Familien berichtenSo unterschiedlich gehen Eltern mit der Notbetreuung in Kitas um
Köln/Bergisch Gladbach – Eltern müssen im Lockdown die schwierige Entscheidung treffen, ob sie ihren Nachwuchs in die Notbetreuung bringen. Wir stellen zwei Familien aus dem Rheinland vor, die ihre unterschiedlichen Positionen erklären, und warum sie ihre Kinder in die Kita schicken oder zuhause lassen.„Die Kontakte so weit wie möglich reduzieren“Das Lehrerehepaar hat sich entschieden, seine drei Kinder zu Hause zu betreuen.Miriam Sillah-Bailly und Daniel Bailly arbeiten in Vollzeit als Sonderpädagogen an zwei verschiedenen Grundschulen, sie als stellvertretende Schulleiterin. Das Paar hat zwei Söhne (16 und 7 Jahre) und eine Tochter (3,5 Jahre).
Miriam Sillah-Bailly: Wir haben uns diesmal bewusst entschieden, unsere Kleinen so lange wie möglich nicht in die Notbetreuung zu bringen. Zum einen, um die Kontakte soweit wie möglich zu reduzieren. Und zum anderen, weil vor allem in der Schule der Ablauf natürlich nicht ist wie ein normaler Schulalltag. Wir haben das Glück, dass unsere Kinder an einem Tag in der Woche zu einer befreundeten Familie können – im Gegenzug kommen deren Kinder zweimal zu uns. Für meinen Mann und mich bedeutet das: Jeder von uns kann drei Tage in die Schule und ist zwei Tage im Homeoffice und betreut währenddessen die Kinder.
Zu Hause ist das dann natürlich immer ein Spagat zwischen: Was schaffe ich morgens nebenbei – und was muss ich am Nachmittag und Abend noch erledigen, wenn der Partner zurück ist. Zu arbeiten, während die Kinder hier sind, ist ein wahnsinniger Stressfaktor. Man hat einfach nie den Kopf frei. Wir leben sehr privilegiert, wir haben keine Existenzängste, wir können Beruf und Kinderbetreuung aufeinander abstimmen. Trotzdem haben wir an der Situation zu knabbern. Uns ist unser ritualisierter Alltag sehr wichtig. Das gibt den Kindern Sicherheit, das gibt uns Sicherheit und Zufriedenheit. Aber diesen Alltag haben wir verloren.
Ich merke, dass das zunehmend an mir nagt. Unsere Kleine fragt jeden Morgen als erstes, ob Mama heute zu Hause bleibt oder Papa, oder sie zu der befreundeten Familie geht – oder ob endlich wieder Kindergarten ist. Wir haben die Wochen zwar klar und immer gleich strukturiert, aber sie hat den Überblick verloren. Es ist nicht mehr so, wie sie es kennt. Sie weiß nie so genau, was als nächstes kommt. So geht es uns ja allen ein bisschen. Das bringt unsere Familie aus dem Gleichgewicht. Mich nimmt das emotional sehr mit. Ich hoffe deshalb, dass nach Karneval wieder etwas Normalität einkehrt.
Daniel Bailly: Unser Hauptbeweggrund, die Kinder im Moment zu Hause zu betreuen, ist, die Systeme zu entlasten. Wir wollen dazu beitragen, dass möglichst wenige Kinder im Kindergarten und in der Notbetreuung in der Grundschule sind. Gleichzeitig habe ich bei unserem Mittleren festgestellt, dass es ihm zu Hause mit Geschwistern und den Kindern einer befreundeten Familie besser geht als in der Notbetreuung. Im ersten Lockdown hat er tapfer die Zähne zusammengebissen, um uns zu entlasten. In der Schule hat man sich Mühe gegeben, aber die ungewohnte, ungewisse Situation hat ihn mitgenommen. Das wollten wir für ihn nicht noch einmal.
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Unsere Kleine fragt jetzt immer häufiger nach dem Kindergarten. Ich bin ein unheimlich schlechter Rollenspieler mit Puppen. Ich bastele, baue Höhlen, wir kochen gemeinsam. Aber sie möchte stundenlang mit ihrer Puppe spielen. Und ich kann das einfach nicht so, wie sie das will. Ich versuche es, aber sie erklärt mir dann immer, wie ich es eigentlich machen muss. Ich sage etwas, sie sagt mir, wie ich es richtig sagen soll, also sage ich es so – das ist dann in der Regel aber immer noch falsch. Ich bin kein gleichaltriger Spielgefährte und kann mich nicht in einen verwandeln. Elternhaus ist nicht Kindergarten und Kindergarten ist nicht Elternhaus. Beides hat aber einen wichtigen Platz im Leben der Kinder.
Wie lange wir das so noch schaffen? Ich finde, dass wir das sehr, sehr gut hinbekommen. Natürlich nervt mich die Situation. Ich würde mich auch gern mal wieder mit einem Kumpel treffen. Oder mit ein paar Leuten grillen. Man will ja gar keinen Luxus, man will einfach mal wieder ein normales Menschenleben führen. Aber wir halten das noch so lange durch, wie es eben dauert. Das muss sein, anders geht es nicht.
