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Paartherapeutin„Ich gehe davon aus, dass es nach Corona viele Trennungen geben wird“

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Corona hat vielen Paaren zugesetzt. Manche Partner haben sich im Lockdown überhaupt das erste Mal richtig kennengelernt.

Als Corona begann, saßen Paare plötzlich rund um die Uhr miteinander zuhause, ohne Termine und Abstand. Dazu kamen nicht selten Pandemie-Ängste, Existenzsorgen und neue Alltagsherausforderungen. Wie hat das Partnerschaften nachhaltig geprägt? Und war Corona vielleicht sogar das Öl, das alte Beziehungskonflikte zum Eskalieren gebracht hat? Ein Gespräch mit Paartherapeutin Carolina Gerstenberg.

Was glauben Sie, werden viele Beziehungen zu Bruch gehen, wenn Corona abebbt?

Carolina Gerstenberg: Ich gehe leider davon aus, dass es nach Corona viele Trennungen geben wird. Die Zahlen werden sicher steigen. Ich merke das auch beruflich: Die Anfragen nach Paartherapie und Einzeltherapie sind gerade in den letzten Wochen extrem gestiegen.

Also war Corona eine Art Brandbeschleuniger was Beziehungen betrifft?

Carolina Gerstenberg

Carolina Gerstenberg

Carolina Gerstenberg ist Psychotherapeutin und praktiziert in Köln.

Foto: Elena Lanvers

Carolina Gerstenberg ist Psychotherapeutin in Köln und hat sich unter anderem auf die Beratung von Paaren spezialisiert. Im Wechsel mit anderen Expertinnen und Experten schreibt sie die wöchentliche Kolumne „In Sachen Liebe“ für den Kölner Stadt-Anzeiger.

Ich denke, dass Paare, die vorher schon Probleme hatten, vor denen sie eher davon laufen konnten, durch die Pandemie jetzt gezwungen wurden, sich mehr damit auseinander zu setzen. Durch die Nähe gab es keine Möglichkeit mehr, den Konflikten auszuweichen. Auseinandersetzungen haben sich eher zugespitzt. Ansonsten wäre der Trennungsprozess wahrscheinlich zu einem späteren Zeitpunkt gekommen oder man hätte es eher ausgesessen.

Aber die Pandemie hat auch vorher glücklichen Paaren zugesetzt. Eine jüngste Umfrage aus den USA zeigt, dass die Paarzufriedenheit in der Corona-Zeit gesunken ist. Unzufriedener waren vor allem viele jüngere Paare, die ihre Beziehung eher im Außen ausgelebt hatten als im Inneren, die also viel unterwegs gewesen waren, sich mit Freunden getroffen oder Sport gemacht hatten und nun dauernd aufeinander saßen. Weniger zufrieden waren definitiv auch Elternpaare, die stark gefordert waren, Jobs und Kinderbetreuung zu organisieren und bei denen die Partnerschaft ziemlich auf der Strecke geblieben ist.

Sind in der Krise in Beziehungen auch Dinge zu Tage getreten, die man vorher nicht so bemerkt hat?

Manche Partner haben sich in der Krise das erste Mal überhaupt richtig kennengelernt. Und es ist gut vorstellbar, dass Konflikte ans Licht gekommen sind, die vorher schon im Raum standen, den Partnern aber gar nicht bewusst waren oder vermieden worden sind, gerade weil sie viel unterwegs waren.

Und jetzt ist nicht nur das Außen weggefallen, sondern es kamen noch die Belastungen der Krise hinzu…

Genau. Und darunter hat nicht jeder Partner gleichermaßen gelitten. Durch die Pandemie ist häufig ein großes Ungleichgewicht entstanden, wenn etwa nur einer von beiden von Jobverlust bedroht oder durch Krankheit und Ängste belastet war und instabil wurde. Dadurch kann natürlich auch eine Partnerschaft in eine neue Schieflage kommen. Insbesondere, wenn die Partner vorher schon wenig miteinander kommuniziert hatten und dann vielleicht gemerkt haben, wie unterschiedlich sie mit solchen Problemen umgehen und dass sie andere Sichtweisen haben. Darüber hinaus ist es auch einfach unsexy, wenn ein Partner lange Zeit sehr frustriert ist. In einer Beziehung ist immer auch wichtig, wie es den einzelnen Partnern geht – wenn jemand mit sich selbst zufrieden ist, ist er in der Regel auch in der Partnerschaft zufriedener.

