona-Zeiten helfen?
Das ist eine schöne Übung, die mir eine Paartherapeutin mitgegeben hat. Dazu nimmt man einen Bindfaden oder ein Seil und legt es im Wohnzimmer auf den Boden. Dann überlegen die Partner zusammen, welche wichtigen Stationen sie als Paar miteinander genommen haben. Wo lagen die positiven und negativen Wende- und Knackpunkte? Beginnend mit dem Kennenlernen kann das alles sein, vom Zusammenziehen, dem ersten Kind über eine Arbeitslosigkeit, Krankheit oder einen Todesfall bis zu einem Seitensprung. Für jede Situation kann man sich einen kleinen Gegenstand suchen und ihn dann entlang des Bandes auslegen. Das Ziel ist, gemeinsam zu schauen, was diese Situationen mit einem gemacht haben, was man sich rückblickend vom Partner gewünscht hätte, was gut oder schlecht war. Es geht darum, rauszufinden, wo die Ressourcen in der Beziehung liegen, wo man schon immer ein gutes Team war. Gerade in Corona-Zeiten kann so etwas bestärken, wenn das Paar zum Beispiel erkennt: „Krisen zusammen bewältigen, das konnten wir schon immer gut!“