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„Hätten wir mal …“Was man mit den Eltern noch tun sollte, bevor es zu spät ist

Lesezeit 5 Minuten
Unternehmungen mit den Eltern schaffen Erinnerungen. Yelizaveta Tomashevska

Unternehmungen mit den Eltern schaffen Erinnerungen.

Wenn die Eltern alt und pflegebedürftig werden, ist plötzlich vieles nicht mehr möglich. Zwei Experten erklären, was man unbedingt noch gemeinsam tun sollte. Wann? Am besten jetzt!

„Das müssen wir mal noch machen“: Das klingt nicht wie ein guter Vorsatz, eher wie ein Vorhaben, das man immer wieder vertagt. Obwohl man natürlich weiß, dass es für manche Dinge irgendwann zu spät sein kann. So gibt es sicherlich einige Fragen, die wir unseren alternden Eltern immer schon stellen wollten. Aber auch Fragen, die wir ihnen stellen sollten.

„Das kann etwas mit der Familie zu tun haben, mit Erlebnissen in der Kindheit, von denen man bisher nichts erfahren hat, die aber für einen selbst von Bedeutung sein könnten“, sagt Psychiater und Psychoanalytiker Karl Heinz Brisch, der sich seit Jahren mit dem Thema Bindung bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen beschäftigt. Eine gemeinsame Reise in die Vergangenheit lüftet vielleicht so manches Geheimnis.

In die Heimat der Eltern fahren

Viele alte Menschen wollen noch einmal die Orte aufsuchen, an denen sie früher gelebt haben. „Manchmal gibt es noch alte Freunde oder Nachbarn, die sie treffen können, eventuell steht sogar ihr Elternhaus noch“, sagt Brisch. „Und plötzlich erinnern sie sich an Begeben­heiten, die längst vergessen schienen – und beginnen zu erzählen.“

Vor allem alte Eltern hätten häufig ein großes Bedürfnis, ihren Kindern zu zeigen, wo die familiären Wurzeln sind. „Aber auch für die Töchter und Söhne kann es wichtig sein, Details aus der Geschichte zu erfahren, um bestimmte Verhaltensmuster besser zu verstehen“, weiß der Bindungsexperte. Themen, die bisher eher ausgespart wurden – wie beispielsweise Flucht, Vertreibung und Verlust –, bestimmen plötzlich die Gespräche.

„Das kann sehr schmerzhaft sein“, räumt Brisch ein. „Doch für die Betroffenen ist es mitunter eine gute Chance, mit Dingen abzuschließen, mit sich in Einklang zu kommen.“ Aber auch für die Kinder bringen die Erinnerungen oft Licht ins Dunkle. „Mitunter gibt es ein schweres Trauma, das ‚vererbt‘ wurde. Die Psychologie spricht von einer transgenerationalen Weitergabe, die bei den Kindern zu unerklärlichen Ängsten oder Albträumen führen kann.“

Zeit nehmen, Fragen stellen, zuhören

Pflege und Tod – das sind Themen, über die in vielen Familien nicht rechtzeitig gesprochen wird. Berührungsängste gibt es häufig auf beiden Seiten. „Neben den organisatorischen Dingen wie Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht sollte man sich Zeit nehmen, offen über eventuell zu erwartende Pflegebedürftigkeit zu sprechen.“

Gibt es Wünsche oder Erwartungen? Wenn ja, welche Hilfe erhoffen sich die Eltern? Was ist machbar? Welche Entscheidungen müssen noch getroffen werden? „Das sind alles Fragen, bei denen auch genügend Platz da sein muss, um über die damit verbundenen Gefühle zu sprechen,“ meint Brisch.

„Das gilt nicht zuletzt beim Thema Sterben – für viele ein Tabuthema. Aber je offener und konkreter man darüber spricht, desto leichter wird es später sein, die Vorstellungen umzusetzen.“ Welche Wünsche gibt es für die Bestattung und für die Grabstätte? Soll es ein Sarg oder eine Urne sein, eine große Trauerfeier oder ein Gedenken im kleinen Kreis?

Auch ganz persönliche Fragen sollten die Kinder nicht aussparen: Wie sehen beide Seiten die Beziehung, die sich über die Jahre entwickelt hat? Wo gab es Veränderungen, Brüche, Kränkungen und Verletzungen? Wie steht es mit den emotionalen Gefühlen wie Sicherheit, Vertrauen und Ängsten? Wie gehen wir damit um? Was müsste man sich gegenseitig verzeihen, wofür sich vielleicht entschuldigen? Und was würde man rückblickend anders machen, wenn man noch mal neu starten könnte?

Künftige Wohnsituation besprechen

Ein wichtiges Thema, das man möglichst frühzeitig besprechen sollte, ist die Vorstellung, die die Eltern von ihrer künftigen Wohnsituation haben: Was wünschen sich die Eltern? „Die meisten Menschen wollen auch im Alter in ihren vertrauten vier Wänden bleiben“, weiß Felizitas Bellendorf, Referentin bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. „Diesen Wunsch sollte man, wenn möglich, akzeptieren.“

Viele Kinder würden glauben, man tut den Eltern einen Gefallen, wenn man sie gut gemeint noch mit zu sich nimmt. „Doch das eigene Zuhause ist ein Erinnerungsort, ein Ort mit emotionaler Bindung“, sagt Bellendorf. „Zudem gibt es im Haus oder im Wohnviertel oft ein gutes Netzwerk mit wichtigen Beziehungen, die oft über die bloße Nachbarschaftshilfe hinausgehen.“

Alternativ könnte man mit den Eltern überlegen, wie die Wohnung altersgerecht umgebaut werden kann. „In jedem Bundesland gibt es Wohnberatungsstellen, die professionelle Unterstützung bieten, um die eigenen vier Wände mit kleinen und großen Maßnahmen barrierefrei zu gestalten“, rät die Verbraucherschützerin. „Oft sind es schon minimale Anpassungen, die helfen – wie eine gute Ausleuchtung der Zimmer, ein Handlauf im Flur oder Haltegriffe im Bad.“ Unabhängig davon könnte man auch gemeinsam darüber nachdenken, ob es hilfreich ist, Möbel umzustellen, die Zimmer neu aufzuteilen oder sich von über­flüssigen Dingen zu trennen.

Momente genießen und festhalten

Viel Organisatorisches und Praktisches, klärende Gespräche und herzerwärmende Erinnerungen, „das alles ist zwar wichtig“, meint Psychotherapeut Brisch, „doch besonders wertvoll ist die Zeit, die man seinen alternden Eltern derzeit noch schenken kann.“ Sind sie fit genug für einen kleinen Ausflug? Oder einen größeren?

„Überfordern sollte man die Eltern nicht – oft sind es die kleinen Unternehmungen und die dabei geführten Gespräche und gemeinsamen Erfahrungen, die ihnen große Freude bereiten“, weiß der Fachmann. Ein Spaziergang, eine Tasse Kaffee in der Nachbarschaft. „Eine gute Gelegenheit, ein paar Fotos zu machen, die die Eltern dann in das Familienalbum einkleben können.“ Eine Sammlung schöner Momente mit aktuellen Puzzleteilen.