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BindungSo stark beeinflussen die Erfahrungen mit den Eltern unsere Liebesbeziehungen

Lesezeit 9 Minuten
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Wie nah wir den Partner an uns heran lassen, hat viel mit den Erfahrungen aus der Kindheit zu tun. 

Köln – Die Psychologin Ursula Nuber hat ein Buch darüber geschrieben, wie die Bindungserfahrungen aus unserer Kindheit unsere späteren Paarbeziehungen beeinflussen. Sie sagt: Häufig sind Probleme aus der Kindheit für Streit mit dem Partner verantwortlich. Im Interview spricht sie darüber, welche Bindungstypen sich besonders oft zusammentun, zwischen welchen es häufig knallt und wie man diese Mechanismen erkennt und verändert.

In Ihrem Buch „Der Bindungseffekt. Wie frühe Erfahrungen unser Beziehungsglück beeinflussen und wie wir damit umgehen können“ schreiben Sie, dass sich unsere Bindungserfahrungen aus der Kindheit am stärksten in Paarbeziehungen auswirken, weil diese denen mit den Eltern am ähnlichsten sind. Klingt ehrlich gesagt ein wenig erschreckend. Können Sie das näher erläutern?

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Ursula Nuber ist Diplom-Psychologin und war bis 2018 Chefredakteurin der Zeitschrift "Psychologie heute". Sie arbeitet als Psychologin und Paartherapeutin in der Nähe von Heidelberg. 

Ursula Nuber: Ich verstehe, dass diese Aussage irritiert. Aber beide Beziehungen sind exklusive Beziehungen was Nähe und Innigkeit angeht. So nah, wie den Eltern und so nah wie einem geliebten Menschen fühlen wir uns sonst niemandem. Es ist frappierend, wie sich kindliche und erwachsene Verhaltensweisen gleichen: Ähnlich wie ein Kind reagieren wir ängstlich, nervös, ungeduldig, wenn sich der geliebte Mensch von uns abwendet oder zurückweisend verhält. Ähnlich wie ein Kind fühlen wir uns sicherer, wenn die vertraute Person in schwierigen Situationen an unserer Seite ist. Und ähnlich wie ein Kind wollen wir nach Kränkungen oder Misserfolgen von unserem Lebensmenschen getröstet werden.

Was hat die Kindheit damit zu tun, wenn unsere Beziehungen heute schwierig sind?

Sehr viel! Durch die Erfahrungen, die wir mit Vater und Mutter machten, bildet sich ein Bindungsstil heraus, der unsere Liebesbeziehungen beeinflusst. Waren unsere frühen Erfahrungen positiv, ist alles gut. Waren sie eher negativ und belastend, stehen wir uns in der Liebe oft selbst im Weg. Wir können dann zum Beispiel anderen nur schwer vertrauen, bleiben lieber auf Abstand, haben Angst verlassen zu werden. Das führt in Partnerschaften häufig zu Konflikten und Missverständnissen.

Wie kann man diese früh eingeprägten Bindungsmuster als Erwachsener noch verändern und geht das überhaupt? Die Kindheit lässt sich ja nicht mehr verändern.

Das stimmt. Dennoch gibt es keinen Grund zur Resignation. Niemand muss sich mit seinem Bindungsstil abfinden. Wir können ihn zwar nicht grundlegend ändern, aber wir können seine Wirkung abschwächen. Voraussetzung dafür ist, dass wir unseren Bindungsstil und seine Auswirkungen auf unsere Gefühle und unser Verhalten gut kennenlernen und zunehmend bewusster damit umgehen. So werden neue, positive Erfahrungen möglich, ein unsicher gebundener Mensch kann dann mit der Zeit sicherer werden. Die Psychologie spricht in diesem Zusammenhang von earned security, also erworbener Sicherheit.

Das sind die vier Bindungsstile

Vermeidender Bindungsstil

Diese Frauen und Männer kommen gut ohne engere Bindungen aus. Für sie ist es am wichtigsten, unabhängig und autonom zu sein. Kennzeichen sind ein starkes Vermeidungsverhalten gepaart mit wenig Verlustangst. Vermeidend gebundene Menschen legen Wert darauf, dass es in ihren Beziehungen nicht zu eng wird. Oft suchen sie die Lösung für ihr Nähe-Distanz-Problem in einer Affäre. Manchmal gehen Vermeider auch fremd, wenn sie sich ihrem Partner zu nahe fühlen. Fürchten Sie, sich an den anderen zu verlieren, schaffen sie durch die Affäre eine Art Sicherheitsabstand.

