Geburt nach TerminDas sind die Gefahren des geplanten Kaiserschnitts
Erst stundenlang in den Wehen liegen und dann unvorstellbare Schmerzen während der Geburt aushalten - vor dem Kreißsaal graut es vielen Frauen. Dennoch ist eine natürliche Geburt für Mutter und Kind in der Regel besser als ein Kaiserschnitt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kündigte erst kürzlich an, die hohe Kaiserschnittrate in Ländern wie Brasilien eindämmen zu wollen. Der Eingriff werde viel zu oft ohne jegliche medizinische Indikation vogenommen, womit kurz- aber auch langfristig Gesundheitsprobleme bei Mutter und Kind riskiert würden. In Brasilien kommt etwa jedes zweite Kind per Kaiserschnitt zur Welt, der Eingriff gilt in dem Schwellenland sogar als Statussymbol.
„Too posh to push“
In Deutschland entbinden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes etwa ein Drittel der Schwangeren auf diese Art. Allein zwischen 2000 und 2010 haben die Kaiserschnitt-Entbindungen in Deutschland einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung zufolge um mehr als dreißig Prozent zugenommen. „Der Kaiserschnitt ist einer der gängigsten chirurgischen Eingriffe weltweit, wobei die Zahlen ansteigen, insbesondere in Ländern mit hohem oder mittlerem Einkommen“, heißt es auf den Seiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
„Too posh to push“ - „zu fein, um zu pressen“ heißt der Trend, über den insbesondere englischsprachige Medien berichten. Stars wie das Topmodel Alessandra Ambrosio sollen mehrere Wochen vor dem errechneten Termin entbunden haben, um ihre schlanke Figur nicht zu gefährden und das Kinderkriegen zwischen den sämtlichen Drehs und Shootings besser organisieren zu können. In den USA exisitiert außerdem der abstruse Ausspruch „Save Your Love Channel“ - etwa, „Schütze Deinen Liebestunnel“. Die Scheide soll auch nach dem Kinderkriegen möglichst eng und straff bleiben.
Die natürliche Geburt als Fehlkonstruktion?
Sogar manche Wissenschaftler sähen die natürliche Geburt inzwischen eher als Fehlkonstruktion der Natur, weiß Dr. Wolf Lütje, Chefarzt in der Klinik für Geburtshilfe am Amalie-Sieveking-Krankenhaus in Hamburg. „Sie stellen den Kaiserschnitt als Maß aller Dinge dar“, wovor der Gynäkologe entschieden warnt, insbesondere wegen des Schockzustandes, den die Kinder durch einen geplanten Kaiserschnitt erleiden.
„Das wäre so, als würden wir aus dem dritten Stock in einen zwölf Grad kalten Pool geschmissen - wir können zwar schwimmen, aber es dauert, bis wir uns an die neue Situation gewöhnen“, erklärt der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG). Die Folge seien oft Anpassungsschwierigkeiten der Säuglinge, die seiner Erfahrung nach deswegen deutlich häufiger als nach normalen Geburten mit Komplikationen direkt in die Kinderklinik überwiesen werden müssten.
Kaiserschnitt als Notoperation
Professor Dr. Peter Mallmann von der Uniklinik Köln warnt allerdings vor „einer Stigmatisierung des Kaiserschnitts in der öffentlichen Debatte“. Der Direktor der Frauenklinik weist darauf hin, dass der Eingriff unzählige Frauen und Kinder gerettet habe, die vor seiner Einführung im Jahr 1881 nicht überlebt hätten. „Er wird nur leider zu oft missbraucht“, so der Hochschulprofessor. Bei durchschnittlich 20 Prozent der Geburten an der Kölner Uniklinik handele es sich um geplante Kaiserschnitte, sagt Mallmann. Er empfehle den Eingriff nur, wenn es medizinisch zwingend notwendig sei, etwa weil das Kind nicht richtig liege oder mehr als 4500 Gramm wiege.
