Paar mit fünf Kindern erzähltWarum Familie nicht das Problem ist, sondern die Lösung
„Wenn ihr erst einmal Kinder kriegt, ist alles vorbei!“ „Seit ich Mutter bin, hab ich nur noch Stress!“ Solche Aussagen hört man in letzter Zeit häufig. Es gibt Klageschriften von überforderten Müttern, ironische Alltagsberichte von zynischen Vätern. Und schließlich die Experten, die von Vereinbarkeitsproblemen und Gleichberechtigungsfallen schreiben. Nicht gerade gute Werbung für das Modell Familie.
Ein neues Buch dreht jetzt den Spieß um und will zeigen, wie schön Familie sein kann. In „Stresst ihr noch oder liebt ihr schon?“ erzählt das Ehepaar Alexa Hennig von Lange und Marcus Jauer aus seinem Patchwork-Alltag mit fünf Kindern – vom Babygeschrei bis zur Pubertät, vom umgekippten Saftglas bis zum Streit um Erziehungsfragen, vom Tantra-Kurs bis zum Familien-Road-Trip.
Familie ist die Lösung und nicht das Problem, sagt ihr. Wie schafft ihr es, weniger zu klagen und mehr zu lieben?
Marcus Jauer (lacht): Um das zu beantworten bräuchten wir ja ein ganzes Buch…
Alexa Hennig von Lange: Als ich Marcus getroffen habe, war ich alleinerziehend mit zwei Kindern von zwei verschiedenen Vätern. Ich hatte eine gescheiterte Ehe hinter mir. Nach all diesen Erfahrungen hatte ich tatsächlich nicht mehr daran geglaubt, dass es möglich ist, Kinder zu haben, Paar zu sein und auch noch seinem Beruf nachzugehen.
Doch wir haben festgestellt, dass es möglich ist. Aber bis zu dem Punkt, wo uns das relativ stressfrei gelingt, mussten wir viele Schritte gehen.
In der Einleitung des Buches schreibt ihr: „Elternschaft ist nichts anderes als die glorreiche Fahrt mutiger Abenteurer“. Ist der Schlüssel für ein entspanntes Familienleben einfach ein Wechsel der Perspektive?
Marcus: Zumindest hilft es, nicht jede Herausforderung als Zumutung zu empfinden. Es ist kein Geheimnis, dass das Familienleben anstrengend und fordernd sein kann, aber das ist der Beruf zum Beispiel auch. Nur scheinen wir dort manchmal geübter darin zu sein, uns an kleinen Erfolgen zu begeistern. Dort wissen wir, dass mit Freude und Leichtigkeit mehr gelingt. Warum dann nicht auch in der Familie?
Eltern geraten ja nicht selten in Konflikt wegen der schnöden Organisation des Alltags: Wer plant, wer macht, wer motzt bei euch?
Alexa: Bei uns motzt keiner – nur, wenn's nicht so läuft, wie geplant (lacht). Aber im Ernst: Wenn man permanent mit der Situation unzufrieden ist und auf alles schimpft, was gerade nicht nach Plan läuft, dann schimpft man eigentlich auf das Leben, das sich entwickelt und entfaltet. Wenn man sich das bewusst macht, hört man relativ schnell auf, sich zu ärgern. Weil es nichts gibt außer dem Leben.
Im Alltag ist es aber manchmal schwer, sich gar nicht aufzuregen.
Die Autoren
Die Schriftstellerin Alexa Hennig von Lange („Relax“) war alleinerziehend mit Kind, verheiratet mit zwei Kindern und Fulltimejob, bevor sie Marcus Jauer heiratete und noch drei Kinder bekam. Marcus Jauer ist Journalist und arbeitete als Reporter für große Tageszeitungen. Er kündigte seine Festanstellung, um als Freiberufler mehr Zeit für die Familie zu haben.
Alexa: Na klar. Aber wird es davon besser? Wer Kinder hat, weiß, sobald Eltern gestresst sind, geraten auch Kinder in Stress. Und dann herrscht bald furchtbares Chaos. Das wieder einzufangen bedeutet so viel mehr Kraftaufwand, als zu akzeptieren, dass gerade etwas nicht so gut gelaufen ist. Dass gestern ein Saftglas umgekippt ist, ist heute total irrelevant. Warum es dann so behandeln, als würde davon die Welt untergehen?
Ist Loslassen der bessere Weg? Sich etwa nicht an den eigenen Erziehungsstil zu klammern?
Marcus: Loslassen – ja. Aber nicht in dem Sinne, dass man alles einfach laufen lässt. Natürlich wollen wir unseren Kindern auch Werte und eine Haltung vermitteln. Es geht eher darum, darauf zu schauen, was geklappt hat. Einfach ein bisschen gnädiger sein mit sich und den Seinen. In allen Familien passieren jeden Tag ganz viele wunderbare Dinge. Warum nicht darauf schauen, statt auf das, was noch nicht funktioniert hat.
