Einfach redenViele Ältere sind in der Corona-Krise einsam – ein Telefonangebot hilft
- Viele Menschen leben im Alter alleine und haben kaum noch soziale Kontakte. Die Corona-Krise verstärkt diese Einsamkeit noch.
- Die Berlinerin Elke Schilling hat die Initiative ergriffen und einen Verein mit einem kostenlosen Telefonangebot gegründet.
- Beim „Silbertelefon ” kann jeder anrufen, den Sorgen bedrücken oder der Alltagshilfe benötigt. Zurzeit steht es kaum still.
Köln – Der Impuls war ein trauriger: Elke Schillings Nachbar lebte allein. Er war alt, bekam nie Besuch, zog sich zurück und mehr als ein paar Worte auf dem Flur wechselten sie in der Regel kaum. Als die Berlinerin irgendwann bemerkte, dass nach Tagen immer noch ein Flyer am Türknauf seiner Wohnung hing, ahnte sie das Schlimmste. Sie alarmierte Hilfe, aber die kam zu spät. Der Mann war einsam gestorben - und die Berlinerin aufrichtig erschüttert.
„Für die vielen alten Menschen, die niemanden mehr haben"
Für die engagierte Rentnerin war schnell klar, dass sie etwas tun wollte. Gegen die unwürdigen Verhältnisse, „für die vielen alten Menschen, die keinen mehr haben“, erzählt sie und schuf eine Möglichkeit, mit ihnen in Kontakt zu treten. „Ich dachte dabei an ein niedrigschwelliges Gesprächsangebot, für alle, die einfach mal wieder mit jemandem sprechen wollen.“
Die 75-Jährige gründete den Verein „Silbernetz“ und richtete das „Silbertelefon“ ein, das heute unter einer kostenlosen Nummer zu erreichen ist. Am anderen Ende sitzen Mitarbeiter, die zuhören und reden. „Wir vermitteln jedem Anrufer auf Wunsch auch einen ehrenamtlichen Mitarbeiter, der mit ihm regelmäßig telefoniert - wie eine Art Freund.“ Mehr noch: Die Mitarbeiter können auch Auskunft darüber geben, welche Angebote es für Senioren in deren unmittelbarem Wohnumfeld gibt. „Solche Gespräche führen bestenfalls dazu, dass sich ältere Menschen endlich mal wieder aus dem Haus trauen“, sagt sie.
Enorme Nachfrage – auch wegen Corona
Es funktioniert: Der Verein Silbernetz fing im Berliner Raum mit fünf Mitarbeitern an und führte in den ersten 18 Monaten 14.000 Gespräche. Die Nachfrage wuchs als die Hotline auch an Feiertagen wie Weihnachten und Silvester rund um die Uhr besetzt war. Jetzt in der Corona-Krise kann jeder aus Deutschland anrufen. Die Nachfrage ist enorm: In den letzten Tagen verfünffachte sich die Zahl der Gespräche und es werden immer mehr. Inzwischen beschäftigt der Verein 16 Festangestellte, die in Diensten von vier bis sechs Stunden in der gesamten Woche von 8 bis 22 Uhr arbeiten.
Schilling ist stolz darauf, mit der Beschäftigung gleich ein zweites soziales Projekt zu verwirklichen. Die Mitarbeiter seien häufig Menschen, die zum Teil lange Zeit arbeitslos waren oder schwerbehindert sind und bisher wenige Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt hatten. „Von denen erwarten wir anfangs nicht mehr als Empathie und die Bereitschaft, sich mit Menschen auf Augenhöhe zu unterhalten. Wir bilden sie dann aus, damit sie achtsam und einfühlsam auf die Anrufenden eingehen können.“
Verein hilft auch bei Fragen zur Nachbarschaftshilfe
Mehrheitlich sind es Frauen über 60, die mit den Mitarbeitern größere und kleinere Alltagssorgen teilen. Die das Gefühl haben, ihnen hört keiner mehr zu, sie müssten mal wieder mit jemandem reden. „Manche Menschen weinen auch, wir lassen sie auch weinen, wenn sie es brauchen. Danach reden wir miteinander. Reden hilft. Reden entlastet wirklich.“ Auch wenn es ein schwieriges Gespräch war, atmen Anrufer auf und bedanken sich. Mit der Pandemie kommen natürlich neue Ängste hinzu: Ich darf nicht mehr raus, wie kriege ich was zu essen? Wie kriege ich das Geld von meinem Bankkonto? Was, wenn ich nicht mehr so gut gehen kann, es gerade noch zum Supermarkt schaffe, aber dann vor leeren Regalen stehe?
