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Psychologin erklärtWie man Kindern jetzt am besten Angst und schlechte Gefühle nimmt

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Klar und deutlich mit Kindern sprechen und sich Zeit für ihre Sorgen nehmen – das hilft gegen Anspannung in der Coronakrise. 

  1. Kontaktverbot, die ganze Zeit zuhause, keine Freunde: Auch für Kinder und Jugendliche ist die Coronakrise sehr anstrengend.
  2. Auch die Eltern sind angespannt. Wie geht man am besten damit um, ohne dass es zuhause Krach gibt?
  3. „Klar und deutlich”, rät die Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin Gunda Frey. Weitere Tipps gibt sie im Interview.

KölnDie Situation ist sehr angespannt. Jeden Tag gibt es mehr Einschränkungen. Die Kinder sind zuhause gefangen und unausgeglichen. Natürlich spüren sie auch diese Unsicherheit draußen. Wie geht man damit als Eltern am besten um?

Gunda Frey: Klar und deutlich. Wenn wir keine klaren Worte für unsere Kinder finden, werden sie das in die falschen Kanäle bekommen. Sie werden sich etwas ausdenken, und das hat meistens etwas mit ihrem Selbstwert zu tun. Wenn Eltern angestrengt sind, weil sie Homeoffice machen müssen und die Kinder dann irgendwas wollen, ist man natürlich viel gereizter. Wenn ich dann ganz klar kommuniziere, wird es leichter: „Schatz, du bist es gar nicht, sondern die Situation ist gerade sehr anstrengend, ich muss mich neu organisieren, weil es neue Rahmenbedinungen gibt.“ So beziehen die Kinder das nicht auf sich selbst und denken nicht: Ich bin schuld.

Was sagt man den Kindern am besten, wenn man zuhause arbeiten muss und gereizt auf Anfragen und Lärm reagiert?

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Die Therapeutin Gunda Frey

Gunda Frey: Jedes Kind braucht eine andere Sprache, sie muss immer kind- und altersgerecht sein. Einem Kleinkind erklärt man nicht so viel wie einem großen, das schon die Zusammenhänge versteht. Dann kann man sagen: „Dir fehlt die Schule, der Auslauf, deine Freunde, mir fehlt mein ruhiger Ort. Ich bin jetzt angestrengt, weil mein Chef sagt, ich muss trotzdem so arbeiten wie vorher.“ Das Gefühl des Kindes sollte auch benannt werden. „Ich weiß, für dich ist es auch eine schwierige Situation. Wir finden es beide total blöd, aber wir müssen jetzt zusammen gucken, dass wir das hinkriegen.“

Wie schafft man es, den Kindern ihre Angst zu nehmen? Sie sehen Menschen mit Atemschutzmasken, Kassierer hinter Plastikscheiben und leere Supermarktregale. Wie geht man damit um?

Gunda Frey: Da wird viel durch die Eltern transportiert. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir als Eltern und Erwachsene auch mal Angstträger sind. Viele Menschen haben zudem Existenzangst. Die Kinder spüren das natürlich. Auch das muss man wieder klar kommunizieren: „Das ist eine schwierige Zeit, ich weiß nicht, wo das nächste Geld herkommen wird. Die Regierung hat versprochen, dass sie hilft, aber es ist noch nicht ganz klar wie und das beunruhigt mich.“ Es ist wichtig, so viel wie möglich mit den Kindern zu reden. Man sollte ihnen erklären, warum manche Menschen einen Mundschutz tragen, zum Beispiel so: „Vielleicht ist das jemand, der zu den Risikogruppen gehört und sich schützen möchte.“ Und erklären: „Jeder geht mit der Angst anders um. Der eine macht sich eine Schutzmaske vor den Mund, der nächste kauft kiloweise Toilettenpapier, wieder ein anderer versucht, seine Angst zu übertünchen. Aber letztendlich steckt überall die gleiche Motivation dahinter.“ Man sollte das Kind auch fragen, wie es selbst mit seiner Angst umgeht. Wichtig ist, das Kind und seine Gefühle ernst zu nehmen.

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Die Anspannung der Kinder äußert sich oft anders. Sie sind gereizt und streiten sich untereinander. Kann es helfen, wenn man sie auch mal fragt, wie sie mit ihrer Angst umgehen?

Gunda Frey: Unbedingt. Emotionaler Stress wirkt sich bei Kindern oft als Hyperaktivität aus. Sie werden alle irgendwann durchdrehen, weil sie einen Bewegungsdrang haben, den sie jetzt nicht ausleben können. Wenn dieser Stress jetzt auf vorherigen Stress trifft, der auch schon im Körper gespeichert ist, exponiert sich das. Deshalb ist es wichtig, mit den Kindern auch Körperübungen und kleine Fitness-Einheiten zu machen, um den Bewegungsdrang auszuleben. Das kann man auch alles in der Wohnung machen. So hilft man dabei, den emotionalen Stress auf der körperlichen Ebene abzureagieren.