Trotzdem haben Eltern ja häufig unterschiedliche Vorstellungen, wie erzogen werden soll…
Alexa: Oh ja. Jedes Elternteil bringt seine eigene Kinderstube mit und möchte sie dringend am Leben erhalten, um sich Zuhause zu fühlen. Die Herangehensweise unterscheidet sich manchmal sehr. Marcus hat zum Beispiel als Kind gelernt, dass alles, was auf dem Teller liegt, aufgegessen wird. Ich habe vermittelt bekommen, dass man erst gar nicht so viel auf den Tisch stellt. Als Marcus dann zum ersten Mal bei uns gekocht hat, war er total von den Socken, dass ich meinen Kindern offenbar nicht beigebracht hatte, aufzuessen. Sie waren diese Mengen eben einfach nicht gewöhnt.
Und das bringt mich zum Thema Kommunikation: Um überhaupt Verständnis füreinander zu entwickeln, muss man sich austauschen. Die Offenheit, die wir uns entgegenbringen, löst viele Probleme oder lässt sie am Ende gar nicht erst entstehen.
„Ich lege fest, wann Familie Priorität hat“
Fühlt ihr euch gleichberechtigt? Könnt ihr sagen: Ja, ich mache das so, wie ich möchte?
Marcus: Gleichberechtigung drückt sich nicht darin aus, dass jeder abwechselnd durchsetzt, wie er es möchte. Es geht eher darum, dass jeder jederzeit die Möglichkeit hat, zu sagen, wie er es möchte. Die Grundlage ist, dass man das Gefühl hat, gehört und verstanden zu werden. Dann wird man immer eine gemeinsame Lösung finden.
Alexa: Sobald ich als Partner nicht die Freiheit habe zu sagen, dass ich es mir anders wünsche, entsteht ein immer größerer Berg von Missverständnissen, Wut und Schmerz. Der sich sofort auflösen würde, wenn man gehört wird.
Wenn beide ihren Job sehr mögen, wer tritt dann für die Familie kürzer?
Alexa: Normalerweise entscheiden sich Mann und Frau gemeinsam für eine Familie. Also gehört auch dazu, dass sie miteinander herausfinden, wie sie es schaffen, dass beide arbeiten können. Und die Form, auf die sie sich dann schließlich einigen, sollte auch beiden entsprechen.
Bei vielen Paaren gibt es aber eher ein Fegefeuer der Eitelkeiten…
Alexa: Wenn ich mit jemandem mein Leben teile, dann kann ich nicht mein Ding durchziehen, ganz egal wie sich der andere dabei fühlt. In einer Gemeinschaft, die von Liebe gehalten ist, kann nicht gleichzeitig das Fegefeuer der Eitelkeiten wüten.
Marcus: Der andere kann nicht als der Schuldige dafür herhalten, dass die eigenen Wünsche nicht umzusetzen waren. Und es sollte keiner den Eindruck haben, er hätte den Kürzeren gezogen. Das ist eine Schwierigkeit, die jedes Paar lösen muss.
Familie, Arbeit, Partnerschaft zusammenzubringen, das scheitert doch oft schon am Zeitmanagement.
Marcus: Natürlich ist wenig Zeit. Gerade, wenn beide arbeiten. Aber das ist eine Tatsache. Über die kann man sich ärgern oder man schaut, was in der gemeinsamen Zeit möglich ist.
Unsere Kinder sind beispielsweise sehr unterschiedlich alt. Die Älteste ist 17, unsere Jüngste zehn Monate. Sie alle haben natürlich verschiedene Bedürfnisse, auf die wir alle eingehen wollen. Das gelingt uns nicht immer. Aber das heißt nicht, dass wir uns als Familie nicht verbunden fühlen.
Alexa: Trotzdem liegt die Entscheidung am Ende bei uns allen, wie viel Zeit wir mit unserer Familie verbringen wollen. Selbstverständlich kann ich nicht tagelang meine Arbeit liegen lassen. Dennoch lege ich fest, wann meine Familie Priorität hat. Das kann auch bedeuten, weniger Geld zur Verfügung zu haben oder nicht die Anerkennung von außen zu bekommen, die ich meine, so sehr zu brauchen.
Im Buch gibt es eine amüsante Episode über einen Tantra-Kurs, den ihr zusammen besucht habt. Wie schafft ihr es, als Eltern noch Paar zu bleiben?
Alexa: Marcus und ich empfinden uns eigentlich immer als Paar. Egal, ob wir an der Supermarktkasse stehen, den Geschirrspüler ausräumen oder zusammen besondere Momente mit den Kindern erleben. Schließlich haben wir als Eltern gemeinsam diese Familie, besprechen gemeinsam Dinge, suchen gemeinsam Lösungen. Es wäre ja schrecklich, wenn wir nur Paar sein könnten bei einem dieser altbekannten Wellness-Wochenenden.
Buchtipp: Alexa Hennig von Lange/Marcus Jauer, Stresst ihr noch oder liebt ihr schon?, Gütersloher Verlagshaus/Random House, 2016
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