So erreichen Sie das Silbertelefon
Wer sich einsam fühlt, der kann das Silbertelefon täglich kostenlos unter der Nummer 0800 470 80 90 von 8 bis 22 Uhr erreichen.
Wer außerdem auf der Suche nach Nachbarschaftshilfe ist, der kann die 07172 9340048 wählen. Dabei fallen nur die ortsüblichen Gebühren an. Der Verein Silbernetz finanziert sich zum Teil aus Spenden und bietet die Möglichkeit einer Fördermitgliedschaft.
Selbst bei konkreten Fragen zur Nachbarschaftshilfe kann der Verein inzwischen helfen. In der Krise hat das Silbernetz mit den Vereinen gemeinschaft.online und nebenan.de zwei Kooperationspartner gefunden. „Wir können über eine Hotline konkrete Wünsche aufnehmen und direkt den Kontakt zu Nachbarn vermitteln, die helfen wollen.“ Wer die Nummer 07172 9 34 00 48 wählt, kann zunächst seine Postleitzahl eingeben und wählt zwischen den Möglichkeiten aus, zum Beispiel zwischen Hilfe für Besorgungen, Hilfe bei Tierversorgung oder Hilfe im Haushalt - und der Verein findet einen geeigneten Partner. Elke Schilling tauscht sich in abendlichen Meetings aus und kann berichten, dass in wenigen Tagen 7000 Vermittlungswünsche eingingen, die schnell bewältigt werden konnten.
Angst, Wut und „Umarmungssehnsucht“
Es gibt jedoch nach wie vor zahlreiche Anrufer, die nur ihren Gefühlen Luft verschaffen wollen. Neben der Verunsicherung, der Angst und der Einsamkeit angesichts der aktuellen Lage, reagieren auch einige ältere Menschen mit Zorn. Hilflosigkeit kann auch wütend machen, weiß Schilling. „Gerade Männer, wenn sie nicht mehr können, nicht mehr dürfen, dann müssen sie erstmal Wut rauslassen“, erzählt sie. „In diesem Fall können wir eine Weile zuhören, können aber am Ende auch nur sagen, dass wir jetzt alle dadurch müssen.“
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Nicht wenige vermissen ihre Kinder und Enkelkinder „Umarmungssehnsucht“, nennt Schilling das. Man könne derzeit nur mit Worten berühren und das sei ein bisschen wenig. „Manchmal frage ich am Telefon auch mal, ob ich den Menschen am anderen Ende in den Arm nehmen darf und dann stellen wir uns das einfach vor und meistens ist die Reaktion eine fröhliche.“
„Wir machen nichts, was wir nicht bewältigen können“
Manchmal sind aber die Silbertelefonisten selbst überfordert. Dann, wenn Menschen anrufen, die höchst verzweifelt, depressiv, vielleicht sogar selbstmordgefährdet sind. Die werden von den Mitarbeitern an die Telefonseelsorge oder an andere Krisentelefone weitergeleitet, deren Fachleute viel erfahrener und sachkundiger in der Begleitung von psychisch kranken Menschen seien. „Dessen sind wir uns alle sehr bewusst. Wir machen nichts, was wir nicht bewältigen können.“
Und Sie selbst? Sie selbst habe das Glück, realistisch, optimistisch und gesund zu sein. Zu sehen, was auch sie noch leisten kann, sei schon toll. „Ich bin ein reich beschenkter Mensch.“ Wenn sie aus allen Anrufen vor allem einen Rat weitergeben sollte:
Eltern und Kinder, die sich entzweit haben, sollten sich jetzt zumindest mal wieder anrufen - und damit einen Schritt aufeinander zugehen. „Denn manchmal warten Eltern oder Kinder nur darauf, dass sich der andere meldet, trauen sich aber nicht. Ruft an!“