Alle unter einer DeckeMacht ein Familienbett Kinder glücklich und Eltern unglücklich?
Köln – Alle Familienmitglieder in einem Bett? Das ruft bei manchen Eltern die schiere Panik auf den Plan. Andere wiederum schwören seit Jahren auf das Familienbett und berichten, wie wunderbar es ist, nachts alle beisammen zu haben. Es gibt wohl nicht viele Themen im Elternuniversum, die so starke Kontroversen auslösen wie das Familienbett, auch „Co-Sleeping“ genannt. Gemeint ist damit das gemeinsame Schlafen von Eltern und Kindern in einem Bett oder Raum. Vorstellungen und Vorurteile gibt es auf jeden Fall genug: von urwüchsigen Bettenburgen, in denen alle Familienmitglieder aufeinander liegen, von Kindern, die klammern und Eltern, die nicht loslassen können. Aber was bedeutet Co-Sleeping wirklich? Und wo hört der Familienbett-Spaß auf?
Dass Babys in den ersten Lebensmonaten im Elternbett oder Beistellbettchen schlafen, das ist inzwischen etabliert, für viele Familien selbstverständlich und wird sogar von Experten empfohlen. Wenn das Kind aber etwas älter wird, dann stellt sich die Frage: Bekommt es einen Schlafplatz im Elternschlafzimmer oder separat im Kinderzimmer? Und an diesem Punkt scheiden sich bekanntlich die Geister.
Vorteile hat das Familienbett vor allem für die Kinder, da sind sich viele Experten einig. „Kleine Kinder bis zum dritten oder vierten Geburtstag profitieren auf jeden Fall davon, wenn sie in der Nähe einer Bezugsperson schlafen, denn für sie bietet Co-Sleeping vor allem Sicherheit und Geborgenheit“, sagt auch Sibylle Lüpold, Kinderschlafexpertin und Autorin des Buches „Ich will bei euch schlafen“ (Herder, 2019). Die Schlafsituation sei emotional betrachtet die sensibelste Situation für ein kleines Kind, denn nachts werde sein Bindungssystem aktiviert und es habe ein starkes Bedürfnis nach Schutz. „Kinder in diesem Alter können sich nicht selbst erklären, dass alles in Ordnung ist und die Eltern im Zimmer nebenan sind.“
Die Nähe zu den Eltern tut auch älteren Kindern gut
Gerade im Alter zwischen zwei und drei Jahren gebe es bei Kindern noch einmal eine Phase mit vielen Trennungsängsten, selbst wenn das Kind tagsüber selbständig in der Welt unterwegs sei. „Das ist ein ungünstiger Zeitpunkt, um vom Kind zu erwarten, dass es alleine schläft.“ Erst nach dem dritten Geburtstag, so Lüpold, mache das Kind einen großen Schritt in Richtung Autonomie und sei langsam kognitiv in der Lage, sich selbst Sicherheit zu geben, wenn es nachts wach werde.
„Das Familienbett ist unglaublich gut für die Eltern-Kind-Bindung“, sagt auch die Sozialpädagogin Dana Mundt von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke). Für ein Baby sei es ganz natürlich, zwischen den Eltern zu sein, um sich geborgen und sicher zu fühlen. „Und es tut auch älteren Kindern noch gut, in der Nähe der Eltern zu sein.“
Aber auch für Eltern könne Co-Sleeping Vorteile haben. Es sei oft einfach praktischer oder einfacher, das Kind oder sogar alle Geschwister in einem Zimmer zu haben, um auf nächtliche Bedürfnisse schneller reagieren zu können. „Kurz ankuscheln und weiterschlafen, das kann für alle entspannt sein.“ Viele Mütter könnten außerdem besser schlafen, wenn sie ihr Kind neben sich haben. „Auch für Elternteile, die viel arbeiten, kann es schön sein, wenigstens nachts im Familienbett die Nähe zu ihrem Kind zu haben.“
Co-Sleeping muss gut organisiert sein
Eltern profitierten aber vor allem dann von Co-Sleeping, wenn sie sich wirklich gut eingerichtet hätten, sagt Sibylle Lüpold. „Die Schlafsituation sollte auch Komfort bieten für die Eltern, sie sollten bequem liegen können und nicht immer irgendwo einen Fuß ins Gesicht bekommen.“ Jede Person brauche einen ganzen Schlafplatz für sich, von etwa 80 Zentimetern Breite. Das müsse nicht unbedingt im Schlafzimmer sein, auch eine Matratzenlandschaft im Kinderzimmer wäre denkbar. Auf diese Weise hätten Eltern auch die Möglichkeit, das Schlafzimmer abends für sich zu nutzen. Entgegen des Klischees müssten Eltern aber auch bei einem Familienbett im Elternschlafzimmer nicht auf Paarzeit und Intimsphäre verzichten. „Viele Kinder haben auch abends längere Schlafphasen, da muss keiner daneben liegen.“ Außerdem gebe es auch tagsüber Zeitfenster, an denen jemand anderes das Kind betreuen könne.
