Im Jahr 1954 wurden sie eingeschult – nun kehrten drei Freunde an ihre Grundschule zurück und trafen eine sehr euphorische dritte Klasse.
Einschulung vor 70 JahrenDrei Ehemalige werden an ihrer alten Grundschule von Kindern gefeiert
„Guten Moooor-gen, liebe Eee-he-maaaligen!“ Der Begrüßungsruf der Alpakaklasse dröhnt langgezogen und extra laut durchs Klassenzimmer. Das können sich Bernd Pohl, Hubert Laschet und Bernd Curtius natürlich nicht nehmen lassen: „Guten Moooor-gen, liebe Kiiiin-der!“, flöten die drei alten Herren spontan im Chor. Und alle lachen. Schneller ist wohl noch nie ein Eis gebrochen zwischen drei Mittsiebzigern und einer dritten Klasse. Immerhin sitzen hier im Klassenraum Jahrzehnte Altersunterschied beisammen. Und es gibt so viele Fragen.
Für die Ehemaligen ist dieser Tag etwas ganz Besonderes, denn sie kehren das erste Mal zurück an die Schule ihrer Kindheit. Exakt 70 Jahre nach ihrer Einschulung im April 1954 wandern sie durch die Flure der heutigen KGS Lohrbergstraße in Klettenberg. „Es ist wahnsinnig aufregend, wieder hier zu sein. Ich habe mich so gefreut und konnte letzte Nacht nicht einschlafen“, berichtet Bernd Pohl. „Ich bin eben wieder meinen alten Schulweg zu Fuß gegangen und habe da erst begriffen: Mein Gott, das ist 70 Jahre her!“, sagt Hubert Laschet.
Drei Jungs, die leidenschaftlich gern auf der Straße kickten
Mit jedem Schritt seien die Erinnerungen zurückgekommen. „Mir fiel gerade diese eine Szene aus dem Winter ein, als wir Jungs uns nach der Schule hinter dem kleinen Mäuerchen versteckt und die Mädchen mit Schneebällen beworfen haben“, erzählt Laschet. Am nächsten Tag hätten sie nachsitzen müssen. „Daran war ich bestimmt nicht beteiligt“, sagt Bernd Curtius grinsend. Herzhaftes Gelächter. Allzu leicht kann man sich die Drei in diesem Moment als jene Jungen vorstellen, die damals zusammen durch Klettenberg gezogen sind.
Kennengelernt haben sich die beiden Bernds schon vor der Einschulung. „Natürlich beim Fußball spielen! Damals konnte man noch überall auf der Straße kicken, es gab ja kaum Autos“, erzählt Curtius, „nur mein Vater hatte eins, weil wir eine Bäckerei führten.“ Als Hubert Laschet dann mit in ihre erste Klasse kam, waren sie schnell enge Freunde und kickten seither zu dritt. „Es hat einfach gepasst, darüber mussten wir nie sprechen, das war so“, sagt Pohl. Die Freude am Fußball habe sie dabei immer verbunden.
Übervolle Klassen, Schulkakao und getrennte Sitzbänke
Bei der Fragerunde sind die Drittklässler jetzt kaum zu stoppen, sie reißen die Hände in die Höhe, weil sie so viel von den ehemaligen Schülern wissen wollen. „Wie sah es früher hier aus?“, ruft ein Junge. „Von außen habe ich die Schule wiedererkannt, aber damals gab es keine Spielgeräte auf dem Schulhof, keine Turnhalle und auch kein Zaun ums Schulgelände“, sagt Laschet. „Und da vorne am Eingang war damals der Milchausschank, da haben wir sogar Kakao bekommen“, erzählt Pohl. „Boah!“, rufen die Kinder beeindruckt.
„Die Schule platzte wirklich aus allen Nähten“, erzählt Laschet. Um alle Kinder, damals noch bis zum achten Schuljahr, unterrichten zu können, seien die Klassen wochenweise abwechselnd morgens oder nachmittags gekommen. „Und wir waren 42 Kinder in der Klasse.“ Ein Raunen geht durch den Raum. „Mädchen saßen links und Jungen rechts, sie blieben auch auf dem Schulhof getrennt“, sagt Pohl. „Können wir das auch so machen, Frau Blume?!“, ruft ein Junge begeistert der Klassenlehrerin zu – und keiner erhebt Einspruch.
Nicht gezüchtigt, aber noch in Trümmern gespielt
Für die heute Acht- und Neunjährigen ist die Kindheit der Ehemaligen ein spannendes Mysterium. Und doch merkt man, sie haben zuvor schon einiges aufgeschnappt. „Hatten Sie eine Kreidetafel?“, will ein Mädchen wissen. Ja, sie hätten anfangs mit Kreide auf Schiefertafeln geschrieben. „Und wurden Sie gezüchtigt?“ Bei der Frage wird es plötzlich stiller. „Nein, unser Klassenlehrer Jeschonek war Gott sei Dank lieb und hat uns nie geschlagen!“, betont Pohl. „Das ist gut!“, ruft ein Kind sichtlich erleichtert. „Er war zwar streng, wie es früher üblich war, aber auch geradlinig und gerecht.“ Laschet nickt: „Ja, er hatte unseren Respekt.“ Manchmal aber habe man sich als Strafe fünf Minuten mit dem Gesicht zur Wand in die Ecke stellen müssen.