Ängstlicher Bindungsstil

Enge Bindungen sind für diese Frauen und Männer sehr wichtig. Allerdings fehlt ihnen das Vertrauen in den anderen und sie sind oft verunsichert. Bei aller Sehnsucht nach Nähe schwingt immer die Angst mit, verletzt oder im Stich gelassen zu werden. Sie haben in Beziehungen oft das Gefühl, mehr zu geben als der Partner. Diese Menschen erleben in Beziehungen meist sehr viel Angst, zeigen aber wenig Vermeidungsverhalten. Ängstlich gebundene Menschen sind oft sehr lange treu.

Ambivalenter Bindungsstil

Diese Menschen möchten anderen zwar nahe sein und brauchen eine feste Beziehung, finden es aber gleichzeitig schwierig, wenn ein anderer Mensch ihnen zu nahe rückt. In Beziehungen wollen sie die Kontrolle haben, damit keine Abhängigkeit vom Partner entsteht. Deshalb stoßen sie die Person, die sie lieben, immer wieder weg, wenn es zu eng wird. Sie spielen ein „Komm her geh weg“-Spiel und gehen lieber selbst rechtzeitig auf Distanz, bevor der andere sie verletzen könnte. Vermeidung und Angst sind beide stark ausgeprägt. Sie wünschen sich Nähe, haben aber Angst vor Abhängigkeit. Sie sind deshalb anfällig für Affären, weil sie auf diese Weise jemand anderem nahe sein können, ohne die Gefahr einzugehen, sich durch zu große Nähe von ihm abhängig zu machen.

Sicherer Bindungsstil

Diesen Menschen fällt es leicht, anderen gefühlsmäßig nahe zu sein. Sie haben kein Problem damit, sich auf andere einzulassen. Sie haben ein stabiles Selbstbewusstsein und fürchten nicht, dass andere sie nicht akzeptieren könnten. Sicher gebundene Menschen zeigen in Beziehungen wenig Vermeidung und auch wenig Angst. Sicher gebundene Menschen sind auch am wenigsten untreu.

Wenn man erkannt hat, dass der früh erworbene Bindungsstil im Hintergrund die Strippen zieht und Beziehungen schwierig macht: Wie übernimmt man wieder das Kommando?

Zum Beispiel, indem man in kritischen Situationen bewusst darauf achtet, ob Gefühle auftauchen, die eher in die Vergangenheit als in die Gegenwart gehören. Nehmen wir zum Beispiel einen Mann, der regelmäßig einen heftigen Streit vom Zaun bricht, wenn seine Frau nicht pünktlich nach Hause kommt. Dieser Mann könnte nun prüfen, ob ein Bindungsmuster am Werk ist: Kennt er die Situation von früher? Vielleicht erinnert er sich, dass seine Eltern oft am Abend ausgingen und ihn allein ließe. Und dass er ängstlich auf ihre Rückkehr gewartet hat. Diese Erkenntnis könnte ihm helfen, mit sich selbst mehr Verständnis zu haben und mit seiner Frau anders umzugehen.

Wie können Paare erkennen, dass viele ihrer aktuellen Probleme in Wirklichkeit Probleme aus der eigenen Kindheit sind?

Manche Paare streiten sich schnell und häufig. Fragt man nach, worum es geht, kommt häufig die Antwort „um nichts Wichtiges“. In solchen immer wieder auftretenden, scheinbar belanglosen, Auseinandersetzungen geht es jedoch um etwas ganz Wichtiges: um Zuwendung, Verständnis, gesehen werden. Doch diese Bedürfnisse kann das Paar meist nicht bewusst artikulieren. Stattdessen schlagen die Partner wie kleine Kinder „Bindungsalarm“. Zwar schreien und brüllen sie nicht wie Kleinkinder– na ja, manchmal tun sie das -, aber sie schlagen Türen oder ziehen sich schmollend zurück. Merkt ein Paar, dass hier Kindheitserfahrungen im Spiel sein könnten, kann es verständnisvoller und milder miteinander umgehen.

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Sie geben unsicher Gebundenen den Tipp, das zu tun, was sie am meisten fürchten: Gefühle zeigen und sich dem anderen wirklich öffnen. Wie soll man diesen Schritt wagen?

Unsicher gebundene Menschen halten aus Angst vor Verletzung ihre wahren Gefühle unter Verschluss. Gleichzeitig aber hoffen sie, dass der Partner oder die Partnerin diese errät. Wie wir alle wissen, funktioniert das nicht. Das einzige, was wirkt, ist Selbstoffenbarung. Das heißt: dem anderen die eigenen Gefühle mitteilen. Das geht natürlich zunächst nicht ohne Angst. Aber die schwindet, sobald klar ist, dass der Partner, die Partnerin ganz anders reagiert als früher Mutter oder Vater.

Sie schreiben, dass sekundäre Gefühle wie Wut, Gleichgültigkeit oder eine Anklage oft die wahren, primären Gefühle überdecken. Wie findet man wieder Zugang zu dem, was man wirklich braucht?