Dann gibt es auch noch die ganz großen Enttäuschungen, zum Beispiel abgesagte Osterurlaube, auf die man sich sehr gefreut hat. Wie bringt man sowas den Kindern bei?Gunda Frey: Das funktioniert besser, wenn man Loyalität sucht und vermittelt: Es geht nicht nur uns so, nicht nur unser Urlaub ist gestrichen, das ist gerade für alle Menschen gleich. Keiner darf wegfahren. Mein Wunsch wäre, dass wir weg kommen von diesem – verständlichen – egoistischen Gedanken und hinkommen zu der Erkenntnis, dass wir gerade alle in einem Boot sitzen und keiner weg darf. Außerdem sollte man nach Alternativen suchen, die sonst nicht erlaubt sind. Ich würde zum Beispiel in dieser Zeit Social Media nicht einschränken. Kinder treffen sich auch online. Man kann auch Dinge tun, die man sonst nicht mehr gemacht hat, zum Beispiel Brettspiele wieder rausholen, Eier auspusten und anmalen. Für all diese Dinge hatten wir in den letzten hektischen Jahren kaum Zeit.

Weitere Tipps und Hilfen für die Coronakrise:

Gunda Frey hat eine Sammelplattform mit Tipps für die Coronakrise ins Leben gerufen. Auf Instagram veröffentlicht sie täglich ein Video mit praktischen Tipps und Motivationshilfen für die Coronakrise. Auch auf Youtube gibt es unterstützende Videos. Auch einen Podcast zu den aktuellen Themen gibt es.

Das sind alles sinnvolle Beschäftigungen. Kann man jetzt auf der anderen Seite auch lockerer mit seinen sonstigen Regeln sein?

Gunda Frey: Jein. Man muss aufpassen. Auf der einen Seite fehlt den Kindern Struktur. Schule und Kindergarten geben Struktur. Kinder brauchen auch jetzt Struktur. Orientierung und Kontrolle gehören zu unseren Grundbedürfnissen. Wenn wir sagen, jetzt ist alles frei, werden wir Schwierigkeiten haben, die Kinder irgendwann wieder in die Schule zu bekommen. Es ist gut, jetzt eigene Regeln und Rituale aufzustellen.

Wenn zum Beispiel in der Schule mittwochs Sport war, ist es gut zu gucken, wie man Mittwochs Sportunterricht machen kann. Auch für die Lernzeiten kann man feste Uhrzeiten abmachen, so dass es einen Wechsel aus Lernen und freier Zeit gibt. Das sollte man am besten mit den Kindern besprechen, wie das funktionieren kann. So bezieht man sie mit ein, lädt aber nicht die ganze Verantwortung auf ihnen ab. Wenn man alles ganz frei lässt, ist das für die Kinder zu viel. Andererseits kann man manche Regeln in dieser Zeit auch auflockern.

Glauben Sie, dass man diese Zeit jetzt auch nutzen kann, um wieder mehr als Familie zusammen zu sein oder Dinge zu tun, die man sonst nicht tut? Könnte diese Zeit jetzt also auch eine Chance sein?

Gunda Frey: Ich sehe die ganze Situation als Chance, wenn wir sie denn ergreifen. Es läuft an so vielen Stellen so viel falsch. Unser Bildungssystem ist dringend erneuerungsbedürftig. Es geht immer mehr um funktionieren und gedrillt werden. Jetzt ist dieser Funktionsmodus einmal gekappt und wir sind alle auf Pause gedrückt. Wir können jetzt sagen: „Oh wie schrecklich“ und versuchen, uns irgendwie durch die Zeit zu hangeln oder wir können das als Chance begreifen und sagen: „Jetzt setzen wir uns mal hin und überlegen, was wir wirklich wollen: in den Kitas, in den Schulen und als Familie.“

Wir können uns fragen, was uns wirklich wichtig ist. Möchte ich wirklich so viel arbeiten? Muss ich so viel arbeiten? Weitere Chancen tun sich auf. Nie ging Homeoffice, plötzlich wird das überall möglich gemacht. Man könnte jetzt sagen, wenn die Zeit zu Ende ist, möchten wir das in unserer Firma beibehalten und zwei bis drei Tage die Woche zuhause arbeiten. Für mich ist dieser Stillstand eine enorm große Chance, dass wir als Gesellschaft verstehen, was unsere Kinder und wir selber wirklich brauchen. Wir können diese Chance jetzt nutzen oder nur meckern.