„War damals nicht noch total viel kaputt vom Krieg?“, möchten die Kinder nun wissen. „Schon, wir haben noch in Trümmern gespielt. Das war gefährlich, aber auch spannend“, berichten die Herren. Viel Spielzeug habe es schließlich nicht gegeben. „Wir haben uns Fußbälle aus Wolle, Aluminium oder Schokoladenpapier selbst gemacht“, beschreibt Bernd Pohl. „Es war einfach ein ganz anderes Leben, wir hatten keine Fahrräder, kein Fernseher, keine Handys“, so Bernd Curtius. „Aber wir hatten ja uns!“, ruft Pohl. „Und der Klettenbergpark war zum Spielen ein Paradies, das war unsere zweite Heimat“, schwärmt Hubert Laschet. „Später sind wir im Beethovenpark oft die Basalthänge auf Lederhosen heruntergerutscht und der Gärtner stand da und hat geschimpft wie ein Rohrspatz“, lacht Pohl. „Es war alles freier damals, aber wir kannten unsere Grenzen“, so Laschet.
Kinder studieren alte Klassenfotos und Zeugnisse
Jetzt werden in der Alpakaklasse die alten Schwarz-Weiß-Fotos und Zeugnisse herausgeholt. Lehrerin Diana Blume lichtet sie kurzerhand via iPad ab und zeigt sie auf der hochmodernen digitalen Tafel. Zwischen damals und heute liegen wahrhaft auch technische Welten. Und dann wird gespielt: „Wer erkennt uns auf dem Bild?“, fragen die Ehemaligen und haben sichtlich Freude, den Kindern beim Rätseln zuzuschauen. An manchen Stellen müssen die Herren selbst überlegen: Wie hieß nochmals die Klassenkameradin links vorne? Auch die Einschulung kommt zur Sprache. „So ein schönes Fest, wie ich das von meinen Enkeln kenne, das gab es damals nicht“, erzählt Bernd Pohl. Aber sie hätten sich gefreut, dass die Schule losgegangen ist. Was genau in der Schultüte drin war, daran könnten sie sich jedoch nur noch unscharf erinnern.
Fasziniert blättern die Kinder nun die leicht verblichenen Zeugnisse selbst durch. „Aus-reich-end“, entziffert eins die alte Schreibschrift. Dann wird über die Fächer von damals gesprochen. Die Kinder wundern sich, dass Sport damals „Leibesübungen“ hieß. Besonders gerne denken die Ehemaligen an die Heimatkunde in der vierten Klasse zurück: „Unser Lehrer hat mit uns Ausflüge in die Stadt gemacht, zum Beispiel zum Dom.“ Alles in allem hätten sie nur gute Erinnerungen an ihre Schulzeit. „Mir hat alles Spaß gemacht“, sagt Curtius. „Ja, ich bin auch zeitlebens gerne in die Schule gegangen“, bestätigt Pohl. Und Zensurendruck von zu Hause, das habe es bei keinem von ihnen gegeben.
70 Jahre Freundschaft: Bis heute treffen sie sich regelmäßig
Nach der Schule trennten sich ihre Berufs- und Lebenswege, sie wohnten und arbeiteten an vielen unterschiedlichen Orten in Deutschland. „Unser Kontakt ist aber nie abgerissen.“ Oft hätten sie sich besucht und unterstützt. „Jeder stand für sich und wir haben einander immer akzeptiert“, sagt Laschet. „So etwas wie Neid gab es nicht zwischen uns“, bestätigt Curtius.
Heute leben die drei Herren zwar nicht mehr in Köln, aber zumindest in der Nähe – in Leverkusen, Wuppertal und Hennef. „Wir drei sehen uns regelmäßig“, sagt Curtius. „Und dann unterhalten wir uns längst nicht nur über die Vergangenheit“, so Laschet. Aber es gebe Themen, die sie stets umschifften: „Über Politik und Religion streiten wir nicht.“ Die Leidenschaft für Fußball und die Liebe zum FC teilten sie aber noch immer. „Wir ärgern uns jedoch nicht mehr so wie früher.“ Zumindest fast. „Und wenn uns doch mal die Themen ausgehen, dann trinken wir Kölsch und gucken auf den Rhein“, lacht Curtius.
Die Pausenglocke ertönt. Die Kinder denken aber nicht daran, den Klassenraum zu verlassen. Sie umringen die Herren wie Popstars und bombardieren sie mit Fragen. Die Begeisterung ist so groß, dass Frau Blume schließlich vereinbart: Sie können weitere Fragen sammeln und per Mail an die Ehemaligen schicken. „Die werden wir dann in Videos beantworten, wir können nämlich auch Technik“, sagt Curtius. „Viel Spaß noch in der Schule!“, wünschen sie den Kindern, bevor die doch zum Spielen nach draußen rennen.
Auf dem langsamen Weg zum Ausgang, durch die alten Rundbögen und die bekannten Treppen hinab, sind die Herren ganz überwältigt. „Ich hätte nie erwartet, dass dieses Treffen so schön wird und die Kinder so viele Fragen haben“, sagt Hubert Laschet. „Es war eine super Idee, hierherzukommen“, freut sich Bernd Pohl. Den Rest des Tages wollen sie nun natürlich gemeinsam verbringen. „Ist ja fast schon Zeit für das erste Kölsch“, sagen sie lachend und schlendern zu Fuß los durch ihr altes Veedel.