Wenn man in der Kindheit erfahren musste, dass die eigenen Gefühle nicht interessieren oder als „falsch“ bewertet werden, lernt man, sie zu verbergen oder zu „verpacken“. Irgendwann kennt man die eigenen Bedürfnisse selbst nicht mehr. Um den wahren Gefühlen auf die Spur zu kommen, muss man der eigenen Verpackungskunst auf die Schliche zu kommen. Das ist nicht leicht, und braucht manchmal therapeutische Unterstützung.

Wie verhalten sich Bindungssucher in Beziehungen und wie die Vermeider?

Selbstständigkeit und Unabhängigkeit haben für Vermeider einen hohen Stellenwert. Sie sorgen deshalb dafür, dass es in Beziehungen nicht zu nah wird. Sie meiden Beziehungsgespräche, sie brauchen viel Zeit für sich alleine, sie sind kontrolliert und zeigen wenig Empathie. Auf ihre Partner und Partnerinnen wirken sie unnahbar und desinteressiert. Bindungssucher dagegen glauben, sie müssten ständig um die Liebe kämpfen und dürften den anderen nicht aus den Augen lassen. Sie sind in einer anstrengenden Hab-Acht-Stellung. Die Partner und Partnerinnen erleben das dann häufig als unangenehm und werfen dem Bindungssuchenden vor, zu anklammernd und unselbstständig zu sein.

Zum Weiterlesen

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Ursula Nuber: "Der Bindungseffekt: Wie frühe Erfahrungen unser Beziehungsglück beeinflussen und wie wir damit umgehen können", Piper Verlag, 254 Seiten, 20 Euro

Ilse Sand: Die innere Mauer. Beziehungsangst überwinden, Nähe zulassen, C.H. Beck Verlag, 121 Seiten, 12,95 Euro

Ernst-Marcus Thomas: Beziehungs-Tango. Wie wir unbewusst die Liebe sabotieren, Hogrefe Verlag, 181 Seiten, 16,95 Euro

Jeder Mensch bringt seine eigenen Bindungserfahrungen mit in die Beziehung. Welche Konstellationen funktionieren gut, bei welchen knallt es?

Am besten wäre es, wenn ein unsicher gebundener Mensch einen sicher gebundenen als Partner fände. Denn in einer solchen Beziehung kann der Unsichere am besten Vertrauen lernen und Ängste abbauen. Häufiger sind allerdings Verbindungen zwischen einem „Vermeider“ und einem „Ängstlichen“. Diese Paarkonstellation ist anstrengend, es gibt viele Konflikte. Dennoch ist sie meist stabil. Denn auch in solchen Beziehungen können Bindungsdefizite ausgeglichen werden: Der „Vermeider“ bekommt vom „Ängstlichen“ emotionale Sicherheit. Der „Ängstliche“ wiederum lernt vom „Vermeider“, seine übermäßigen Ängste zu regulieren.

Was passiert wenn die gleichen Typen aufeinander treffen, insbesondere Vermeider und Vermeider?

Dann sind zwei Singles zusammen. Jeder achtet auf emotionale Distanz, jeder lebt nach dem Motto „Ich verlasse mich auf mich, auf sonst niemanden“. Das können durchaus auch stabile Beziehungen sein, denn die Partner kommen sich nicht in die Quere. Auf Dauer aber kann es zu kühl und zu distanziert werden. Denn auch Vermeider sehnen sich nach Nähe.

Finden wir die Menschen anziehend, die einen ähnlichen Bindungsstil haben oder genau die anderen?

In der Regel fühlen wir uns von Menschen angezogen, die uns vertraut vorkommen, uns „irgendwie“ an Mutter oder Vater erinnern. Meist sind das Personen mit gegensätzlichem Bindungsstil. Eine ängstlich gebundene Person verliebt sich zum Beispiel in eine vermeidend gebundene, weil diese sie an den distanzierten Vater erinnert. Sie hofft dann, dass sie es in der Liebesbeziehung – anders als beim Vater – schafft, die emotionale Distanz zu überwinden.

Ist Autonomie wichtiger als Nähe?

Autonomie ist ohne Zweifel ein hoher Wert. Ohne sie können wir kein starkes Selbstwertgefühl entwickeln. Allerdings wird in Liebesbeziehungen Autonomie häufig missverstanden. Viele glauben, sie dürften auf keinen Fall zugeben, dass sie den anderen brauchen. Sie werden nervös, wenn der Partner oder die Partnerin zu wichtig wird. Doch die Abhängigkeit von einem liebenden Menschen bedeutet nicht Unselbstständigkeit, im Gegenteil: Sich ohne Angst auf einen anderen Menschen einlassen zu können, ermöglicht erst wahre Autonomie.