Die natürliche Geburt ist sehr sinnvoll
„Der Kaiserschnitt ist als Notoperation eine wunderbare Lösung“, sagt auch Gynäkologe Lütje, „er sollte aber auf keinen Fall die natürliche Geburt ersetzen“, so der Hamburger Frauenarzt. So sieht das auch Susanne Steppat, Beirätin im Präsidium des Deutschen Hebammen-Verbands: „Der von der Natur vorgesehene Weg ist sehr sinnvoll.“ Es handele sich da um ein ausgeklügeltes System: „Auf hormoneller Ebene gibt es eine ständige Interaktion zwischen Mutter und Kind“, erklärt Steppat. „Wenn die Wehen einsetzen, ist das das Zeichen des Kindes, dass es jetzt bereit ist für das Leben.“
Wenn Babys per geplantem Kaiserschnitt zur Welt kommen, werde dieses Signal jedoch nicht abgewartet. Ab der 37. Woche würden geplante Kaiserschnitte normalerweise durchgeführt, im Idealfall versuchten Ärzte immerhin, mit der Operation bis zu eine Woche vor dem errechneten Geburtstermin zu warten. Dennoch, mahnt Steppat, sei für jedes Kind ein anderer Zeitpunkt richtig. Die Hebamme aus Aachen begründet das mit einem anderen Beispiel aus der Natur: „Wenn sie im Herbst an einer Wiese mit Apfelbäumen vorbeifahren, sind noch lange nicht alle Früchte reif, obwohl sie alle gleichzeitig geblüht haben“, so die Hebamme. „Manche brauchen einfach etwas mehr Zeit.“
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Das Kind erhält im Geburtskanal die wichtige Keimabwehr
Hinzu komme, dass Kinder mit dem Weg durch den Geburtskanal eine wichtige Keimbehandlung erfahren. „Die Bakterien der Mutter, die nötig sind, um Abwehrkräfte aufzubauen, werden während der natürlichen Geburt auf das Kind übertragen.“ Wenn es dagegen direkt aus dem Fruchtwasser geholt werde, sei das Baby „sozusagen steril“ - und alle möglichen Keime prasselten von außen unmittelbar auf das Neugeborene ein. „Keine gute Voraussetzung, wenn man an die Verbreitung des sogenannten Krankenhauskeims denkt“, so Steppat. „Außerdem wird auf dem Weg durch den Geburtskanal das Fruchtwasser aus dem Brustkorb des Kindes gepresst“, erklärt die Hebamme, „so wird es auf das Atmen vorbereitet.“ Kinder, die per Kaiserschnitt entbunden werden, könnten zu Beginn dagegen Atemprobleme haben.
Nach einem Kaiserschnitt ist die Frau krank
Dann wären da noch die erheblichen Auswirkungen des Kaiserschnitts auf die Mutter, die gegen den Eingriff sprechen. „Nach einer natürlichen Geburt ist die Mutter normalerweise gesund“, erklärt die Hebamme, „sie kann inzwischen sogar oft nach ein paar Stunden nach Hause gehen.“ Bei einem Kaiserschitt hingegen ist das nicht der Fall: „Die Frau ist krank, sie hatte eine große Bauchoperation hinter sich und muss vier bis fünf Tage in der Klinik bleiben. Die Schmerzen können sie auch zu Hause noch mehrere Tage begleiten.“ Umso schwieriger, wenn man sich dann noch um ein Neugeborenes kümmern muss.
Kaiserschnitt ist nur selten indiziert
Es gebe nur wenige Fälle, in denen ein Kaiserschnitt wirklich indiziert sei, sagt Steppat, etwa wenn das Kind quer liege oder die Plazenta den Muttermund bedecke und so den Geburtskanal versperre. Auch wenn die Mutter sexuell schwer traumatisiert oder psychisch sehr labil sei, könne eine normale Geburt zu belastend sein, so die Hebamme.
Dass gesunde Frauen sich in Deutschland bewusst für einen Kaiserschnitt entscheiden, wenn es dafür keine medizinischen Gründe gebe, sei sehr selten, sagt Steppat. Zwar würden einige Ängste vor der natürlichen Geburt äußern, entschieden sich nach einer ausführlichen Information und Beratung aber doch gegen einen Kaiserschnitt. „Natürlich gibt es die Frauen, die sagen: 'Mir passt ein Termin am Freitag sehr gut, da ist mein Mann auch von seiner Geschäftsreise zurück'", doch Steppat schätzt den Anteil dieser Fälle auf lediglich zwei Prozent.
Keine neue Knieprothese, sondern der Beginn eines neuen Lebens
Die Hebamme aus Aachen plädiert sogar dafür, bei geplanten Kaiserschnitten, für die es medizinische Gründe gibt, zumindest die ersten Wehen abzuwarten - und damit auf die Signale des Kindes zu hören. „Natürlich ist es für die Krankenhäuser bequemer, wenn sie wissen, dass die Entbindung am Tag XY um 8 Uhr ist“. Auch am Wochenende oder nachts müsste dann nicht ständig mehr Personal in Bereitschaft gehalten werden. „Aber es handelt sich eben nicht um eine neue Knieprothese, bei der es nicht darauf ankommt, ob sie ein paar Tage früher oder später eingesetzt wird“, so Steppat, „sondern um den Beginn eines neuen Lebens.“