„Wenn wir frei machen, fallen Operationen aus“ – ein Ärzte-Paar berichtet
Weil Patienten sonst nicht versorgt werden, nutzen die beiden Ärzte die Notbetreuung.
Judith Schulte arbeitet als in Teilzeit als Ärztin in einer Orthopädie-Praxis. Ihr Mann Pascal Schulte ist Oberarzt in Vollzeit in der Wirbelsäulenchirurgie einer Kölner Klinik. Das Paar hat zwei Söhne (8 und 5 Jahre).
Judith Schulte: Unsere Kinder müssen im Kindergarten und in der Grundschule in die Notbetreuung gehen, weil wir beruflich nicht frei machen können. Sonst würden rund 30 Patienten pro Tag ihre Sprechstunde bei mir als Orthopädin verlieren. Und mein Mann könnte dringend notwendige Wirbelsäulenoperationen nicht durchführen. Aber die Menschen müssen nun mal auch im Lockdown zum Arzt. Es muss ihnen ermöglicht werden, eine medizinische Grundversorgung wahrzunehmen.
Unser beruflicher Alltag ist also wie immer. Aber unser Familienalltag ist ein ganz anderer. Unsere Schule ist in Sachen Distanzunterricht sehr gut aufgestellt. Es gibt morgens und mittags jeweils eine Stunde Onlineunterricht, dazwischen werden Arbeitsblätter erledigt und viele Lerninhalte über Videos oder digitale Tools vermittelt. Unser Großer kann in der Notbetreuung aber nicht an diesem digitalen Unterricht teilnehmen, er darf kein Tablet mitbringen und auch die Hardware in der Schule nicht benutzen. Also kann er vormittags in der Schule nur die Arbeitsblätter bearbeiten. Alles Digitale müssen wir am Nachmittag erledigen. Wenn er um 15 Uhr nach Hause kommt, macht er eine halbe Stunde Pause – und den Rest des Tages sind wir dann damit beschäftigt.
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Ohne eine enge Betreuung durch mich geht das nicht. Dadurch kommt unser Kleiner zu kurz. Ich komme nicht mehr dazu, mit ihm zu spielen. Ich habe am Nachmittag einfach keine schöne Zeit mehr mit meinen Kindern. Unser Alltag ist von Arbeit, Schularbeiten und Haushalt bestimmt, die schönen Dinge kommen zu kurz. Dadurch bin ich körperlich und psychisch sehr angestrengt.
Die Kinder sind gut aufgehoben in der Notbetreuung, sie gehen gern hin und freuen sich, mit anderen Kindern spielen zu können. Aber von der schulischen Seite her fühlen wir uns dafür bestraft, dass wir den Großen nicht zu Hause betreuen können. Und mit jeder Nachricht, die aus der Schule oder aus dem Kindergarten kommt, wird einem ein schlechtes Gewissen vermittelt. Es heißt, wenn irgendwie möglich, solle man seine Kinder bitte nicht schicken. Wir sollen an ihre Gesundheit denken und an die der Erzieherinnen. Das ist kein schönes Gefühl, wenn man es als Eltern einfach nicht anders machen kann. Das schlechte Gewissen, das uns vermittelt wird, macht uns zu schaffen.
Mit dem gesundheitlichen Risiko können wir umgehen. Ich fühle mich bei der Arbeit gut geschützt, wir haben ein gutes Hygienekonzept. Mein Mann ist inzwischen geimpft. Das Infektionsrisiko der Kindergartenkinder ist ohnehin relativ gering und in der Schule wird mit Masken und Abstand gearbeitet. Ich halte unser Infektionsrisiko in der Familie daher für überschaubar. Trotzdem bleiben die normalen menschlichen Ängste, die so eine Pandemie auslöst.
Unser Großer hätte durchaus das Recht, mehr zu jammern. Das tut er nicht, da bin ich erstaunt. Am meisten belastend ist das alles gerade für unseren Kleinen. Er ist oft eifersüchtig, geht dazwischen, wird laut, meckert viel. Unsere Kinder können nichts dafür, dass unsere berufliche Situation ist, wie sie ist. Aber sie sind gerade die Gestraften. Wir wissen nicht, wie lange das noch so geht. Deshalb ist mir sehr daran gelegen, dass die Schule ihr Konzept überdenkt. Ich wünsche mir da mehr Gerechtigkeit, dass auf die Kinder in der Notbetreuung genauso eingegangen wird wie auf die im Distanzunterricht.
Ansonsten packen wir das als Familie alles ganz gut. Wir halten zusammen, wir unterstützen uns gegenseitig, wir versuchen am Wochenende, Ausgleich zu schaffen und halten online Kontakt zu Freunden und Familie. Aber wir sind insgesamt weniger fröhlich. Das merken wir deutlich.