Aber selbst Paare, die gut kommunizieren können, haben in dieser ganz neuartigen Krise doch sicher Situationen erlebt, die sie noch nicht kannten…

Mit Sicherheit. Aber diese Paare hatten durch ihre Fähigkeit zur Kommunikation die Chance, sich damit auseinanderzusetzen. Das gelingt allerdings auch nicht immer. Selbst ein Paar, das gut miteinander in Kontakt ist, bleibt nicht automatisch verschont von einer Trennung. Es gibt ein Modell, das ich immer in Paargesprächen anwende, es geht davon aus, dass eine Beziehung auf mehreren Säulen steht, zum Beispiel Sexualität, finanzielle Sicherheit, gute Kommunikation, die Kinder. Einzelne Säulen kommen immer mal wieder ins Wackeln. Doch das kann eine funktionierende Partnerschaft ausgleichen. Wenn aber zu viele der Säulen brechen, also die stabilisierenden Faktoren einer Partnerschaft wegfallen, kann diese schnell kippen. Und genau das ist häufig in der Pandemie passiert, durch Ängste, existenzielle Bedrohungen und neue Stresssituationen.

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Haben manche die Krise auch als Anlass genommen, um das eigene Leben und die Ansprüche an eine Partnerschaft zu überdenken?

Ja, sicher. Es war viel Zeit, sich mit sich selbst und der Partnerschaft zu befassen und womöglich zu erkennen, man passt nicht zusammen oder möchte für sich selbst etwas anderes. Manche haben vielleicht realisiert, dass sie ihre Zeit mit dem anderen vergeuden, um es salopp zu formulieren. Solche Erfahrungen mache ich gerade mit Paaren, die schon ganz lange zusammen sind. Die jetzt nochmal neu entscheiden, nicht miteinander weiter zu machen.

Hatte Corona für manche Paare im Gegenzug auch etwas Gutes?

Unbedingt. Paare, die vorher schon eine stabile Beziehung hatten, haben oft sogar von Corona profitiert. Sie sind teilweise mehr zusammengewachsen. Vor allem Elternpaare haben jetzt deutlich gemerkt, was für ein tolles Team sie sind und wie gut sie eine Krise zusammen meistern können. Bei vielen Paaren hat sich die Verbindung auch intensiviert, weil das Außen weggefallen ist und einfach mehr Zeit war für die Partnerschaft, vor allem auch für Intimität und Sexualität – was ja wiederum zu Nähe und Stabilität führt.

Hat die Corona-Zeit eigentlich jede Beziehung nachhaltig geprägt?

Ich würde so weit gehen, dass Corona fast jede Partnerschaft nachhaltig geprägt hat. Es war eine neue Situation, mit der die Paare lernen mussten umzugehen.

Wie geht es jetzt gegen Ende der Pandemie weiter – sollten Paare, die während Corona in eine Krise geraten sind, erstmal abwarten, ob sich wieder eine Normalität einstellt und sie es doch schaffen?

Das ist natürlich je nach Beziehung individuell. Bei Paaren, bei denen es schon sehr lange äußerst schwierig war und es sich jetzt zugespitzt hat, ist das womöglich der Wendepunkt, die Trennung endlich zu schaffen. Das kann auch eine Befreiung sein – nicht jede Trennung ist ja negativ belastet.

Aber tendenziell würde ich den Paaren eher raten, noch einmal abzuwarten und zu schauen, ob es sich wieder entspannt, vor allem wenn sich die Partner jetzt nach der Corona-Hochphase einzeln wieder stabilisieren. Es gibt sicher viele, die genau das machen. Wenn es dem Einzelnen wieder besser geht, kann auch die Partnerschaft wieder gewinnen. Und ich glaube auch, dass es sich erst in der nächsten Zeit richtig zeigt, wieviel Paare sich trennen werden.

Was könnte Paaren jetzt helfen, sich doch noch einmal zusammenzuraufen – also im Sinne einer Post-Corona-Partnerschafts-Selbsthilfe?

Wichtig ist auf jeden Fall Kommunikation. Die Partner könnten eine Art Bestandsaufnahme machen und sich darüber austauschen, wie es im letzten Jahr gelaufen ist und was man als Paar aus der Corona-Krise langfristig mitnehmen könnte. Dabei können sich Paare auch professionelle Unterstützung holen.

Heilsam könnte sicherlich auch sein, wenn Paare jetzt nach Corona mal wieder lockere und leichte Momente miteinander erleben, mehr unternehmen, spielen und lachen. Dadurch lassen sich vielleicht auch positive Dinge in Erinnerung holen, die einem als Paar früher Spaß gemacht haben. Manche Paare haben ja im Lockdown auch neue gemeinsame Aktivitäten oder Hobbys gefunden, da wäre es doch schön, etwas davon beizubehalten.