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Nicht alle Eltern wollen, dass das Kind bei ihnen schläft
Die Vorstellung, das Kind viele Jahre lang jede Nacht neben sich zu haben, ist trotzdem nicht für alle Eltern eine schöne Vorstellung. „Es ist natürlich auch völlig in Ordnung, wenn Eltern sich gegen Co-Sleeping entscheiden“, sagt Dana Mundt. „Sie sollten sich keinen Druck machen lassen und nur ein Familienbett anschaffen, weil alle davon schwärmen.“ Die Lösung müsse zur Familie passen. Nicht alle Eltern könnten mit ihrem Kind im Raum gut schlafen. „Manche kriegen kein Auge zu, weil sich das Kind nachts herum wälzt“, sagt die Erziehungsexpertin. „Ich verstehe auch, wenn Eltern das Schlafzimmer als partnerschaftlichen Rückzugsort brauchen oder nachts mal Pause vom Kind haben möchten.“ Im Umkehrschluss müssten sie sich dann aber keine Sorgen machen: Es schade dem Kind nicht, wenn es schon früh im eigenen Zimmer schlafe. „Es gibt dann eben andere Momente von Nähe zwischen Eltern und Kind, die genauso wichtig sind.“
Wie stark Kinder nachts die Nähe der Eltern brauchen, ist ohnehin sehr individuell. Manche Kinder schlafen schon früh durch, andere wandern viele Jahre jede Nacht rüber ins Elternbett, das dann früher oder später doch zum Familienbett wird.
„Eltern, die möchten, dass ihr Kind alleine schläft und ein Kind haben, das gut damit zurecht kommt, sind zufrieden“, sagt Sibylle Lüpold. Genauso zufrieden seien auch Eltern, deren Kind nachts viel Nähe brauche, die jedoch bewusst Co-Sleeping gewählt hätten. „Unglücklich sind nur diejenigen Eltern, die möchten, dass es alleine schläft, die aber ein Kind haben, das dies nicht kann. Gerade in der westlichen Gesellschaft ist das eine recht große Gruppe.“ Entscheidend sei dann, wie Eltern mit der Situation umgehen. „Das Kind zu ignorieren und nicht auf seine Bedürfnisse einzugehen ist nicht empfehlenswert“, erklärt sie. „Anstatt es schreien zu lassen, bis es resigniert, können sie ihre Einstellung ändern und eine Lösung suchen, die für alle stimmig ist.“
Keine klare Altersgrenze für ein eigenes Zimmer
Wie lange Eltern Co-Sleeping praktizieren, ist letzten Endes ganz individuell. Und doch bleibt die Frage, wann sie Stopp sagen sollten. „Es gibt keine klare Altersgrenze, ab der ein Kind ohne die Eltern schlafen sollte“, sagt Dana Mundt. Sie würde aber empfehlen, dass Eltern etwa im Vorschul- oder Schulalter den Umzug ins Kinderzimmer einleiten sollten. In der Regel passiere es von ganz alleine, dass Kinder dann ihr eigenes Zimmer haben wollten. „Eltern sollten das aktiv unterstützen und gemeinsam mit dem Kind das neue Zimmer gestalten.“
„Wenn alle gut schlafen, dann gibt es aus meiner Sicht keinen Grund, Co-Sleeping aufzugeben, bis das Kind von sich aus den Anstoß gibt, dass es das nicht mehr möchte“, sagt Sibylle Lüpold. Wann immer es zeige, dass es bereit ist, im eigenen Zimmer zu schlafen, sollte man es aber auf keinen Fall bremsen. Die Angst, dass ein Co-Sleeping-Kind sich nicht von den Eltern lösen kann oder unselbständig wird, sei unbegründet. „Studien zeigen, dass Kinder in der Tendenz sogar selbständiger sind, sich besser selbst regulieren können und mehr Selbstvertrauen entwickeln als Kinder, die früh schon alleine geschlafen haben.“
In schwierigen Phasen kommen viele Kinder auch mal ins Elternbett
Auch wenn das Kind dann längst im eigenen Bett schlafe, brauche es phasenweise nachts wieder die Nähe der Eltern, zum Beispiel vor der Einschulung oder wenn es Stress oder Sorgen habe. Das sei ganz normal. „Das hilft dem Kind, innere Stabilität zu gewinnen, bis es mit der neuen Situation klar kommt.“ Eltern müssten keineswegs Angst haben, dass das Kind dauerhaft zu ihnen zurückkomme.
Eine Grenze aber gibt es doch. „Sorgen machen würde ich mir, wenn das Kind im Jugendalter immer noch bei den Eltern schlafen will“, sagt Dana Mundt. „In der Pubertät löst es sich normalerweise von den Eltern, es geht um Abgrenzung und Intimsphäre. Das Kind sollte einen Rückzugsort bekommen und Eltern sollten das unterstützen.“ Doch Sibylle Lüpold ist sich sicher: „Spätestens in der Pubertät wird auch jedes Kind sein eigenes Zimmer wollen.“